| # taz.de -- Porträt der Berliner Sängerin Mine: Diese ganze Zerrissenheit | |
| > Das Private und das Politische verbinden sich in den Songs von Mine mit | |
| > Hitqualitäten. Zu hören auf ihrem neuen Album „Hinüber“. | |
| Bild: Die Künstlerin Mine | |
| Vor ein paar Wochen hat Mine ihre für den Oktober geplanten Konzerte auf | |
| das kommende Jahr verschoben. Man kennt das ja, Hygieneregeln, | |
| Coronamaßnahmen, alles nicht wirklich planbar im Moment. Aber, so meldete | |
| die Sängerin über ihren Instagram-Account, ein weiterer Grund sei „ein | |
| privater Doppelrelease im September“, gefolgt von zwei Baby-Emojis. Mine | |
| ist schwanger mit Zwillingen und wird ab dem Herbst erst einmal in | |
| Elternzeit gehen. Die Zwillinge werden, jedenfalls nach Zählweise von Mine, | |
| allerdings schon die „Kinder“ Nummer fünf und sechs sein. Denn erst Ende | |
| April ist, so die 35-jährige Wahlberlinerin ein paar Posts früher, ihr „4. | |
| Baby namens ‚Hinüber‘“ erschienen. | |
| Eine erfolgreiche Geburt. Das Album stieg auf Platz 13 der deutschen Charts | |
| ein. Verdient hätte es aber noch mehr: Denn „Hinüber“ ist nicht weniger a… | |
| die Pop-Platte, die sich dieses Land verdient hat. Musikalisch kommt Jasmin | |
| Stocker, wie Mine bürgerlich heißt, vom Hip-Hop, bedient aber auch den | |
| grassierenden Betroffenheitspop und vereint so die beiden Stile, die die | |
| deutschen Hitlisten dominieren. | |
| „Hinüber“ ist einerseits ein modernes Popalbum, in dem in Songs wie | |
| „Eiscreme“ das urbane Leben in all seiner sonnendurchfluteten | |
| Unbekümmertheit gefeiert wird, oder, wie in „Mein Herz“, das Drama einer | |
| gescheiterten Beziehung in pompöses Synthiepop-Theater mit übersetzt wird. | |
| ## Ein Song wie für Fridays-for-Future-Demos | |
| Andererseits entwirft Mine gleich im ersten Stück, dem gemeinsam mit Sophie | |
| Hunger aufgenommenen Titeltrack „Hinüber“ ein apokalyptisches Bild von | |
| einer Welt, in dem die Meere mit Plastik verseucht sind, viele Menschen | |
| hungern und der Schuldige klar ist: „Ich bin der Mensch und bin ein Tier/ | |
| Bin voller Scham, bin voller Gier/ Such' nach dem Glück, das ich zerstör’/ | |
| Nichts davon hat mir gehört.“ | |
| Ein Song, der auf Fridays-for-Future-Demos laufen sollte, wenn wieder | |
| demonstriert werden darf, auch wenn Mine beim Gespräch über Zoom sagt: „Ich | |
| bin Musikerin, nicht Aktivistin. Aber ich setze mich mit diesen Themen | |
| auseinander, und da sie mich gerade bewegen, findet das auch Ausdruck in | |
| meinen Songs.“ | |
| Liedermacherin, sagt Mine, sei eine Bezeichnung, mit der sie sich nicht nur | |
| anfreunden kann, sondern die sie sogar als besonderes Lob begreift. | |
| Musikalisch, zugegeben, trägt der Vergleich nicht weit, aber inhaltlich | |
| schafft es Mine, so wie es ihren Vorläufern von Wader bis Wegner einst | |
| gelang, das Private mit dem Gesellschaftlichen, bisweilen sogar mit dem | |
| Politischen zu verschränken. | |
| Ein weiteres Beispiel ist der Song „Unfall“, in dem Mine fragt: „Worein b… | |
| ich geboren?“ Über elegant tröpfelnden Beats singt sie davon, wie die | |
| persönliche Freiheit in der ersten Welt zu Ungerechtigkeit, Hunger und | |
| Ungleichheit auf dem Rest des Planeten führt. Im dazugehörigen Videoclip | |
| werden Touristen auf einem Bananenboot parallel geschnitten zu einem mit | |
| Flüchtenden überfüllten Schlauchboot, während Mine singt: „Wer hat stets | |
| genug für sich / Wer starrt hungrig auf den Tisch?“ Es gibt, erst recht | |
| seit dem Rückzug von Wir sind Helden, nicht mehr viele | |
| Popmusiker*innen hierzulande, die einen Song zum Thema | |
| Verteilungsgerechtigkeit schreiben können, der Hitqualitäten hat, ohne in | |
| Peinsamkeit zu versinken. | |
| ## Ausbildung zur Jazzsängern | |
| Und nicht nur das: Mine verknüpft diese Fähigkeit, die in der Luft | |
| liegenden Themen aufzugreifen und in lyrische Texte zu übersetzen, die die | |
| ganze Zerrissenheit zwischen Hedonismus und Weltschmerz abbilden, mit einer | |
| Popsensibilität, in die ebenso viel von ihrer Ausbildung zur Jazzsängerin | |
| in Mainz einfließt wie aus ihrem Studium an der Popakademie in Mannheim. | |
| Das Studium hat sie nicht abgeschlossen, die Masterarbeit war ihr dann doch | |
| zu viel. Wenn man mit ihr spricht, merkt man, dass sie, aufgewachsen in | |
| Stuttgart, ausreichend Pflichtbewusstsein mitbekommen hat, das nicht | |
| selbstverständlich zu finden. Seitdem hat sie sich beständig | |
| weiterentwickelt und nach drei Solo-Alben und einem Kollabo-Werk mit dem | |
| Rapper Fatoni auf „Hinüber“ endgültig ihren eigenen, unverwechselbaren St… | |
| gefunden. Die Süddeutsche Zeitung bescheinigte ihr ein „famoses Gespür für | |
| Sprache und Ästhetik“. Der Stern verglich das neue Album gar mit | |
| „Stadtaffe“, dem Klassiker von [1][Seeed-Frontmann Peter Fox alias Pierre | |
| Baigorry]. | |
| Baigorry ist ihr erklärter Held, ihr Vorbild, und wenn man den Einstieg von | |
| „Hinüber“ hört, das dunkle, dräuende Streicher-Riff, das die ganze | |
| Verzweiflung über den Zustand der Welt unmittelbar auf den Punkt bringt, | |
| hört man diese Verbindung auch. | |
| Das war eins der Dinge, die Mine an der Popakademie gelernt hat, Streicher | |
| zu arrangieren. Mittlerweile kann sie es so gut, dass sie diese Arbeit auch | |
| für Antilopengang-Mitglied Danger Dan übernommen hat, für sein neues, | |
| gefeiertes Solowerk [2][„Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“]. | |
| Ihre Fähigkeiten als Produzentin sind mindestens so gut entwickelt wie die | |
| als Sängerin. | |
| ## Muster verweigern | |
| Dass „Hinüber“ trotz dieser Konstellation und trotz unbestreitbarer | |
| Qualität der Songs nicht ganz bis an die Chartspitze stürmt, hat auch damit | |
| zu tun, dass sich Mine nicht so vermarktet, wie es von Frauen im Pop immer | |
| noch erwartet wird. „Ich wollte mich nie sexualisieren, ich wollte als | |
| Musikerin wahrgenommen werden“, sagt sie. „Als Mann ist das eine | |
| Selbstverständlichkeit, aber als Frau geht es immer darum, was man | |
| körperlich mitbringt.“ | |
| Ein Muster, dem sich Mine verweigert, indem sie auch auf der Bühne die | |
| Klamotten so weit trägt, wie sie sich auch privat am wohlsten fühlt. Dass | |
| diese Bühnenklamotten wirken, als seien sie von jungen Designern gestaltet, | |
| passt ins Bild von der Diva, die sich noch wohler fühlt, wenn – wie | |
| unlängst in der Sendung von Klaas Haufer-Umlauf – ein ganzes Orchester | |
| hinter ihr steht. „Ich fand es immer geil, auf der Bühne zu stehen und mich | |
| zu präsentieren“, sagt Mine. Nächstes Jahr dann wieder. | |
| 31 May 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Thomas Winkler | |
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