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# taz.de -- Wahl zum Verfassungskonvent: Niederlage für Rechte in Chile
> Bei der Wahl zum Verfassungskonvent haben viele unabhängige Kandidaten
> Plätze gewonnen. Die regierende Rechtskoalition hat wenig Einfluss.
Bild: Ein Mann reitet nach der Stimmabgabe am 15. Mai durch Valparaiso
Buenos Aires taz | An der Ausarbeitung von Chiles künftiger Verfassung
werden viele politisch Unabhängige und Linke beteiligt sein. Bei der Wahl
zum Verfassungskonvent am Samstag und Sonntag hat die regierende
Rechtskoalition von Präsident Sebastián Piñera überraschend eine schwere
Schlappe erlitten. Zwar stellt das Drei-Parteien-Bündnis mit 37 Mandaten
die stärkste Fraktion, ist damit aber weit entfernt von einem Drittel der
155 Mandate. Das wäre aber für einen entscheidenden Einfluss auf den Inhalt
der auszuarbeitenden Verfassung nötig.
14,9 Millionen Wahlberechtigte waren am Wochenende aufgerufen, ihre Stimme
abzugeben. Die Beteiligung lag bei knapp 39 Prozent. Rund 1.300
Kandidat*innen hatten sich für einen Sitz im Verfassungskonvent zur
Wahl gestellt. Frauen und Männer sollen darin jeweils zur Hälfte vertreten
sein, 17 Mandate sind den indigenen Gemeinschaften vorbehalten.
„Piñera hat die Rechte versenkt“, so der Tenor am Sonntagabend bei den
Gewinner*innen. Das sind in erster Linie die politisch unabhängigen
Kandidat*innen, die zusammen 65 Mandate errangen. Deutlich besser als
erwartet schnitt auch das linke Bündnis Apruebo Dignidad ab, das 28 Mandate
erhielt. „Ab heute sind wir eine konsolidierte politische Kraft“, sagte die
ehemalige Präsidentschaftskandidatin Beatriz Sánchez, die einen Sitz im
Konvent erringen konnte.
Das frühere Mitte-links-Regierungsbündnis Concertación aus
Christdemokrat*innen, Sozialist*innen und Sozialdemokrat*innen
kam dagegen auf nur 25 Mandate. „Die Concertación ist tot und wurde schon
vor langer Zeit begraben, die Menschen wollen Veränderungen“, kommentierte
Heraldo Muñoz, Vorsitzender der beteiligten Partido por la Democracia.
## Verfassungsentwurf spätestens 2022
Dem rechten Regierungsbündnis war in den Umfragen der Gewinn von mindestens
einem Drittel der Mandate vorhergesagt worden. „Wir sind nicht ausreichend
auf die Forderungen und Wünsche der Bürger ausgerichtet“, räumte Präsident
Sebastián Piñera am Sonntagabend ein. Rein rechnerisch kommen die
Unabhängigen sowie die beiden Oppositionsbündnisse auf eine Summe von 118
Mandaten.
Wegen der Pandemie war der ursprünglich für April angesetzte Urnengang auf
Mai verschoben worden. Spätestens in einem Jahr soll der Konvent einen
neuen Verfassungsentwurf vorlegen, über den die Bevölkerung abstimmen wird.
Dem Beschluss zur Ausarbeitung [1][einer neuen Verfassung] im November 2019
waren [2][heftige soziale Unruhen] vorausgegangen. Die Proteste zwangen die
Regierung von Präsident Sebastián Piñera letztlich zu diesem Schritt. Noch
immer gilt in Chile die Verfassung der Pinochet-Diktatur aus dem Jahr 1980,
die de facto den Neoliberalismus als alleinige Wirtschaftsdoktrin
festschreibt. Deshalb ist auch knapp 30 Jahre nach dem Ende der Diktatur
noch immer nahezu alles in privater Hand, darunter Bildung, Gesundheit,
Renten, selbst die Wasserversorgung.
Deftige Niederlagen für die Rechte setzte es auch bei den zugleich
abgehaltenen Kommunal- und Gouverneurswahlen. Nicht anders als historisch
ist das Scheitern der Wiederwahl von Felipe Alessandri von der rechten
Renovación Nacional als Bürgermeister der Hauptstadt Santiago zu
bezeichnen. Mit Irací Hassler wird erstmals eine Kommunistin das Amt
einnehmen. „Dies ist der Auftakt zu dem, was in unserem Land kommt: Die
Rechte wird nie wieder gegen unsere Nachbarn herrschen, die unter dieser
Regierung Hunger, Elend und Verlassenheit erlitten haben“, sagte die
30-Jährige ihrer jubelnden Anhängerschaft.
17 May 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Jürgen Vogt
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