# taz.de -- Besuch bei Autor Florian Knöppler: Vom Verhalten in Krisenzeiten | |
> Florian Knöpplers Roman „Kronsnest“ erzählt, wie in den 1920er-Jahren in | |
> den Dörfern der Elbmarsch der Nationalsozialismus aufkam. Ein Besuch. | |
Bild: Kennt sich aus mit dem Leben auf dem Land: Autor Florian Knöppler | |
Elmshorn taz | Der Kaminofen ist angeheizt, das Holz knackt beim | |
Verbrennen, draußen hämmert ein Specht. Schneeregenschauer ziehen vorbei, | |
machen dann wieder Platz für einen wolkendurchzogenen Himmel vor | |
kraftvollem Blau. Schön wohnt er hier, der Blick kann sich in der Weite | |
austoben. „Das finde ich auch“, sagt Florian Knöppler und nickt. | |
Hinter Elmshorn geht es Richtung Neuendorf und dann immer weiter geradeaus | |
übers Land. Bis die Straßen schmaler werden und man notfalls zurücksetzen | |
muss, wenn jemand entgegenkommt – die Post, der Tankwagen der Molkerei, der | |
Nachbar, der mit einem Nicken grüßt. | |
Hier lebt Florian Knöppler mit seiner Familie auf einem alten Hof, sie | |
haben Hühner, Schafe und Bienen auf zwei Hektar Land. Er ist bei der | |
Freiwilligen Feuerwehr, gerne ist er das, auch aus Überzeugung. Gerade hat | |
ihm der Bürgermeister einen kleinen Job zugeteilt, die frisch gepflanzten | |
Bäume entlang der Wege zu wässern. Hier packt man die Sachen an; statt auf | |
die Straßenmeisterei zu schimpfen, die dies und das nicht erledigt hat, | |
obwohl sie dafür zuständig wäre. | |
Nun legt Florian Knöppler mit „Kronsnest“ einen Roman vor, sein | |
literarisches Debüt. Erzählt wird von Hannes, einem heranwachsenden Jungen, | |
fast ein junger Mann. Der leidet unter seinem gewalttätigen Vater, wünscht | |
ihn sich tot und hofft zugleich auf dessen Anerkennung, bei der Arbeit nach | |
der Schule. Denn immer ist etwas zu tun auf dem kleinen Hof und nie ist zu | |
schaffen, was geschafft werden muss. Der Junge ist empfindsam, auch sich | |
selbst gegenüber verschlossen. Trotzdem hofft er, dass es das Leben gut mit | |
einem meint, wenn man sich genug anstrengt. | |
Und dazu werden wir ins Jahr 1928 geworfen. Denn während Hannes seinen | |
Platz sucht, gerät auch die Welt außerhalb des Hofs, den der Vater | |
schuldenfrei halten will, für den er arbeitet bis zum Umfallen, aus den | |
Fugen: Erzählt wird in „Kronsnest“ auch vom Aufkommen des | |
Nationalsozialismus hier im Südwesten Holsteins – und davon, wie er das | |
Zusammenleben der Menschen brutalisiert. | |
„Ich habe mich schon vor dem Buch für Schicksale und Lebenswege in dieser | |
Zeit interessiert“, beginnt Florian Knöppler zu erzählen. „Mir ging es | |
darum, auch mir selbst diese Zeit verständlich zu machen und zu verstehen, | |
was damals geschah.“ Reportagen entstanden damals, erst für Zeitungen, auch | |
für die taz, Ende der 1990er-Jahre. Dann wechselte er zum Radio. | |
„Es ist eine Zeit, die menschlich gesehen sehr interessant ist, denn sie | |
hat extreme Verhaltensweisen hervorgebracht“, sagt Knöppler. „An einem | |
schönen Sommerabend kann jeder Mensch nett sein“, sagt er. Aber was, wenn | |
es in die Krise geht, wenn Umbrüche anstehen, denen man nicht schadlos | |
entgeht? Wer ist dann loyal gegenüber seinen Freunden? Wer hartherzig? Wer | |
bleibt freundlich? „Mich interessiert das Verhalten der Menschen in | |
Krisenzeiten“, sagt Knöppler. | |
Eingebettet ist die Handlung in das Aufkommen der Landvolkbewegung: „Das | |
war eine extreme Bewegung, entstanden in der Agrarkrise, etwa zwei Jahre | |
vor der Weltwirtschaftskrise.“ Viele Bauern waren verschuldet oder würden | |
es bald, kein Ausweg scheint in Sicht: „Es gab einen Tag, Ende Januar 1928, | |
da sind entlang der Westküste 140.000 Menschen auf die Straße gegangen; es | |
wurden in den Folgemonaten Steuerbescheide verbrannt und Gerichtsvollzieher | |
mit Dachlatten in der Hand vom Hof gejagt“, sagt Knöppler. Man habe Feuer | |
entzündet, um gepfändete Ochsen wild zu machen, damit man sie nicht | |
aufladen konnte. | |
Er sagt: „Es war ein harter Widerstand – gegen das demokratische System.“ | |
Verbunden mit völkischem und auch antisemitischem Gedankengut: „Die Leute | |
waren voller Verachtung gegenüber der Demokratie, das Parlament war für | |
sie,die Quatschbude in Berlin', die Großstädte ‚verjudet‘.“ Erst bei der | |
Recherche sei ihm klar geworden, wie tief verankert der Antisemitismus in | |
der Region gewesen sei. | |
## Starker Zuspruch für die NSDAP | |
So schnell, wie die Landvolkbewegung damals aufkommt, zerfiel sie wieder. | |
Da hielten sich längst andere bereit, die Leerstelle des Protests zu | |
besetzen: „Es gab hier gleich 1928 Ortsgruppen der NSDAP; Hitler musste nur | |
die Hände aufhalten, die Leute fielen ihm als Wähler nur so zu“, erzählt | |
Knöppler. Erreichten die Nationalsozialisten bei den Reichstagswahlen 1928 | |
reichsweit zwischen zwei und drei Prozent, waren es im Kreis Steinburg | |
schnell zehn Prozent, oder wie in den beiden Dithmarschen-Kreisen, 17 | |
Prozent. | |
Was sich nicht wieder ändert: „In manchen Gegenden hatten die Nazis bei der | |
letzten Reichstagswahl, bevor also Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, | |
in den Dörfern 60, 80, manchmal glatte 100 Prozent. Da hat kein Einziger | |
anders gewählt.“ | |
Hannes, der Held im Buch, will sich da raushalten. Will weder zu den | |
gehören, die stattdessen mit den Kommunisten in der Stadt sympathisieren, | |
noch wie sein bester Freund Thies sich den Nationalsozialisten anschließen. | |
Denn der gehört bald zu denen, die zuschlagen, bis sich das Opfer nicht | |
mehr rührt – um hinterher zu erklären, in manchen Situationen sei Gewalt | |
das letzte Mittel, und das gehe einfach nicht anders. | |
Hannes wird den Niedergang des örtlichen Großbauern erleben, bei dem es | |
echten Bohnenkaffee gibt und dessen Tochter Mara nicht nur Gedichte liest | |
und Klavier spielt, sondern ihm auch den Kopf verdreht. Getragen ist all | |
das von großer Kenntnis über Zeit und Gegend und die verschiedenen | |
ländlichen Milieus: Hier weiß einer, wovon und worüber er schreibt. | |
Dabei kommt Knöppler eigentlich von der anderen Elbseite, aus der | |
Wesermarsch. Er ist bei Nordenham auf dem Land aufgewachsen, zu Hause | |
hatten sie Tiere, sein erster bester Freund war Landwirtssohn. Und was er | |
nicht aus Kindheit und Jugend kennt, hat er später selbst gelernt: den | |
Schafen jedes Jahr die Klauen schneiden; zu ordnen, welches Bein im | |
Schafsmutterleib zu welchem Lamm gehört, bei der Schafsräude die befallenen | |
Stellen rechtzeitig mit Fett einstreichen. | |
Anderes hat er sich berichten lassen, von den Nachbarn schräg gegenüber, | |
die noch als Magd und Knecht gearbeitet haben. Vom Vorsitzenden des | |
Heimatvereins hat er sich erzählen lassen, wie ein Mähbinder funktioniert | |
und dass man in einem reifen Getreidefeld erst mal eine Spur mit der Hand | |
mäht, in der dann die Pferde gehen und so nicht das Korn zertreten. | |
Und wenn es im Roman mit Hannes und Lisa auf die Elbe geht, Reusen setzen, | |
Reusen leeren und nebenher sich vorsichtig küssen, denn alle im Dorf gehen | |
davon aus, dass Lisa mit Thies ihr Leben teilen wird: Dann ist auch das | |
erzählerisch bestens eingebunden und geerdet. „Ich bin kein guter Segler, | |
aber ich weiß, worum es geht“, sagt Knöppler. Das macht, dass „Kronsnest�… | |
ein so wuchtiger wie überzeugender Roman ist, der es schafft, dass man | |
vergisst, dass man ein Buch liest. | |
Florian Knöppler nimmt das Lob etwas verlegen entgegen, lächelt: „Einen | |
Avantgarde-Text, der durch besondere formale Innovationen besticht, was ich | |
durchaus gern mal lese, würde ich nie schreiben.“ Und er streckt die Arme | |
seitlich aus, als würde er zwei Gewichte miteinander vergleichen: | |
„Normalerweise ist ja die Vorstellung, die Wirklichkeit ist hier und ein | |
poetischer Raum ist da. Wenn aber das Poetische in der Realität haarscharf | |
und griffig beschrieben wird, dann wertet es die Wirklichkeit auf.“ Okay: | |
Ob ihm das gelungen ist – das mögen nun andere entscheiden. Nur so viel | |
noch: „Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich als heutiger Mensch zu wenig | |
qualifiziert bin, um in diese Zeit zurückzugehen.“ | |
Und ja und absolut: Der Roman ruft nach einer Fortsetzung. Weil man wissen | |
will, wie es mit diesen ausgedachten und so real zu erlebenden Menschen | |
weitergeht. Weil man wissen will, ob sie das Glück finden werden und wie | |
sie dem Unglück begegnen. Welche Entscheidungen sie treffen und welchen sie | |
auszuweichen versuchen. | |
Und ja: In anderthalb Jahren wird der nächste Band erscheinen. Es wird dann | |
zwölf Jahre später sein, im Jahr 1941 werden wir den Helden wiederbegegnen, | |
die wir jetzt so ungern verlassen, denn dass es die nächsten Jahre | |
schwierig und schwer wird in Kronsnest, ist unüberlesbar. | |
15 Apr 2021 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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