| # taz.de -- Colonia Dignidad in Chile: Gemeinsame Verantwortung | |
| > Im deutschen Sektendorf Colonia Dignidad wurden Menschen gequält und | |
| > ermordet. Nun ist eine Gedenkstätte geplant – aber viele Fragen bleiben | |
| > offen. | |
| Bild: Ein undatiertes Foto zeigt an einem Esstisch sitzende Kinder in der Colon… | |
| Jahrzehntelang herrschte ein Regime von Zwangsarbeit und sexualisierter | |
| Gewalt in der Colonia Dignidad. Während der Pinochet-Diktatur wurden | |
| politische Gefangene auf dem Gelände der deutschen Sektensiedlung in Chile | |
| gefoltert und ermordet. [1][Nun sollen dort eine Gedenkstätte und ein | |
| Dokumentationszentrum entstehen.] | |
| Chile will dafür eine privatrechtlich organisierte gemeinnützige | |
| Körperschaft schaffen, welche sich um die Vorbereitung der nötigen | |
| Maßnahmen kümmert. Leitlinien dazu haben Vertreter:innen der | |
| chilenischen Regierung am 18. April in Berlin im Rahmen der | |
| chilenisch-deutschen „Gemischten Kommission“ zur Aufarbeitung der Colonia | |
| Dignidad vorgestellt. „Wir werden zügig klären, welche Organisationsform am | |
| besten in der Lage ist, die komplexen Aufgaben zu lösen, und dann | |
| Möglichkeiten einer Beteiligung von deutscher Seite klären“, sagte Tomás | |
| Pascual, Leiter der Abteilung für Menschenrechte im chilenischen | |
| Außenministerium. | |
| 1961 gründete der deutsche Laienprediger Paul Schäfer mit rund 300 | |
| Anhänger:innen die deutsche Sektensiedlung in Chile. In der streng | |
| abgeriegelten Siedlung mussten die Bewohner:innen Zwangsarbeit leisten. | |
| Schäfer vergewaltigte und missbrauchte Kinder und Jugendliche, die in der | |
| Siedlung aufwuchsen, später auch chilenische Kinder aus der Umgebung, | |
| einige von ihnen wurden zwangsweise adoptiert. Weder der deutsche noch der | |
| chilenische Staat verhinderten die Verbrechen. | |
| Die Sektenführung kooperierte eng mit der chilenischen Diktatur (1973 bis | |
| 1990) und dem Geheimdienst DINA. Hunderte politische Gefangene wurden auf | |
| dem Gelände gefoltert, Dutzende ermordet, ihre Leichen verscharrt, später | |
| wieder ausgegraben und verbrannt. | |
| ## Tourismus im bayerischen Stil | |
| Heute leben etwa 120 Personen in der Siedlung, die sich inzwischen Villa | |
| Baviera nennt. Sie betreiben Landwirtschaft und unterhalten – besonders | |
| umstritten – einen Tourismusbetrieb im bayerischen Stil. Die Siedlung ist | |
| als intransparente Firmenholding eng verflochtener Aktiengesellschaften | |
| konstituiert. Wenige Personen halten Posten in Leitungsgremien der Firmen | |
| und damit Macht und Vermögen. 2017 beschloss der Deutsche Bundestag, die | |
| Verbrechen der Colonia Dignidad aufzuarbeiten, auch die chilenisch-deutsche | |
| „Gemischte Kommission“ wurde gegründet. | |
| Wie aus einer gemeinsamen Erklärung der beiden Regierungen hervorgeht, soll | |
| die nun zu gründende gemeinnützige Körperschaft alle Opfergruppen und | |
| Organisationen der Zivilgesellschaft bei der Planung der Gedenkstätte | |
| einbeziehen und auch Vorschläge für die aktuell auf dem Gelände lebenden | |
| Personen entwickeln. | |
| [2][Schon 2021 erarbeitete eine Gruppe deutscher und chilenischer | |
| Expert:innen im Auftrag der „Gemischten Kommission“ ein Konzept für eine | |
| Gedenk-, Dokumentations- und Bildungsstätte]. Auf dieses könne man sich nun | |
| beziehen, sagte Tomás Pascual. Die deutsche Seite befürworte die Pläne, die | |
| die Errichtung beschleunigen sollen, und werde Möglichkeiten der | |
| finanziellen Beteiligung prüfen, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. | |
| Geplant sind auch zwölf Gedenktafeln an historisch relevanten Orten in der | |
| Siedlung. Die chilenische Seite bereitet die Einweihung im Kontext von | |
| offiziellen Veranstaltungen rund um den 50. Jahrestag des Putsches in Chile | |
| vor. | |
| Für die Bundestagsabgeordnete Renate Künast (Grüne) ist die Gründung einer | |
| Stiftung oder ähnlichen Konstruktion eine Schlüsselfrage. Sie könne die | |
| Finanzierung aus deutschen und chilenischen Regierungsgeldern und weitere | |
| komplexe Fragen angehen. | |
| Entscheidend sei die Klärung der Eigentumsverhältnisse des Geländes und der | |
| Gebäude, die unter Denkmalschutz gestellt wurden und Teil der Gedenkstätte | |
| werden sollen. Auch müsse für die heutigen Bewohner:innen geklärt | |
| werden, wo sie auf Dauer angemessenen Wohnraum finden, so Künast. Außerdem | |
| müsse bei Umbauten berücksichtigt werden, dass die chilenische Justiz das | |
| Gelände weiterhin auf Spuren von Verschwundenen untersucht. | |
| Dass der Gedenkstättenprozess vorangeht, begrüßt auch Jan Stehle vom | |
| Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika. „Angesichts der | |
| gemeinsamen Verantwortung Deutschlands und Chiles für die Verbrechen der | |
| Colonia Dignidad sollten an der Umsetzung der Gedenkstättenkonzeption und | |
| ihrer Trägerschaft beide Regierungen zu gleichen Teilen mitwirken“, fordert | |
| er. Die Gesamtverantwortung dürfe nicht nach Chile geschoben werden. | |
| 22 Apr 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ute Löhning | |
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