# taz.de -- Nebenwirkungen bei Corona-Impfung: Was ist los mit diesen Impfstoff… | |
> Thrombosen nach Vektor-Impfungen treten nur sehr selten auf, führen aber | |
> zu Lieferstopps. Ein Forscherteam ist den Ursachen auf der Spur. | |
Bild: Impfzentrum des Landkreises Augsburg. Medizinsche Mitarbeiterinnen bereit… | |
Nur ein Piks und fertig: In diesen Tagen sollten die Impfungen mit dem | |
Johnson & Johnson-Impfstoff beginnen. Anders als alle bisher in Deutschland | |
zugelassenen Impfstoffe muss er nur einmal verabreicht werden, um die volle | |
Wirkung zu entfalten. Doch nicht nur in den USA wurden die Impfungen mit | |
dem Johnson & Johnson-Vakzin nach auffälligen Thrombosefällen vorübergehend | |
ausgesetzt. Auch in Deutschland verzögert sich der Impfstart mit Johnson & | |
Johnson. Der US-Pharmakonzern hatte seine Lieferungen nach Europa zeitweise | |
gestoppt. | |
Eine ähnliche Situation wie die USA erlebte Europa einige Wochen zuvor mit | |
dem Impfstoff von AstraZeneca. Die Parallelen sind kaum zu übersehen: In | |
beiden Fällen geht es um sehr seltene Thrombosen vor allem in der äußeren | |
Hirnhaut (Sinusvenenthrombose) in Verbindung mit einem Blutplättchenmangel | |
(Thrombozytopenie). Sie sind im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung | |
aufgetreten. Beide Impfstoffe beruhen auf demselben Prinzip: Es handelt | |
sich um adenovirusbasierte Vektorimpfstoffe (siehe Infokasten). | |
Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA sowie die Gesundheitsbehörde | |
CDC gehen derzeit acht Verdachtsfällen auf rund 7 Millionen Impfungen mit | |
dem Vakzin von Johnson & Johnson in den USA nach. So lange pausieren die | |
Impfungen mit dem Impfstoff dort. Bei den Betroffenen handelt es sich um | |
sieben Frauen und einen Mann im Alter von 18 bis 49 Jahren. | |
Für AstraZeneca hat das deutsche Paul-Ehrlich-Institut bei derzeit rund 4,2 | |
Millionen Impfungen 59 Fälle einer Sinusvenenthrombose erfasst, davon 31 in | |
Kombination mit einer Thrombozytopenie. | |
## Entschlüsselung in Greifswald | |
Insbesondere die Verbindung der Thrombosen an auffälligen Orten wie Gehirn, | |
Bauchvenen oder Arterien mit einem Blutplättchenmangel hatte | |
Expert*innen und Kontrollbehörden wachsam gemacht. In der | |
Normalbevölkerung kommt diese Kombination überaus selten vor. Hinzu kommen | |
weitere hochspezifische diagnostische Befunde, die die Thrombosefälle nach | |
den Impfungen von anderen Sinusvenenthrombosen abgrenzen, sagt Professor | |
Johannes Oldenburg, Direktor des Instituts für Experimentelle Hämatologie | |
und Transfusionsmedizin an der Uniklinik Bonn. Es handele sich deshalb | |
eindeutig um ein neues Krankheitsbild. | |
„Vaccine-induced Immune Thrombotic Thrombocytopenia“ wird es inzwischen in | |
Fachkreisen genannt, kurz VITT. | |
Bei der Entschlüsselung von VITT macht sich aktuell vor allem ein | |
Forscherteam aus Greifswald um den Immunologen und Transfusionsmediziner | |
Andreas Greinacher verdient. Am Mittwoch konnte Greinachers Team der | |
internationalen Wissenschaftswelt eine Erklärung dafür vorlegen, wie der | |
Impfstoff von AstraZeneca die seltene Nebenwirkung hervorruft. Sehr | |
vereinfacht dargestellt: Einzelne Inhaltsstoffe verursachten eine Kette von | |
fehlgeleiteten Immunreaktionen, die zum Teil auf evolutionär sehr alten | |
Abwehrmechanismen basieren. Nur bei wenigen Patient*innen versage das | |
körpereigene Sicherheitssystem an den vielen verschiedenen Stellen der | |
Reaktionskette. Deshalb seien mutmaßlich auch nur so wenige Menschen von | |
den lebensgefährlichen Thrombosen betroffen, die jetzt auffällig wurden. | |
Ob die seltene Nebenwirkung ein Problem des Impfstofftyps ist? Gut möglich, | |
sagt Greinacher und hat gerade mit den Impfstoffexperten von Johnson & | |
Johnson eine Zusammenarbeit zur weiteren Untersuchung von deren Impfstoff | |
beschlossen. | |
## Einfach Inhaltsstoffe ersetzen? | |
Bei den bisher betroffenen Patient*innen fällt jedenfalls auf: Es | |
handelt sich vor allem um Frauen, die meisten von ihnen sind nicht älter | |
als 50. Greinacher bezweifelt aber, dass es sich bei VITT generell um eine | |
„Krankheit jüngerer Frauen“ handele. Vielmehr treten vor allem die | |
Sinusvenenthrombosen auch in der Normalbevölkerung häufiger bei Frauen im | |
3. und 4. Lebensjahrzehnt auf. Zudem seien gerade in Deutschland die Zahlen | |
vermutlich dadurch verzerrt, dass bisher überwiegend jüngere Frauen mit dem | |
AstraZeneca-Impfstoff geimpft wurden. Entsprechend der Impfreihenfolge und | |
der zunächst geltenden Altersbegrenzung bis 65 kamen vor allem Menschen in | |
Pflegeberufen und damit überproportional viele jüngere Frauen zum Zug. | |
Welche konkreten Auswirkungen könnten nun die Erkenntnisse der | |
Forscher*innen auf die Impfstoffe haben? Man könnte perspektivisch die | |
verdächtigen Inhaltsstoffe ersetzen, sagt Greinacher. Ob das dann aber noch | |
einen funktionierenden Impfstoff ergebe, müssten die | |
Impfstoffentwickler*innen noch herausfinden. | |
Kurzfristig stellte die Europäische Arzneimittelagentur EMA wie auch schon | |
bei dem Impfstoff von AstraZeneca klar, dass sie auch das Vakzin von | |
[1][Johnson & Johnson für die Bekämpfung der Pandemie für geeignet hält]. | |
Am Mittwoch verkündete EMA-Chefin Emer Cooke, man habe bereits seit März | |
Erfahrungen mit diesem Krankheitsbild und könne die Daten rasch beurteilen. | |
Das Risiko, an Covid-19 schwer zu erkranken, sei jedenfalls weiter deutlich | |
höher als das Risiko einer seltenen Nebenwirkung nach der Impfung. Im | |
Beipackzettel sollen die seltenen Thromboseereignisse nun als Warnhinweis | |
aufgenommen werden, um Patient*innen und Ärzt*innen für das | |
Krankheitsbild zu sensibilisieren. | |
VITT machten sich in der Regel einige Tage bis drei Wochen nach Impfung | |
durch Symptome wie Kurzatmigkeit, Beinschwellung, anhaltende Bauch- oder | |
Kopfschmerzen, im weiteren Verlauf auch punktuelle Blutungen, Sehstörungen | |
und andere neurologische Ausfälle bemerkbar. Bei entsprechender Diagnose – | |
dafür gibt es bereits einen speziellen Bluttest – können die Betroffenen in | |
Spezialzentren behandelt werden. | |
## Nicht alle EU-Länder hören auf die EMA | |
Schon beim AstraZeneca-Impfstoff folgten allerdings nicht alle europäischen | |
Länder den Empfehlungen der EMA. So schränkten Länder wie Frankreich und | |
Deutschland die Nutzung [2][auf Menschen über 55 beziehungsweise 60 Jahre | |
ein], denn bei älteren Menschen fällt die Risiko-Nutzen-Abwägung noch sehr | |
viel deutlicher zugunsten des Impfstoffs aus: Ihr Risiko, schwer an | |
Covid-19 zu erkranken, allein schon die Gefahr, durch Covid-19 eine | |
Thrombose zu bekommen, ist um ein Vielfaches höher als Nebenwirkungen des | |
Impfstoffs. Eine Altersbegrenzung sei deshalb sinnvoll, betont auch | |
Hämatologe Oldenburg. „Und wenn man auf diesen Impfstoff weniger stark | |
angewiesen ist, dann kann man es sich auch erlauben, diese Grenze mit | |
großen Sicherheiten zu belegen.“ | |
Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Bayern und Berlin haben indessen | |
entschieden, die Priorisierung für den AstraZeneca-Impfstoff aufzuheben und | |
Menschen aller Altersgruppen damit zu impfen. [3][Dänemark und Norwegen | |
setzten die Verwendung des AstraZeneca-Impfstoffs dagegen zunächst ganz | |
aus]. Wie die Länder nun die Empfehlung der EMA für das Johnson & | |
Johnson-Vakzin umsetzen, bleibt abzuwarten. Die Ständige Impfkommission hat | |
am Donnerstag beraten, bei Redaktionsschluss war aber noch kein Ergebnis | |
bekannt. | |
Die Impfstofflieferungen von Johnson & Johnson nach Europa wurden nach der | |
EMA-Empfehlung jedenfalls wieder aufgenommen. Laut | |
Bundesgesundheitsministerium soll der Impfstoff ab übernächster Woche auch | |
[4][an die Hausarztpraxen] geliefert werden. Bundesgesundheitsminister Jens | |
Spahn (CDU) geht außerdem davon aus, dass bereits im Juni die bisherige | |
Impfreihenfolge aufgehoben wird, mit der vor allem ältere und vorerkrankte | |
Menschen sowie bestimmte Berufsgruppen priorisiert werden. Sie sollten bis | |
dahin alle ein Impfangebot erhalten haben. | |
Allein vom Johnson & Johnson-Impfstoff erwartet Deutschland bis Ende Juni | |
rund 10 Millionen Impfdosen. Da der Impfstoff, wie eingangs erwähnt, nur | |
einmal verabreicht wird, ließen sich damit tatsächlich 10 Millionen | |
Menschen vollständig immunisieren. | |
22 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
Alena Weil | |
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