| # taz.de -- Gedenken an Coronatote: „Coronatote sind unsichtbar“ | |
| > Gedenken, aber wie? Der Autor Christian Y. Schmidt fordert von | |
| > politischen Entscheider:innen, sich bei den Angehörigen zu entschuldigen. | |
| Bild: Gedenk-Initiator Christian Y. Schmidt stellt im Januar in Berlin eine Ker… | |
| taz: Herr Schmidt, rund [1][80.000 Menschen] starben in Deutschland bisher | |
| durch oder mit Covid-19. Am Sonntag fand ein staatlicher Gedenk-Akt statt, | |
| um ihrer zu gedenken. Ist das angemessen? | |
| Christian Y. Schmidt: Damit habe ich meine Probleme. Weil ausgerechnet die | |
| Personen dabei sind, die auch für die Toten mitverantwortlich sind. Wenn es | |
| schon eine Trauerfeier geben soll, dann müssen sich die Regierung, der | |
| Bundespräsident, die Kanzlerin, zu ihrer Verantwortung bekennen und sich | |
| bei den Angehörigen entschuldigen, die Menschen durch Corona verloren | |
| haben. Es geht nicht darum, Politiker zu demütigen. Sondern darum, endlich | |
| zu analysieren, was in den vergangenen Monaten eigentlich schief gelaufen | |
| ist. | |
| Corona ist eine Zäsur. Kann ein solcher Gedenktag, der regelmäßig begangen | |
| wird, nicht helfen, die Pandemie zu verarbeiten und die Menschen dahinter | |
| nicht zu vergessen? | |
| Ja. Aber ich hätte mir eine Bewegung von unten gewünscht, nicht auf | |
| Staatsebene. Zum Beispiel Aktionen im eigenen Stadtviertel, | |
| Veranstaltungen, die alle mitgestalten können. Stattdessen gibt es die | |
| Aktion Lichtfenster, bei der der Bundespräsident und die | |
| Ministerpräsidenten dazu aufrufen, zur Erinnerung an die Toten eine Kerze | |
| ins Fenster zu stellen. Und eben diesen Gedenktag. | |
| Im Dezember 2020 haben Sie gemeinsam mit der Künstlerin Veronika Radulovic | |
| die Aktion „Coronatote sichtbar machen“ ins Leben gerufen. Warum? | |
| Wir wollten der Trauer Ausdruck verleihen und Druck machen. Wenn man die | |
| Toten nicht sieht, wenn sie nur als abstrakte Zahlen vorkommen, dann ist es | |
| deutlich leichter sie zu ignorieren und zu leugnen. Das wollten wir | |
| verhindern. | |
| Was haben Sie genau gemacht? | |
| Jeden Sonntag haben wir im Prenzlauer Berg in Berlin zum Sonnenuntergang | |
| Kerzen aufgestellt. Dazu gab es ein Schild mit der aktuellen Zahl der | |
| Corona-Toten. Mittlerweile organisieren Menschen bundesweit ganz ähnliche | |
| Aktionen. | |
| Welche Reaktionen haben Sie bekommen? | |
| Leute aus der Nachbarschaft kamen vorbei und fanden es toll, was wir | |
| gemacht haben und haben auch selbst Kerzen angezündet. Auch viele | |
| Angehörige von Menschen, die an Corona starben, kamen vorbei. Sie fanden es | |
| gut, dass an diesem Ort andere Leute waren, die mittrauerten, obwohl sie | |
| die Verstorbenen gar nicht kannten. | |
| Gab es auch Anfeindungen? | |
| Ja, es gab zwei Vorfälle mit Querdenkern. Die haben rumgeschrien und uns | |
| gefragt, warum wir denn nicht auch an die Krebstoten erinnern oder an | |
| diejenigen, die an einem Herzinfarkt gestorben sind. Diese Leute sind dann | |
| relativ schnell wieder verschwunden. Aber unser Schild mit der aktuellen | |
| Zahl der Toten ist mehrfach gestohlen worden und die Kerzen wurden | |
| zerstört. Die Querdenker haben unsere Aktion offenbar als Provokation | |
| empfunden. Sie wollen wohl die Unsichtbarkeit erhalten. | |
| Am 6. März gab es die letzte offizielle Veranstaltung von „Coronatote | |
| sichtbar machen“. Warum haben Sie aufgehört? | |
| Das Entsetzen ist offenbar nicht mehr so groß. Coronatote, die Zahlen zu | |
| den Neuinfektionen, zu Inzidenzwerten, sind Normalität geworden. In der | |
| Öffentlichkeit spielt die Lage in den Krankenhäusern, die Situation der | |
| Menschen, kaum eine Rolle. Die Toten sind unsichtbar. In der Pandemie sind | |
| andere Themen wichtig. Das sieht man auch in den täglichen Meldungen. Die | |
| Zahl der Neuinfektionen wird immer zuerst genannt. Aber Veronika Radulovic | |
| und ich hatten immer die Idee, die Aktion nur ins Rollen zu bringen und | |
| dann sollte sie auch ohne uns weitergehen. Das war aber nicht der Fall. | |
| [2][Trauern ist sehr privat]. Ist das auch ein Grund, warum sich letztlich | |
| nicht mehr viele Menschen beteiligt haben? | |
| Sicher. Sich öffentlich zum Tod der eigenen Mutter, des Vaters oder auch | |
| von Freunden zu zeigen, fällt vielen Menschen sehr schwer. | |
| Wir stecken mitten in der 3.Welle der Pandemie. Die Zahl der Toten wird | |
| auch in den kommenden Wochen steigen. Und jetzt? | |
| Das einzige was jetzt noch funktioniert, sind Maßnahmen für ein | |
| „ZeroCovid“. Und die Politik muss sich dringend anschauen, was bei der | |
| Bekämpfung der Pandemie nicht funktioniert hat. Sonst schlittern wir bei | |
| der nächsten Pandemie in eine ähnliche Katastrophe. | |
| 18 Apr 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tanja Tricarico | |
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