Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Roman über Homosexualität in Polen: Januszs See
> Tomasz Jedrowski erzählt in seinem Debütroman „Im Wasser sind wir
> schwerelos“ vom schweren Stand queerer Liebe im Sozialismus.
Bild: Romantisch? Verdächtig? Zwei Männer in einer Waldlichtung
Warschau, 1980: Im sozialistischen Polen absolviert der 22-jährige Ludwik
Glowacki nach seinem Examen einen verpflichtenden Ernteeinsatz. Dort lernt
er Janusz kennen, einen Studenten aus einer Arbeiterfamilie vom Land. Die
beiden Männer kommen sich näher und verbringen den anschließenden Sommer
gemeinsam. Sie campen an einem verborgenen See und verlieben sich
ineinander – zu einer Zeit, in der es unmöglich ist, zu ihrer Liebe zu
stehen.
Das Buch „Im Wasser sind wir schwerelos“ von Tomasz Jedrowski erzählt die
Geschichte von Ludwik und Janusz im Polen der 1980er Jahre, als
Homosexualität noch offiziell als Krankheit eingetragen war. Die Handlung
des Romans spielt zwar in der Vergangenheit, scheint aber dennoch aktuell:
So erklärten in den letzten Jahren immer mehr polnische Kommunen, Gemeinden
und Städte, queere Menschen nicht mehr willkommen zu heißen.
[1][Mittlerweile gilt fast ein Drittel Polens als sogenannte „LGBT-freie
Zone“].
Der Roman beginnt im Prolog damit, dass Ludwik aus dem Exil in New York
einen Brief an seinen früheren Geliebten Janusz schreibt. In Jedrowskis
Roman kommt es danach, wie es kommen muss: Die Liebe der beiden Männer wird
auf eine harte Probe gestellt. Der See im Wald ist der persönliche
[2][Brokeback Mountain der beiden Männer,] zurück in Warschau muss ihre
Liebe hingegen ein Geheimnis bleiben. Ludwik träumt von einer Flucht nach
Westeuropa, Janusz will dagegen jeder Konfrontation aus dem Weg gehen und
entscheidet sich für eine Karriere innerhalb des sozialistischen Systems.
Er ist es auch, dem die Beziehung große Sorgen bereitet und der Ludwik
daran erinnert, dass die kommunistische Polnische Vereinigte Arbeiterpartei
Listen anfertigt, auf denen Männer wie sie stehen. Neben der
Liebesgeschichte gibt der Roman den Leser:innen einen Einblick in ein
Land, das nach dem Zweiten Weltkrieg realsozialistisch geführt wurde, er
erzählt von politischer Erpressung und davon, wie Menschen mit einem
autoritären Regime umgehen.
## Mit Leichtigkeit erzählt
Autor Tomasz Jedrowski wurde 1985 geboren und wuchs, anders als seine
Helden Ludwik und Janusz, in Westdeutschland mit seinen polnischen Eltern
auf, als es die DDR noch gab. Später zog er nach England, wo er in
Cambridge Jura studierte und anschließend in London als Anwalt arbeitete.
„Im Wasser sind wir schwerelos“ ist sein Debütroman, in dem er die
Geschichte der beiden Männer trotz der bedrückenden gesellschaftlichen
Umstände mit großer Leichtigkeit erzählt. Die schwule Liebesgeschichte ist
mal mitreißend, mal erotisch und transportiert immer wieder die
Zerrissenheit seiner Protagonisten. Der britische Guardian wählte den Roman
zum Buch des Jahres. Die Redaktion sprach von einem überwältigendem
Erstlingswerk.
Obwohl Jedrowski mit Polnisch und Deutsch als Muttersprachen aufwuchs,
schrieb er seinen Roman auf Englisch. „Das war keine bewusste Entscheidung,
es erschien mir einfach natürlich“, sagt er während eines
Videocall-Interviews mit der taz. Schließlich sei er in England erwachsen
geworden und habe seine Identität in der Sprache gefestigt. „Ich konnte
mich in Englisch besser ausdrücken und war meinen Muttersprachen zu fern,
um mein Buch darin zu verfassen.“
Jedrowski war zwar nicht selbst der Übersetzer der polnischen Version,
arbeitete aber daran mit. „Es war eine komische Erfahrung, die eigenen
Wörter zu lesen, die nicht wirklich meine eigenen Wörter waren“, sagt er.
Übersetzungen seien ja auch immer Interpretationen. So nutzt Jedrowski in
seiner Originalversion beispielsweise das englische Wort „cock“, also
Penis, wenn er den Körper von Janusz in einer Sexszene beschreibt. Im
Polnischen umschrieb der Übersetzer den Penis mit den Worten: „du weißt
schon was“. In der deutschen Version, an der der Autor nicht mitarbeitete,
entschied sich die Übersetzerin Brigitte Jakobeit passenderweise für das
explizitere Wort „Schwanz“.
## Coming-out als Schriftsteller
Der deutsch-polnische Autor ließ sein altes Leben als Anwalt in London
hinter sich, weil das einfach nicht richtig gepasst habe. Er sei
unglücklich im Job gewesen und habe angefangen an Depressionen zu leiden.
In einer Therapie wurde ihm dann bewusst, dass er lieber als Autor arbeiten
würde: „Ich hatte mein zweites Coming-out als Schriftsteller.“ Die
Entscheidung für einen Job, bei dem nicht klar sei, wie er sein Leben
finanziere, sei schwierig gewesen: „Meine Eltern kämpften als
Migrant:innen mit existenziellen Problemen und hatten den Traum, dass es
mir später besser gehen wird.“ Jedrowski lebt mittlerweile in Orléans und
arbeitet an seinem zweiten Roman.
Während Jedrowski an seinem Buch arbeitete, zog er mit seinem Partner nach
Warschau und lernte dort viel über die sozialistische Zeit Polens. So
konnte er sich besser in die Geschichte der damaligen Zeit und in seine
Protagonisten hineinversetzen.
Die Inspiration für die Liebesgeschichte zwischen Ludwik und Janusz kam von
einem Freund seines Vaters, mit dem er sich bereits früh unbewusst
identifizierte. Dieser Mann habe als offen schwuler Mann in Polen gelebt,
und Jedrowski fragte sich, wie sein Leben im damaligen Polen wohl aussah.
„In Warschau habe ich mich dann mit ihm auf einen Kaffee getroffen und
festgestellt, dass er gar nicht die Person ist, die ich mir vorgestellt
habe“, sagt er. Es sei aber trotzdem interessant gewesen, weil dieser Mann
ihn auf eine Weise inspiriert habe, die so gar nicht gewollt war.
Im Roman taucht immer wieder ein anderes Buch aus dem Jahr 1956 auf.
Jedrowskis Protagonist Ludwik ist begeistert [3][von James Baldwins]
„Giovannis Zimmer“ und verleiht den Roman, der in Polen damals verboten
war, an Janusz. In Baldwins Roman beginnt der Amerikaner David in Paris
eine Affäre mit Giovanni und schafft es nicht, sich zu outen. Das Buch, das
mit einer Tragödie endet, gilt als Klassiker, und zwar nicht nur unter
schwulen Männern.
## Eine Linie schwuler Geschichte
„Giovannis Zimmer“ spielte auch in Jedrowskis Leben eine bedeutende Rolle.
„Das Buch hat viel in mir verändert, und bis dahin wusste ich nicht, dass
Literatur zu so etwas fähig ist“, sagt er. „Es war ein gutes Gefühl, zu
wissen, dass ich Teil einer Linie schwuler Geschichte bin und dass viele
Männer all diese Erfahrungen schon früher gemacht haben.“
„Im Wasser sind wir schwerelos“ hat vielleicht das Potenzial, die gleiche
Wirkung für polnische Jugendliche zu haben, die „Giovannis Zimmer“ einst
auf ihn hatte. Selbst wenn der Autor sich gar nicht sicher ist, ob sich die
Situation queerer Menschen in Polen in den letzten Jahren verschlechtert
hat. „Früher hat sich einfach niemand getraut, Hand in Hand durch die Stadt
zu laufen, deshalb wurde auch kaum jemand verprügelt“, sagt er. Viele
queere Menschen seien aber mittlerweile sichtbarer und stießen dabei auf
Widerstand: „Klar, es wäre zwar schöner, wenn all das ohne Kampf möglich
wäre, aber in jedem Land wird auf irgendeine Weise um Anerkennung
gekämpft.“
Jedrowski spürte selbst, wie schwierig es sein kann, als schwules Paar in
dem osteuropäischen Land zu leben. In Polen habe er gemerkt, dass er sich
selbst zensiere, und habe immer eher von „einem“ statt von „seinem“ Fre…
gesprochen. „Mein Partner und ich wären in Warschau definitiv nicht Hand in
Hand auf der Straße gelaufen.“
Der deutsche Titel „Im Wasser sind wir schwerelos“ spielt auf den Sommer
an, den die beiden Männer in Zweisamkeit am See verbrachten. Der englische
Titel „Swimming in the dark“ bezieht sich ebenfalls darauf, hat aber eine
Doppeldeutigkeit, die das gesellschaftliche und politische Klima des Landes
zusätzlich greifbar macht. „Ich glaube, die Handlung meines Romans,
abgesehen von der politischen Erpressung, könnte auch heute so
stattfinden“, sagt Jedrowski.
In Deutschland enttäusche man mittlerweile im schlimmsten Falle jemanden
mit einem Coming-out, in Polen fürchten sich Menschen hingegen noch immer
davor, ihren Job zu verlieren oder ausgestoßen zu werden. „Ich schätze,
dass Geschichten wie diese noch überall stattfinden – auch innerhalb der
westlichen Welt.“
4 May 2021
## LINKS
[1] /Diskriminierender-Wahlkampf-in-Polen/!5691042
[2] /Archiv-Suche/!464211&s=Brokeback+Mountain+Ang+Lee&SuchRahmen=Print/
[3] /Frueher-Roman-von-James-Baldwin/!5498691
## AUTOREN
Steven Meyer
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Literatur
Roman
Polen
Homosexualität
LGTBI
Christopher Street Day (CSD)
Lesestück Recherche und Reportage
Buch
USA
Homosexualität
## ARTIKEL ZUM THEMA
Aktivist über 1. East-Pride Berlin: „Keine ostalgische Beschönigung“
Wolfgang Beyer organisiert am CSD gemeinsam mit anderen den ersten „East
Pride“, auch zur Erinnerung an die homosexuelle Bewegung der DDR.
Bedrohte Autorin in den Niederlanden: Zwischen allen Fronten
Lale Gül aus Amsterdam ist abgetaucht. Sie erhält Morddrohungen. Wegen
eines Buches, in dem sie das selbstbestimmte Leben preist.
Debütroman „Camel Travel“: Komplexe statt Reisetasche
Kein Vater, strenge Mutter, dazu Buchweizengrütze und Leninverehrung: Volha
Hapeyeva erzählt vom Aufwachsen im belarussischen Spätsozialismus.
Ocean Vuong über den American Dream: „Wie bitte reden wir von Liebe?“
Ocean Vuong ist eine der spannendsten jungen Stimmen aus den USA. Der Autor
über die Kraft der Sprache und queeres Scheitern als Chance.
Debütroman von Garth Greenwell: Komplizierte Wesen im Untergrund
In „Was zu dir gehört“ erzählt Garth Greenwell eine Geschichte schwulen
Begehrens – im postkommunistischen Bulgarien.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.