# taz.de -- Ehemalige Colonia Dignidad in Chile: Gedenken statt Tourismus | |
> Seit Jahren ist in der früheren Sekten- und Foltersiedlung Colonia | |
> Dignidad eine Gedenkstätte geplant. Jetzt will Chile dafür Gelände | |
> enteignen. | |
Bild: Noch findet hier Tourismus im bayerischen Stil statt: Eingang zur „Vill… | |
Berlin taz | Der Kernbereich der ehemaligen Colonia Dignidad soll enteignet | |
werden, um freien Zugang zu dem bisher privaten Gelände zu ermöglichen und | |
in Zukunft eine [1][Gedenkstätte und einen „Ort der Reflexion“] zu | |
errichten. Die chilenischen Minister für Justiz und Menschenrechte, Jaime | |
Gajardo, für Wohnen und Stadtplanung, Carlos Montes, und für nationale | |
Vermögenswerte, Francisco Figueroa, haben am Montag ein Dekret über die | |
Enteignung von 117 Hektar der heute als Villa Baviera bekannten Siedlung | |
unterzeichnet. | |
Das zu enteignende Gebiet umfasst sechs Zonen, auf denen sich die | |
historisch relevanten Orte befinden, die für Leid und Misshandlung in der | |
ehemaligen deutschen Sektensiedlung stehen, wie sexualisierte Gewalt und | |
Zwangsarbeit an Bewohner:innen der 1961 gegründeten Siedlung sowie | |
Folter und Mord an politischen Gefangenen während der chilenischen Diktatur | |
(1973 bis 1990). Innerhalb der 117 Hektar befinden sich aber auch | |
Wohnhäuser von etwa 130 Personen, die noch heute in der Villa Baviera | |
leben, und auch von diesen betriebene Landwirtschaftseinrichtungen sowie | |
ein Hotel-Restaurant-Betrieb im bayerischen Stil. | |
Ehemalige Gefangene und Angehörige von Verschwundenen fordern seit Langem | |
eine Gedenkstätte und den Stopp des Tourismus auf dem Gelände. Die meisten | |
Bewohner:innen der Siedlung stehen dem grundsätzlich offen gegenüber, | |
fordern aber, in den Prozess einbezogen zu werden. Intern gibt es große | |
Konflikte wegen der Konzentration von Macht und Vermögen bei wenigen | |
Familien. | |
Die Leitung der als Firmenholding strukturierten Villa Baviera lässt über | |
die von ihr beauftragte Lobbyfirma Extend erklären, die Bewohnerinnen und | |
Bewohner würden durch die fehlende Einbeziehung in die Enteignungsdebatte | |
retraumatisiert. Führungspersonen der Holding hatten bereits vor Monaten | |
angekündigt, auch mit rechtlichen Schritten gegen eine Enteignung vorgehen | |
zu wollen. Das könnte den Enteignungsprozess um Jahre verzögern. | |
## Wer soll das Geld bekommen? | |
Heutige und frühere Bewohner:innen, die die internen Machtstrukturen | |
innerhalb der Villa Baviera kritisieren und sich zur Vereinigung für | |
Wahrheit, Gerechtigkeit, Entschädigung und Würde der Ex-Colonos (Adec) | |
zusammengeschlossen haben, erklärten in einem Schreiben an Chiles | |
Präsidenten Boric im März, dass sie die Pläne für die Enteignung und die | |
Errichtung einer Gedenkstätte unterstützen. Sie fordern jedoch, die Zahlung | |
für die geplante Enteignung sollte als Entschädigung der Opfer verwendet | |
werden und nicht an die Leitungen der Aktiengesellschaften gehen. | |
Justizminister Montes erklärt, in den kommenden Monaten werde ein | |
Wertgutachten des Geländes erstellt, dann die Auszahlung des zu zahlenden | |
Preises an die Besitzer:innen beantragt, und danach erst erfolge der | |
Akt der eigentlichen Enteignung. Diese Schritte sollen vor Ende der | |
Regierung Boric im März 2026 umgesetzt werden. | |
Während der Präsident in seiner Regierungserklärung im Juni 2024 die | |
Enteignung einiger historischer Gebäude angekündigt hatte, umfassen die | |
gegenwärtigen Enteignungspläne riesige Flächen. Unklar bleibt, wie eine | |
Gedenkstätte solchen Ausmaßes finanziert und bewirtschaftet werden könnte. | |
Zwar hatte ein von einer deutsch-chilenischen Regierungskommission | |
beauftragtes Expert:innenteam bereits 2021 ein [2][Konzept für einen | |
Gedenk-, Dokumentations- und Lernort] vorgelegt. Doch gibt es bis heute | |
keine Fortschritte bei der dringend anstehenden Gründung einer | |
Trägergesellschaft oder sonstigen vorbereitenden Arbeiten. | |
Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin heißt es, die Bundesregierung begrüße die | |
Pläne zu Enteignung, Dokumentationszentrum und Gedenkstätte. Sie habe die | |
chilenische Seite „gebeten, auch im weiteren Verfahren – und gemäß | |
chilenischer Vorschriften – die Interessen der derzeitigen Bewohner der | |
Villa Baviera zu berücksichtigen“. | |
Insgesamt hält sich die Bundesregierung seit Jahren eher zurück und | |
bezeichnet ihre Rolle als Unterstützung für chilenische Initiativen. | |
[3][Dabei trägt auch die Bundesrepublik Verantwortung für die in der | |
Colonia Dignidad begangenen Verbrechen oder deren Duldung]. | |
8 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Ute Löhning | |
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