# taz.de -- Aktivist über 1. East-Pride Berlin: „Keine ostalgische Beschöni… | |
> Wolfgang Beyer organisiert am CSD gemeinsam mit anderen den ersten „East | |
> Pride“, auch zur Erinnerung an die homosexuelle Bewegung der DDR. | |
Bild: 1. Treffen der Homosexuellen Arbeitskreise in der DDR in der Samaritergem… | |
taz: Herr Beyer, Sie organisieren gemeinsam mit anderen den ersten East | |
Pride Berlins. Warum braucht es nach über 30 Jahren Einheit einen separaten | |
Ost-CSD? | |
Wolfgang Beyer: Man hätte das schon viel früher machen müssen. Letztes Jahr | |
haben Nasser El-Ahmad, Stefan Kuschner, Anette Detering, Christian Pulz und | |
ich den Berlin Pride organisiert. Schon da war uns die Solidarität mit | |
queeren Menschen in Polen und Ungarn wichtig und dass die Route über das | |
Brandenburger Tor hinaus weiter nach Ostberlin führt. Es sollte und soll | |
auf keinen Fall um eine ostalgische Beschönigung der DDR-Verhältnisse | |
gehen. Offenes Sprechen über Homosexualität war dort in den 70er und 80er | |
Jahren viel weniger möglich als in der Bundesrepublik. Nicht weil die DDR | |
besonders schwulenfeindlich war, sondern weil sie eine Diktatur war, in der | |
Menschen nicht selbstbestimmt Gruppen bilden konnten. Trotzdem haben | |
Schwule und Lesben angefangen, sich zu organisieren. Und daran möchten wir | |
erinnern. | |
Wie sah das damals aus? | |
In Ostberlin waren Schwule wie Peter Rausch, Michael Eggert und andere sehr | |
bewegt durch den Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die | |
Situation, in der er lebt“ von Rosa von Praunheim. Sie haben gedacht: So | |
was müssen wir in der DDR auch machen. Zunächst als Gruppe und dann später | |
unter dem Namen Homosexuelle Interessengemeinschaft Berlin (HIB) haben sie | |
sich ab 1973 organisiert und dann später bei Charlotte von Mahlsdorf Räume | |
gefunden und versucht, Verbündete von staatlicher Seite zu finden. Sie | |
dachten, sie könnten sich im Sinne einer sozialistischen Gesellschaft | |
emanzipatorisch engagieren, wurden aber bitter enttäuscht. | |
Warum? | |
Die Thematisierung von antihomosexuellen und diskriminierenden Strukturen | |
wurde von Partei und Staat als antisozialistisch und als Angriff auf die | |
DDR eingestuft. Damit ist dieser erste emanzipatorische Versuch nach sechs | |
Jahren nicht gescheitert, aber doch verboten und vorläufig gestoppt worden. | |
Der East Pride findet auch im Gedenken an Ihren guten Freund Christian Pulz | |
statt, der im April verstorben ist. Der zweite Versuch kam von Pulz, | |
richtig? | |
Ja, das begann 1982 in Leipzig. Auch in der DDR gab es Parks und | |
öffentliche Toiletten, wo Schwule sich getroffen haben, um sexuell Leute | |
kennenzulernen, aber auch, um ins Gespräch zu kommen, auch über politische | |
Dinge. Das waren in gewisser Weise schon selbst geschaffene Trefforte, die | |
sexuell und sozial enorm wichtig waren. Später wurde in den | |
Homosexuellen-Arbeitskreisen regelmäßig über „Klappe, Selbsthass und | |
Emanzipation“ diskutiert. An der Frage schieden sich oft die Geister, es | |
war aber eine Linie, die sich von der HIB bis in die emanzipatorischen | |
kirchlichen Gruppen fortgesetzt hat. Christian ist in Leipzig regelmäßig | |
auf die Klappe gegangen und hat dort unter anderen Eduard Stapel | |
kennengelernt und zu einer Selbsterfahrungsgruppe eingeladen. Vorbild war | |
das Buch „Coming out“ von Martin Siems aus Hamburg, das über die Leipziger | |
Buchmesse in Christians Hände gekommen war. Nach einem Jahr Selbsterfahrung | |
ist die Gruppe zu dem Schluss gekommen, dass man selbstbestimmt in die | |
Öffentlichkeit treten muss. Sie sind zum evangelischen Studentenpfarrer | |
gegangen und gründeten in der evangelischen Studentengemeinde den | |
Arbeitskreis Homosexualität. | |
Ab 1990 saß Pulz für Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus – wie war … | |
nach Berlin gekommen? | |
Noch im selben Jahr, Ende 1982. Seine Idee war, auch hier eine solche | |
Gruppe zu gründen. Er ging zusammen mit Bettina Dziggel, Marina Krug, | |
Ulrich Zieger und anderen zu Rainer Eppelmann. Das war ein bekannter | |
Pfarrer an der Samariterkirche in Friedrichshain, der einen Friedenskreis | |
hatte und sehr kritisch gegenüber dem Staat war. Christian meinte, das sei | |
genau der Ort, wo es eine eigene schwule Gruppe geben sollte. Eppelmann war | |
sofort begeistert. Wie man jetzt aus den Stasiakten herausfinden kann, kam | |
es aber zu einer Beratung innerhalb des Gemeindekirchenrates, zu der ein | |
homosexueller Arzt hinzugezogen wurde. Der hat offensichtlich gegen diese | |
Art selbstbestimmter Gruppe votiert. Daraufhin lehnte der | |
Gemeindekirchenrat einen schwulen Arbeitskreis in der Gemeinde ab. | |
Ein homosexueller Arzt votierte gegen die Homosexuellengruppe? | |
Ja, sein Name ist aber in den Stasiakten geschwärzt. Ich kann nur | |
spekulieren, wer das war. Christian Pulz und seine emanzipatorische Gruppe | |
standen zwischen zwei Fronten. Einmal die Staatssicherheit und die | |
staatliche Seite, die 1983 auch angefangen hat, gegen ihn mit | |
Zersetzungsmaßnahmen aktiv zu werden und unter dem Stichwort „Missbrauch | |
der Homosexuellen“ die Bewegung zu spalten versuchte. Die andere Seite | |
waren kirchliche Akteure. Es gab konservative Kräfte, die Homosexualität | |
grundsätzlich ablehnten.Viel folgenreicher aber noch waren Vorbehalte | |
derer, die den Homosexuellen eigentlich positiv gesonnen waren, die aber | |
große Schwierigkeiten mit der schwulen Selbstberatung- und | |
Selbstorganisation hatten. | |
Was waren deren Vorstellungen? | |
Die wollten zwar, dass sich Kirche öffnet, dass das aber alles in | |
geordneten, im Grunde heteronormativen Strukturen läuft. Ich würde es mal | |
so sagen: Diese Kräfte wollten Integration der Homosexuellen ohne | |
Emanzipation. Emanzipation und die Fundamentalkritik an heteronormativen | |
Strukturen waren damals für diese kirchlichen Akteure etwas sehr | |
Ungewöhnliches. Genau das hat Christian Pulz aber ausgesprochen offensiv | |
gefordert und propagiert. Mit seinen Bemühungen, bei der Kirche angestellt | |
zu werden, ist er genau an diesen Kräften gescheitert. Das ist ein noch | |
aufzuarbeitendes Kapitel. | |
Trotzdem soll der East Pride mit einem Gottesdienst beginnen? Warum? | |
Wenn es nicht doch einzelne mutige Pfarrerinnen und Pfarrer gegeben hätte | |
oder auch entsprechende Gemeindekirchenräte, die das gegen Widerstände | |
durchgesetzt haben, hätten Lesben und Schwule gar keine Freiräume bekommen, | |
um selbstbestimmte Gruppen zu gründen. Bei Christian Pulz war das | |
schließlich der Pfarrer Werner Hilse und die Bekenntnisgemeinde in Treptow. | |
Und für die Lesben in der Kirche war das die Gethsemanekirche in Prenzlauer | |
Berg, wo wir deshalb am Samstag den Gottesdienst feiern. Zum anderen wollen | |
wir die Kirche auch an ihre Verantwortung erinnern, die sie damals auch | |
offiziell übernommen hat. Aus ihr wollen wir sie nicht entlassen. | |
Der East Pride ist Teil der Sterndemo CSD Berlin Pride. Wie ist das | |
Verhältnis zu den anderen Gruppen? | |
Wir sind alle in regelmäßigen Absprachen. Mit Achan Malonda, die „QTIBIPOC | |
United“ organisiert, hat sich eine richtige Freundschaft entwickelt. Die | |
Idee mit der Sterndemo war, dass unterschiedliche Erfahrungen von | |
Diskriminierung und Emanzipation jeweils eigene Formen der | |
Öffentlichkeitsarbeit brauchen. Und doch gehören wir alle irgendwie | |
zusammen. Ich glaube, dass es viele Verbindungen von rassistischen und | |
antihomosexuellen Strukturen gibt, über die man unbedingt sprechen muss, um | |
zu erkennen, dass das eine unbedingt die Auseinandersetzung mit dem anderen | |
erfordert. Das Intersektionale spielt eine große Rolle, wenn man an die | |
tiefgehenden gesellschaftlichen Gewaltstrukturen herankommen und ernsthaft | |
über gesellschaftlichen Unfrieden sprechen möchte. | |
24 Jun 2021 | |
## AUTOREN | |
Stefan Hunglinger | |
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