# taz.de -- Verbrechen der Colonia Dignidad in Chile: Gedenken und Dokumentieren | |
> Deutsche und chilenische Expert*innen stellen ihr Gedenkstättenkonzept | |
> zur Colonia Dignidad vor. Sie fordern weitere Aufklärung. | |
Bild: Angehörige erinnern an die Opfer der Colonia Dignidad in Chile | |
Vor vier Jahren beschloss der Bundestag einstimmig, die Bundesregierung | |
solle die [1][Verbrechen der Colonia Dignidad] aufarbeiten. Zentrale | |
Forderungen dieses Beschlusses: die Aufklärung fördern, ein Hilfskonzept | |
für Opfer der Sekte entwickeln, die Besitzverhältnisse der ehemaligen | |
„Kolonie“ klären. Und vor allem: Gemeinsam mit der chilenischen Regierung | |
einen Gedenk- und Dokumentationsort schaffen. | |
Denn seit der Gründung der deutschen Sektensiedlung in Chile 1961 gehörten | |
sexualisierte Gewalt, Freiheitsberaubung sowie unentlohnte Zwangsarbeit zum | |
Alltag vieler der rund 300 Bewohner*innen. Chilen*innen aus der Umgebung | |
wurden teils unter Zwang adoptiert und denselben Bedingungen unterworfen. | |
Familien von Landarbeiter*innen wurden aus dem Gebiet vertrieben. | |
Die Sektenführung um Paul Schäfer kooperierte eng mit [2][der | |
Pinochet-Diktatur] und ihrem Geheimdienst Dina. Hunderte Oppositionelle | |
wurden in der Colonia Dignidad gefoltert, Dutzende ermordet, ihre Leichen | |
verscharrt, später ausgegraben und verbrannt. Die Bundesregierung wusste um | |
Folter, Missbrauch und Zwangsarbeit in der Colonia Dignidad. Sie | |
verhinderte die Verbrechen nicht. Oftmals unterhielt sie sogar gute | |
Beziehungen zur Sektenführung. | |
Seit 2016 stehen Teile der Villa Baviera, wie sich die Siedlung seit 1988 | |
nennt, unter Denkmalschutz. Bis heute prägt ein Tourismusbetrieb mit | |
Hotel-Restaurant im bayerischen Stil das Bild. | |
## Viele Leichen wurden nie gefunden | |
Nach dem Bundestagsbeschluss von 2017 bildeten die deutsche und die | |
chilenische Regierung eine bilaterale Kommission. In deren Auftrag | |
erstellte ein vierköpfiges deutsch-chilenisches Expert*innenteam ein | |
Konzept für eine Gedenkstätte, in der die Geschichte der verschiedenen | |
Opfergruppen abgebildet werden soll. Im Mai wurde über dieses Konzept | |
beraten. Ende Juni stellten die Expert*innen Elke Gryglewski, Elizabeth | |
Lira, Jens-Christian Wagner und Diego Matte es öffentlich vor. | |
Demnach soll der Gedenk-, Dokumentations- und Lernort an der historischen | |
Stätte der ehemaligen Colonia Dignidad errichtet werden. „Nur hier kann der | |
Opfer angemessen gedacht werden“, erklärt der Historiker Jens-Christian | |
Wagner. Da die Leichen der in der Colonia ermordeten Gefangenen nie | |
gefunden wurden, gebe es für ihre Angehörigen keinen anderen Ort zum | |
Trauern als die Massengräber auf dem Siedlungsgelände. | |
Mittels historischer Zeugnisse und Ausstellungen müsse die Geschichte | |
außerdem dokumentiert und erklärt werden, betont Wagner, der in deutschland | |
die Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora leitet. Dazu sollten | |
Gebäude, Gräber sowie Dokumente vor Ort konserviert, ausgestellt und | |
möglicherweise zur juristischen Aufklärung herangezogen werden. | |
Spätere Generationen sollten aus der Auseinandersetzung mit der Geschichte | |
am historischen Ort lernen können. Das Ziel sei, „historisches und | |
demokratisches Bewusstsein zu fördern“, so Wagner. | |
## Moralische und psychologische Wiedergutmachung | |
Elke Gryglewski, Leiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen, erläutert den | |
dezentralen Konzeptvorschlag des Expert*innenteams. Demnach sollen „die | |
Geschichte und das spezifische Leid der einzelnen Opfergruppen an | |
unterschiedlichen Orten“ des Geländes mit kleinen Ausstellungen dargestellt | |
werden. Das entspreche auch den Wünschen der Betroffenen, betont | |
Gryglewski, die seit 2014 Workshops zum Thema mit Opfern der Colonia | |
Dignidad organisiert. | |
„Mahnmale und Gedenkorte leisten einen Beitrag zu Anerkennung und | |
moralischer sowie psychologischer Wiedergutmachung für die Opfer“, erklärt | |
Elizabeth Lira. Die Leiterin der psychologischen Fakultät an der | |
chilenischen Universidad Alberto Hurtado betont, darüber hinaus müsse die | |
Suche nach Überresten von in der Colonia Dignidad ermordeten Gefangenen und | |
die strafrechtliche Aufklärung weiter betrieben werden. | |
Der Leiter der Kulturabteilung der Universidad de Chile, Diego Matte, | |
fordert eine Erhebung aller Verbrechen der Colonia Dignidad. „Wir glauben | |
immer, was geschehen ist, wird sich nicht wiederholen. Aber wer sichert uns | |
das denn zu?“, fragt er. | |
An diesem besonderen Ort sollten Besucher*innen sich direkt und | |
intensiv mit der Geschichte auseinandersetzen und daraus tiefgreifende | |
Lehren ziehen. Die chilenische und die deutsche Regierung sollten sich klar | |
zur Errichtung der Gedenkstätte bekennen und formelle Dinge wie die nötigen | |
Verhandlungen um das Gelände vorantreiben, so Matte. | |
Mehrere Organisationen von Angehörigen ermordeter und verschwundener | |
Gefangener erklärten ihre weitgehende Zustimmung zum Gedenkstättenkonzept | |
der Expert*innen. In einer öffentlichen Erklärung fordern sie die zügige | |
Umsetzung seitens der deutschen und der chilenischen Regierung und ein Ende | |
von Bierfesten und bayerischem Folkloretourismus auf dem Gelände der | |
früheren Colonia Dignidad. | |
7 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ute Löhning | |
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