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# taz.de -- Deutsche Sektensiedlung Colonia Dignidad: Vom Sektensitz zum Gedenk…
> Deutschland und Chile könnten am Montag die Weichen für einen Gedenkort
> in der ehemaligen Colonia Dignidad stellen. Sie diente auch als
> Folterzentrum.
Bild: Temporäres Gedenken: Fotos von Verschwundenen vor einem mutmaßlichen Ma…
Berlin taz | In der Colonia Dignidad, der [1][ehemaligen Siedlung einer
christlich-totalitären Sekte von Auslandsdeutschen] in Chile, wurden bis
Mitte der 2000er Jahre schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen:
Folter und Mord an Oppositionellen, Zwangsarbeit und sexueller Missbrauch
an Bewohner*innen – mit Wissen der Bundesregierung. Im Jahr 2017
beschloss der Deutsche Bundestag deshalb, die Bundesregierung solle die
Verbrechen in der 1961 gegründeten Sektensiedlung aufarbeiten. [2][Die
juristische Aufklärung] blieb seitens der deutschen Justiz ohne Ergebnis.
Vorangehen könnte es nun bei der Errichtung einer Gedenk- und
Dokumentationsstätte in der Villa Baviera, wie sich die Siedlung heute
nennt.
Ein Konzept dafür liegt bereits vor: Entwickelt von einem
deutsch-chilenischen Team im Auftrag beider Regierungen. Diesem zufolge
sollen die Misshandlungen von Bewohner*innen der Sektensiedlung und von
Chilen*innen aus der Umgebung sowie die enge Kooperation mit dem
chilenischen Geheimdienst während der Diktatur Pinochets an verschiedenen
Orten auf dem Gelände aufgezeigt werden. An einem Massengrab soll an
verschwundene, mutmaßlich dort ermordete Gefangene erinnert werden.
Bei Bundestagsabgeordneten trifft dieses Konzept fraktionsübergreifend auf
Zustimmung. Der menschenrechtspolitische Sprecher der Unions-Fraktion,
Michael Brand, erklärt, er erwarte, „dass noch in diesem Jahr die ersten
Pflöcke eingeschlagen werden“. Der Parlamentarische Geschäftsführer der
Linksfraktion, Jan Korte, fordert eine schnelle Grundsatzentscheidung auf
höchster Ebene zwischen Deutschland und Chile.
Dazu könnte es am Montag kommen, wenn sich die Gemischte Kommission aus
Vertreter*innen der deutschen und der chilenischen Regierung trifft.
„Damit Chiles Justizminister Hernán Larraín, der einst selbst ein
entschiedener Unterstützer der Colonia Dignidad war, den Weg für einen
Gedenkort freigibt, müsste das Auswärtige Amt größeren Druck auf Chile
aufbauen“, sagt der Politologe Jan Stehle, der zur Colonia Dignidad
forscht.
## Verschachteltes Firmenkonstrukt
Der Deutsche Bundestag hatte 2017 auch gefordert, die Besitzverhältnisse
der Villa Baviera zu klären, auch mit dem Ziel, dass Mittel aus dem
Vermögen konkret den Opfern zugutekommen sollten. [3][Bisher ist wenig
geschehen], das könnte sich nun ändern.
Ende der 1980er Jahre hatte die Sektenführung um Paul Schäfer Ländereien
und Betriebe der Colonia Dignidad in eine Firmenholding überführt, zu der
inzwischen Tourismus-, Landwirtschafts- und mehrere Immobilienunternehmen
zählen. In dem verschachtelten Konstrukt geschlossener Aktiengesellschaften
erhielten viele frühere Siedlungsbewohner*innen formell zwar einen
Anteil in Form von Aktien. Als „Kleinaktionär*innen“ partizipieren sie aber
nicht an dem Vermögen.
„Nur einen Scheck von einem Euro“ habe sie vor etwa fünf Jahren einmal
erhalten, berichtet die 52-jährige Doris Gert, die heute außerhalb der
Villa Baviera lebt. Sie hat sich mit Leidensgenoss*innen, die nach
Jahrzehnten unbezahlter Zwangsarbeit keine Rentenabsicherung haben, in dem
Opferverband ADEC zusammengeschlossen. ADEC kritisiert die ungerechte
Verteilung von Macht und Vermögen in der Villa Baviera, es fehle an
Mitbestimmungsrechten und Einblick in die Firmenunterlagen.
## Bundesregierung hält Studie unter Verschluss
Korte (Linke) fordert, zur Unterstützung der Opfer einen „versierten
Wirtschaftsanwalt“ zu beauftragen. Der Politologe Stehle kritisiert: „Die
Leitungsgremien der Unternehmen verweigern seit Jahren rechtskräftig
fällige Entschädigungszahlungen an Chilenen, die in den 1990er Jahren als
Kinder von Sektenchef Schäfer vergewaltigt wurden, und retraumatisieren
diese damit“.
In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion erklärt die
Bundesregierung nun, sie prüfe die „Einsichtnahme in das chilenische
Handelsregister“ für Firmen der Villa Baviera. Zwar hatte die Gesellschaft
für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) schon 2018 für 112.000 Euro eine
„Machbarkeitsstudie zur Wirtschaftsprüfung“ erstellt. Diese hält die
Bundesregierung aber unter Verschluss, da der Führung der Villa Baviera
Verschwiegenheit zugesichert wurde.
Auch Brand (CDU) kritisiert, die Führung der Villa Baviera arbeite nicht
transparent. „Der deutsche Staat muss alle Register ziehen, um dort mehr
Transparenz reinzubekommen“, sagt er, warnt aber, das sei eine „ganz
schwierige Nummer, weil es privatwirtschaftliche Fragen betrifft“.
Brand betont, die Bundesregierung müsse weiterhin Hilfszahlungen an Opfer
der Sekte leisten und einen Fonds „Pflege und Alter“ ausgestalten. Dafür
und um die Errichtung einer Gedenkstätte umzusetzen, werde eine
fraktionsübergreifende Gruppe von Abgeordneten „sehr zäh auch nach der
nächsten Bundestagswahl der Bundesregierung im Genick sitzen“.
16 May 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Ute Löhning
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