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# taz.de -- Solo-Album von Seeed-Chef Peter Fox: Nach der Nacht
> Reggae für den denkenden Menschen: Der Seeed-Sänger Pierre Baigorry alias
> Peter Fox hat mit "Stadtaffe" ein großes Soloalbum veröffentlicht.
Bild: Milchkaffee statt Vodka-Red-Bull: Peter Fox
Irgendwann, so ist es wohl, wird das Feiern langweilig. Stellt jedenfalls
ein gewisser Peter Fox fest. Und entdeckt, höchstwahrscheinlich in einer
dieser zähen Morgenstunden, die sich anschließen an eine Nacht im Club, die
zwielichtigen Seiten der Metropole, die er noch nie verlassen hat. Stellt
fest, dass der Körper schmerzt, der Kopf nicht mehr so ganz bei der Sache
ist, die Freuden des Lebens langsam andere werden. Und sucht nach neuen
Perspektiven: Was kommt, wenn die Jugend geht?
Um Peter Fox und sein grandioses Album "Stadtaffe" zu verstehen, muss man
die Ausgangslage kennen. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich Pierre
Baigorry, Mastermind und einer von drei Sängern von Berlins
Party-Eingreiftruppe auf Offbeat-Basis Seeed. Die Wandlung beginnt schon
mit der musikalischen Umsetzung: Im Gegensatz zu Seeed, die alle Aspekte
des Reggae abdeckten, vom erdigen Roots bis zum programmierten Dancehall,
verzichtete der mittlerweile 36-jährige Berliner für "Stadtaffe" konsequent
auf den Einsatz von Elektronik und Computern. Stattdessen mottete er die
Synthesizer ein und engagierte das Babelsberger Filmorchester. Anstatt wie
üblich seine patentierten Drum-Beats im Rechner zusammezubauen, ließ er
gleich zwei Schlagzeuger die Rhythmen einspielen. Das Ergebnis ist, wie zu
erwarten, ein warmer und - mit dem Fokus auf die Streicher - ein bislang
unerhörter Sound.
Vor allem aber textlich ist "Stadtaffe" ein Neuanfang für Baigorry, eine
radikale Abkehr vom Seeed-Konzept, allerdings ohne deren Inhalte zu
verdammen. Und das nicht nur, weil "die Abrissbirne für die deutsche
Seele", zu der sich Baigorry erklärt, diesmal - im Gegensatz zum für Seeed
so typischen, multikulturellen Sprachenwirrwarr - ausschließlich Deutsch
toastet und singt. Hat Baigorry früher oft plakativ gereimt und flotte
Wörter möglichst rhythmisch platziert, weil Raps und Gesang eh nur
Unterstützung für den Beat abgaben, stößt er nun in unerwartete Tiefen vor.
Mit Hilfe eines Kotexters, Monk vom Produktionsteam The Krauts, entdeckt er
"die Welt mit Staub bedeckt", und ein Leben als Hamster im Getriebe: "Das
Rad muss sich drehen, also dreh ich am Rad."
Eine Ballade wie "Kopf verloren" dürfte der erste Song von Baigorry sein,
der sich mit dem komplizierten Konstrukt, den widerstreitenden Gefühlen in
einer langjährigen Beziehung beschäftigt - und damit bewusst einen
Kontrapunkt setzt zu Seeed, bei denen stets vor allem die magnetische
Anziehung zwischen Mann und Frau gefeiert wurde. Schließlich wird auch
Baigorrys Heimatstadt und wichtige Inspirationsquelle Berlin, der Seed mit
"Dickes B" dereinst ein rosarotes Hymnendenkmal setzten, auf "Stadtaffe"
endlich von der knorke Großstadt zur zwiespältigen Metropole: In "Ich
Steine, du Steine" entwirft er eine Endzeitvision für die Hauptstadt, die
an "London Calling" von The Clash erinnert.
Die Feier ist zwar nicht vorbei, aber es wird endlich Zeit, sich nach
Alternativen umzusehen. "Die Party ist gelungen, wir sind taub und blind",
singt Baigorry, während das Filmorchester trötet wie ein Elefant auf
Freigang. Schließlich imaginiert Baigorry im vielleicht wundervollsten Song
des Albums eine Zukunft im "Haus am See", auf das das Mondlicht scheint,
ein Leben mit Frau und zwanzig Kindern, hundert Enkeln und weißem Bart:
"Alle kommen vorbei, ich brauch nie rauszugehn."
Seeed machen eine Pause, aber wollen im kommenden Jahr wieder ins Studio
gehen, um ein neues Album aufzunehmen. Währenddessen hat Baigorry mit
seinem Soloausflug keine Konkurrenz zu seiner elfköpfigen Stammformation
etabliert, sondern eher eine bitter nötige Ergänzung. Während Seeed, der
"schwerfällige Dampfer", wie ihn Baigorry schon mal bezeichnete, mit
Vielfalt glänzte, die der Bandvorsitzende manchmal nur unter größten Mühen
ordnen konnte, hat er nun erstmals seine Idee von zeitgemäßer Popmusik
konzeptionell konsequent durchsetzen können. Am Ende steht, wenn man so
will, zwar immer noch Reggae, aber für den denkenden Menschen mittleren
Alters. Und die Erkenntnis, dass das eben nicht immer automatisch Reggae
bedeuten muss. Dass man mit "Stadtaffe" feiern kann, ohne notgedrungen
Raubbau an den wichtigsten Ressourcen zu betreiben. Als Peter Fox hat
Pierre Baigorry, das kann man ihm gar nicht hoch genug anrechnen, eine Idee
entwickelt, wie man älter werden kann, ohne den Spaß notgedrungen an der
Garderobe vom Kinderladen abgeben zu müssen.
6 Oct 2008
## AUTOREN
Thomas Winkler
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