# taz.de -- Kunst an Berliner U-Bahnhof: Was in den Sternen steht | |
> Für eine Plakataktion haben sich Künstler*innen mit brasilianischen | |
> Kolleg*innen zusammengetan – und verschönerten, was sonst meist trist | |
> ist. | |
Bild: Eines der Plakate von Südstellium am Berliner U-Bahnhof Kottbusser Tor | |
Beim Warten auf die U-Bahn den Nachthimmel betrachten – das geht in Berlin | |
am Kottbusser Tor sowieso immer. An der U1 zumindest, die dort bekanntlich | |
über der Erde fährt. Nun hat der echte Himmel über Berlin Konkurrenz | |
bekommen: vom Himmel über Brasilien. Das Projekt „Südstellium“ lässt ihn | |
mittels Plakaten hinter den U-Bahn-Gleisen aufgehen. | |
Drei Plakate sind es, drei Motive, die in künstlerischen Kooperationen | |
zwischen Berlin und unterschiedlichen Regionen in Brasilien entstanden. Auf | |
dem ersten, das man von der Treppe aus erreicht, hat der Mond es sich | |
gemütlich gemacht. Lässig nach hinten gelehnt hängt er am Himmelszelt, über | |
ihm die Sterne. Zwei Formationen sind markiert, Teile des Oriongürtels, | |
gezeichnet bzw. gestickt in der Konstellation, wie sie in der südlichen | |
Hemisphäre zu sehen ist. Es ist die Fotografie einer Stickerei, collagiert | |
auf eine Aufnahme aus der Berliner Nacht, die den Blick aus dem Studio der | |
Künstlerin Ana Hupe in Weißensee auf die Häuserdächer zeigt. | |
Ana Hupe, Barbara Marcel und Matheus Rocha Pitta, drei in Berlin lebende, | |
aus Brasilien stammende Künstler*innen, haben das Projekt initiiert und | |
ihm seinen Namen gegeben, der astronomische, geopolitische und kulturelle | |
Vorstellungen über den Himmel hier wie da miteinander verbinden soll. Um | |
utopische Zukunftsvisionen indigener brasilianischer Kulturen geht es, aber | |
auch um die prekäre Gegenwart, die [1][aktuellen Konflikte in dem | |
südamerikanischen Land], deren Lösung in den Sternen steht. | |
Für 20 Tage haben Hupe, Marcel und Rocha Pitta die drei U-Bahn-Tafeln am | |
U-Bahnhof Kottbusser Tor angemietet. Die Plakate sollen wie Brücken quer | |
über den Erdball funktionieren, Fenster öffnen für Botschaften aus | |
Brasilien. So ist es auch bei dem gestickten Mond und den Sternen über den | |
Häuserdächern: Ana Hupe hat das Plakat gemeinsam mit Maria de Lourdes da | |
Silva, Amanda Caroline Martins da Silva, Allyson Martins da Silva und | |
Jocicleide Valdeci da Silva gestaltet, die allesamt im Quilombo Conceição | |
das Crioulas im Norden Brasiliens leben. | |
Finanzielle Unterstützung für die Partner*innen | |
Was Quilombos sind, erklärt Ana Hupe bei einem Treffen vor den Plakaten: | |
erste demokratische Strukturen nämlich, die in Südamerika während der | |
Sklaverei entstanden, alternative ökonomische und soziale Strukturen, die | |
wie das Quilombo Conceição das Crioulas bis heute aktiv sind – unter der | |
Regierung Bolsonaros aber in ihrer Existenz gefährdeter denn je. Jenes | |
wurde 1802 gegründet und stets von Frauen geführt. Hupe war dort 2017 zu | |
Gast, lernte insbesondere Maria de Lourdes da Silva kennen – eine | |
Aktivistin, Lehrerin, Landwirtin, die „wie eine Künstlerin denkt“. Mit ihr | |
und weiteren Frauen aus deren Gemeinschaft zusammenzuarbeiten, deren | |
Kunsthandwerk aber auch sie selbst vorzustellen, lag nahe. Das Projekt sei | |
dabei auch finanzielle Unterstützung. Hupe wie auch Marcel und Rocha Pitta | |
zahlten ihren Partner*innen aus ihren Fördergeldern Künstlerhonorare. | |
Das Plakat von der Künstlerin Barbara Marcel und der Juristin und | |
Aktivistin Vândria Borari entstand in Gesprächen über präkolumbianische | |
Kunstwerke aus der Marajó-Kultur, die sich in der Sammlung des Berliner | |
Ethnographischen Museums befinden und der Debatte zu den darin | |
visualisierten religiösen Vorstellungen und deren [2][Verbleib in | |
europäischen Kulturinstitutionen], Themen, zu denen Marcel schon seit | |
Längerem arbeitet. Das Plakatmotiv bringt die Diskurse, Vergangenheit und | |
Gegenwart zusammen: Die Collage zeigt eine in der Sicherheitskontrolle am | |
Flughafen beschädigte Aufnahme einer der Vasen aus der Berliner Sammlung – | |
und eine Gruppe Geier, Totengräbervögel an einem Strand am Ufer des Rio | |
Tapajós, nahe der Fundorte jener Artefakte. | |
All diese Hintergründe erklären sich freilich beim bloßen Betrachten der | |
Plakate nicht. Auf den ersten Blick mögen diese kryptisch erscheinen. | |
Bestenfalls machen sie aber genau deswegen neugierig – gerade in diesen | |
kunstarmen Zeiten –, und wer den darauf vermerkten Titel „Südstellium“ in | |
eine Onlinesuchmaschine eingibt, wird tatsächlich schnell fündig: | |
Empfehlenswert ist der [3][Instagram-Kanal des Projekts]. | |
Die drei Künstler*innen erläutern dort die Kooperationen und die | |
Geschichten hinter den Motiven, die diese allein nicht erzählen. Hupe zeigt | |
Bilder von ihrem Aufenthalt im Quilombo, Marcel erklärt unter anderem die | |
symbolische Bedeutung von Geiern in der tapajonischen Kosmologie, wo sie | |
als Mittler zwischen Himmel und Erde gelten, und Rocha Pitta, der für das | |
dritte der Plakate mit dem Künstler Frederico Filippi zusammenarbeitete, | |
was all das mit den ersten Bildern des Schwarzen Lochs zu tun hat. | |
Bald soll eine kleine Edition der Plakatmotive erhältlich sein, auch eine | |
Fortsetzung des Projekts ist geplant. | |
26 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Druck-auf-Brasiliens-Praesidenten/!5763748 | |
[2] /Raubkunst-in-Berlin/!5757043 | |
[3] http://www.instagram.com/sudstellium | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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