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# taz.de -- Wasserkraftwerk Walchensee in Bayern: Die Kraft der Zerstörung
> Das Walchenseekraftwerk in Bayern erzeugt Energie mit Wasserkraft. Das
> gilt als klimafreundlich, dabei werden dafür Tiere und Pflanzen
> verdrängt.
Bild: Das Wasserkaftwerk Walchensee
Goldbraun heben sich die Huchen in der Strömung vom Kies im Isar-Bett ab.
Sie könnten als rostiger Zaunpfahl durchgehen, wenn nicht dann und wann
eine Schwanzflosse aus dem Wasser ragen würde. Zwei Huchen stehen einen
halben Meter vom Ufer der [1][Schotterbank am Münchner Flaucher] entfernt.
Am schmalen Kopf zeichnet sich ein langes Maul ab. Raubtiere.
Da schnellt das 80, 90 Zentimeter lange Huchen-Weibchen um die eigene
Achse, zeigt weißen Bauch, peitscht mit der hinteren Körperhälfte den Kies,
liegt für einen Moment rücklings im Wasser, schwappt zurück und steht schon
wieder ruhig in der Strömung, als das Männchen über dem Kies hoffentlich
das macht, was er soll: Die im Kies liegenden Eier besamen.
Die bis zu 1,50 Meter großen Huchen (Hucho hucho) sind mit den Forellen und
Lachsen verwandt. Angeln verboten, sie sind vom Aussterben bedroht, auch
wenn sie hier mitten in der Millionenstadt München laichen und leben. In
ihrem Lebensraum einiger Alpenflüsse auf dem Weg zur Donau fehlen die mit
sauerstoffreichem, kaltem Wasser überspülten Kiesflächen. Der Großteil des
Wassers aus den Alpen wird wie aus der Isar alle paar Kilometer in Kanälen
für Wasserkraftwerke abgeleitet. Der Fluss ist eine Restwasserstrecke, wie
Wasserbauingenieure sagen.
Oder die Flüsse werden wie der Lech alle paar Kilometer gestaut und
plumpsen dann durch die Turbinen, damit aus der gewonnenen Energie irgendwo
Strom wird. Die Huchen, Äschen, Nasen und anderen Fischarten der
Alpenflüsse brauchen den Kies. Er ist Brutkammer und Kinderstube der
Fischlarven und deren Futter aus Insektenlarven und Kleinkrebsen. Fließt zu
wenig Wasser, verklebt ein Schmodder aus Lehm und Pflanzenresten die
Lebensritzen der Flusstierchen.
Hoch oben in den Alpen gibt es ein anderes Problem. Den für die Wasserkraft
geteilten Alpenflüssen fehlt die Kraft, um Steine und Kiesel zu bewegen.
Geschiebe heißen die Schottermengen in natürlichen Alpenflüssen, doch die
Isar schiebt am Oberlauf nichts mehr. Der Schotter türmt sich, muss aus dem
trockenen Flussbett gebaggert und abtransportiert werden. Die Wasserkraft
der Isar fließt in das System des Walchenseekraftwerks.
„Das Walchenseekraftwerk ist eine ältere Dame“, sagt Theodoros
Reumschüssel, der Pressesprecher für Wasserkraft bei dem Energieunternehmen
Uniper. Er spricht mit Pausen, ist geübt darin, das komplexe
Kraftwerkssystem auch Laien verständlich zu machen. Das Kraftwerk gehört
Uniper, 2030 läuft die Genehmigung dafür ab, Uniper hat beim Bayerischen
Umweltministerium bereits den Weiterbetrieb beantragt. Reumschüssel hält
auch den Kontakt zu den Bürgermeistern entlang der Flüsse, spricht mit den
Fischereiverbänden und mit der kommunalen „Notgemeinschaft Rettet die Isar
jetzt“. „Eine ältere Dame mit einer weitverzweigten Verwandtschaft“, sagt
Reumschüssel und lässt seinen Blick über einen Schaukasten mit dem
Walchenseekraftwerk-System schweifen.
Vom Kochelsee schaut er die sechs grünen Rohre des Druckwasser-Kraftwerks
hinauf zum Walchensee. Am südlichen Seeufer erhebt sich das
Karwendelgebirge, zwischen den 2.500 Meter hohen Bergen für das
Spielzeugeisenbahnformat windet sich der Rißbach. Isar und Loisach laufen
bis nach Wolfratshausen im Alpenvorland, Streichholz große Strommasten
ziehen sich durch die alpenländische Miniaturlandschaft bis in die Münchner
Ebene. „Die Verwandtschaft oder das Kraftwerkssystem beginnt am Wehr in
Krün“, sagt Reumschüssel, drückt einen Knopf am Schaukasten und eine
winzige Lampe leuchtet tief in den Alpen am Stausee einer blau gemalten
Isar bei der Ortschaft Krün.
In Krün leitet Uniper den Großteil des Isarwassers in ein Betonkorsett.
Hier ist die alte Dame knausrig und lässt seit einem Landtagsbeschluss 1990
drei beziehungsweise 4,8 Kubikmeter Wasser pro Sekunde im Flussbett. Die
Wasserverringerung hat die Kilowattstundenausbeute im Walchenseekraftwerk
um 50 Millionen kWh im Jahr geschmälert. Doch das der Isar überlassene
Restwasser reicht für das natürliche Ökotop am Alpenfluss nicht aus.
Lavendel- und Purpurweiden verbuschen die Schotterinseln, Fichten breiten
sich in der Au aus, wo Schneeheide und Kiefern wachsen sollten. Es fehlt
die Wasserkraft der Zerstörung, die das Ökosystem Alpenfluss ermöglicht.
Alpenflüsse wie einst die Isar winden sich durch breite Täler, schieben
Steine und Kiesel von den Gletschern hinab, mäandern klar und türkisgrün,
schwellen während Regen und der Schneeschmelzen zu schlammigen Strömen,
reißen Weidengebüsch von den Ufern und Schotter von ihren Bänken.
Die Flüsse wechseln mit den Hochwassern ihren Lauf, türmen Steine, wo zuvor
der Enzian blühte. Die Harmonie der Alpenflüsse liegt in der Zerstörung,
erst der ewige Wandel verschafft den an dieses Ökosystem angepassten Tieren
und Pflanzen einen sicheren Lebensraum. Noch grünt im kargen Kiesbett der
Isar unscheinbar und weltweit einzigartig die Deutsche Tamariske, die sich
an Hitze, Dürre und Kälte in den Schotterritzen angepasst hat. Der seltene
Flussregenpfeifer brütet auf dem Kies, die Gefleckte Schnarrschrecke hat
auf den Geröllhalden der Alpenflüsse ihren letzten Lebensraum in
Deutschland.
2030 läuft die Konzession für das Walchenseekraftwerkssystem ab.
„Voraussetzung für eine neue Zulassung ist, dass die Belange der
Wasserrahmenrichtlinie im wasserrechtlichen Verfahren angemessen
berücksichtigt werden“, schreibt das Bayerische Umweltministerium auf
Anfrage. Bislang vernachlässigt der Freistaat die Umsetzung der
[2][EU-Wasserrahmenrichtlinie] rund um das Walchenseekraftwerk. Die
Wasserrahmenrichtlinie schreibt vor, dass Flüsse in „gutem
ökologischenZustand“ sein müssen. Späteste Frist ist 2027. Das
Umweltministerium will sich diese Zeit nehmen.
Alle Bundesländer müssen die Wasserrahmenrichtlinie umsetzen. Sie soll vor
allem den Lebensraum von Fischen wieder herstellen. An Tausenden Flüssen
mit kleiner Wasserkraft tut sich die Bayerische Landesregierung bislang
schwer, dem Druck der Wasserkraftlobbyisten zu widerstehen. So verschleppt
das Bayerische Umweltministerium seit 2017 einen Mindestwasserleitfaden,
der das ökologisch notwendige Restwasser in Zeiten des Klimawandels in den
Flüssen regelt. Rund 4000 der 4268 [3][Wasserkraftanlagen an den
bayerischen Flüssen] und Bächen sind so klein, dass sie zusammen nicht mehr
als 9 Prozent des bayerischen Stroms aus Wasserkraft erzeugen.
Die Betreiber der Kleinwasserkraftanlagen sind politisch bestens vernetzt.
Die Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein (seit dem Corona-Maskenskandal
nicht mehr in der CSU) und Peter Ramsauer (CSU) haben „stets ein offenes
Ohr für die Anliegen von uns Wasserkraftwerksbetreibern“, schreibt der
Verband der Bayerischen Wasserkraftwerke in einem Rundschreiben Anfang
2021. Er dankt den beiden CSU-Lobbyisten, dass sie im Dezember 2020 dafür
sorgten, dass die Kleinwasserkraftbetreiber nach der Novelle des
Erneuerbaren-Energie-Gesetzes 3 Cent mehr pro Kilowattstunde aus der
Staatskasse erhalten.
„Wir wollen, dass die Natur zu ihrem Recht kommt und die Gesetze
eingehalten werden“, sagt Norbert Schäffer, Vorsitzender des Landesbunds
für Vogelschutz (LBV). Der LBV und zwölf Organisationen von WWF und BUND
bis hin zum Bayerischen Fischereiverband und den Kommunen der
„Notgemeinschaft Rettet die Isar jetzt“ haben sich verbündet. Sie wollen
„auf Augenhöhe mitreden“ bei der Neukonzession des Walchenseekraftwerks und
mitbestimmen, wer die Umweltverträglichkeitsprüfung durchführt. Die 13
Verbände haben schlechte Erfahrungen mit dem „Drehtür-Ministerium“, wie
Schäffer sagt. Die Naturschützer, Bürgermeister, Fischereivertreter,
Kajakfahrer – und das generische Maskulinum reicht für das Bündnis – woll…
mehr Wasser in Isar, Rißbach und den anderen Flüssen.
Das Kraftwerk soll auf jeden Fall weiter bestehen, da sind sie sich einig.
„Das Restwasser muss wissenschaftlich festgelegt werden“, sagt Karl Probst,
Vorstand des Vereins „Rettet die Isar jetzt“, der seit 1974 für das Wasser
in der Isar am Oberlauf kämpft. Der Verein hat es einst geschafft, dass im
Isar-Bett zwischen Krün und dem 20 Kilometer entfernten Sylvensteinspeicher
seit 1990 überhaupt wieder Wasser fließt. Zuvor blieb der Schotter im
Flussbett 320 Tage im Jahr trocken. Nach einem Landtagsbeschluss muss der
Kraftwerksbetreiber 4,8 Kubikmeter Wasser pro Sekunde im Sommer und 3
Kubikmeter Wasser pro Sekunde im Winter in der Isar fließen lassen. Zu
wenig, damit sich der laut der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie geschützte
Lebensraumtyp „Alpine Flüsse“ entwickeln könnte. Oder der ebenfalls
geschützte Huchen in seinem natürlichen Lebensraum leben könnte. „Der ist
weg, Nasen san a weg“, sagt Probst über die Fische, die einst in großen
Schwärmen in der Isar lebten. Probst ist in Lenggries an der Isar
aufgewachsen und geht noch immer gerne fischen. Er ist Zahnarzt, saß für
die SPD im Kreistag und engagiert sich im Gemeinderat.
„Wir sind kompromissbereit“, sagt Theodoros Reumschüssel, Uniper würde au…
eine Studie über ökologisches Restwasser bezahlen, um „schnell zu einem
Kompromiss zu kommen“. Eine schnelle Einigung und eine langfristige
Genehmigung sichern die Rendite aus dem Walchenseekraftwerk, das seit 1924
effizient arbeitet. Ab Krün führt Uniper die Isar in einem Kanal in den
Sachensee, aus dem 500 Liter pro Sekunde in die Obernach fließen und im
Walchensee münden. Damit die Seeforelle aus dem Walchensee zu ihrem
Laichgebiet in der Obernach wandern kann, hat Uniper sieben Querbauwerke in
dem nun wieder natürlich anmutenden Fluss abgebaut.
Diese Mindestwasserabgabe stärkt die Natur und schmälert den Energiegewinn
um 2,5 Millionen kWh im Kraftwerk Obernach. Zum Kraftwerk Obernach saust
der Großteil des Isarwassers, das Uniper im Walchenseekraftwerkssystem drei
Mal nutzt, wie Reumschüssel gern betont. Aus dem Obernach-Kraftwerk speist
das Isarwasser dann den Walchensee.
Von Natur aus hatte die Isar sich nach der letzten Eiszeit vor 11.000
Jahren ein Tal weiter südlich gesucht und ist nie durch den Walchensee
geflossen. In den Bergen würde der Rißbach in die Isar sausen, doch wird
der wasserreiche Rißbach an den meisten Tagen des Jahres durch Rohre in das
Kraftwerk Niedernach am Ostufer des Walchensees umgeleitet.
Nun tritt die ältere Dame Walchenseekraftwerk auf. Aus dem 802 Meter hoch
gelegenen Walchensee fließen das um Isar- und Rißbachwasser ergänzte
Walchenseewasser durch einen künstlichen Tunnel quer durch den Berg in ein
Wasserschloss oberhalb des Kochelsees. Durch sechs Rohre saust das Wasser
hinab, treibt Turbinen, gibt Kraft für erneuerbare Energie und trudelt
schließlich durch einen Kanal in den Kochelsee. Die Generatoren gewinnen
daraus 300 Millionen Kilowattstunden im Jahr.
Da das Walchenseekraftwerk ein Speicherkraftwerk ist, kommt die Wasserkraft
immer dann zum Einsatz, wenn auf einen Schlag viel Strom gebraucht wird.
Zum Beispiel für die Deutsche Bahn. „Wenn die Bahn gleichzeitig einen ICE
in Hamburg, Köln und Berlin losschickt, dann wackelt die Kaffeetasse im
Büro“, sagt Reumschüssel, der ein Büro über dem Wasserauslauf des
Kraftwerks hat. Sein vibrierender Kaffeebecher auf seinem Bürotisch trägt
die Aufschrift des früheren bayerischen Ministeriums für Wirtschaft,
Energie und Technologie.
„Der Isar fehlt die Dynamik, der Rißbach ist eine Totstrecke“, sagt Karl
Probst vom Verein „Rettet die Isar jetzt“. Er steht im 300 Meter breiten
Schotterfeld an der Mündung von Rißbach in die Isar. Schnee bedeckt Kiesel
und Steine, kein Wasser fließt Mitte April. Vier Kilometer oberhalb dieser
wüstenartigen Landschaft rauscht der klare Rißbach über kalkreiche Steine,
die das Wasser türkisgrün scheinen lassen. Dann kommt ein Wehr. „Und in dem
Loch verschwindet’s“, sagt Probst und deutet auf einen Tunnel. Noch so ein
Verwandter des Walchenseekraftwerks.
Bei starken Hochwassern, wenn Steine, Äste, ja ganze Baumstämme mit dem
Rißbach aus den Alpen rauschen, öffnet Uniper die Schleusen und der Rißbach
macht, was er soll. Das Wasser reißt Grünzeug und Steine zu Tal. Mitte
April rauscht nichts unterhalb der Sperre. „Wenn man da aufgewachsen ist,
hängt man dran“, sagt Probst und schaut über die Flusslandschaft im
Gebirge. Immerhin haben Wirtschafts- und Umweltministerium ihm mittlerweile
schriftlich zugesagt, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung vor der
Neubewilligung durchgeführt wird. „Das ist der große Vorteil, den wir
haben“, sagt Probst. „Am Ende wird es eine politische Entscheidung sein.“
29 Apr 2021
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## AUTOREN
Ulrike Fokken
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