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# taz.de -- Corona-Impfstoff von Biontech: Die verflixte siebte Dosis
> Wegen rechtlicher Unsicherheiten landet viel Impfstoff derzeit im Müll.
> Eine Impfhelferin, die das nicht richtig fand, darf nun nicht mehr
> arbeiten.
Bild: Da ginge noch was: Sechs Spritzen werden bisher mit Biontech-Impfstoff au…
Berlin taz | Während einer Pandemie Impfdosen entsorgen? „Das ist wie im
Krieg Brot wegschmeißen“, sagt Julia Weise (Name geändert). Die gelernte
Pflegefachkraft ist Impfhelferin in Sachsen. Oder besser gesagt: Sie war
es. Weil sie sich weigerte, die bei einer Biontech-Impfstoffampulle
mögliche siebte Dosis zu verwerfen, sei sie „kaltgestellt“ worden. Ihre
Geschichte ist nur der Gipfel einer von Unsicherheit geprägten Debatte um
den Umgang mit den Impfstoffdosen.
Diese Unsicherheit lässt sich in Zahlen fassen. Jede
Biontech-Durchstechflasche enthält nach Verdünnung rein rechnerisch 7,5
mögliche Impfdosen. [1][Zugelassen sind von der Europäischen
Arzneimittelbehörde aber nur 6 Dosen], zum Impfstart waren es [2][sogar nur
5]. Es ist üblich, dass bei auf diese Weise zu verabreichenden Medikamenten
eine Reserve in der Flasche bleibt. In einer Pandemie, in der Impfstoff
weltweit knappes Gut ist, hat diese Reserve aber eine ethische und
politische Dimension.
„Wer einmal gelernt hat, steril Spritzen aufzuziehen, für den ist es kein
Problem, daraus eine siebte Dosis zu gewinnen“, sagt Julia Weise. Wegen der
rechtlichen Unsicherheiten werden in den meisten Impfzentren aber nur 6
Dosen pro Biontech-Durchstechflasche verimpft. Rein rechnerisch sind so
seit dem Impfstart bis zu 15 Prozent der in Impfzentren möglichen
Biontech-Dosen verworfen worden. Das wären allein bei diesem Impfstoff weit
über 1 Million Impfdosen. Auch bei Moderna und AstraZeneca ist jeweils eine
zusätzliche elfte Dosis möglich.
Bei den mobilen Impfteams, mit denen Weise auch unterwegs war, habe man die
Frage der siebten Biontech-Dosis je nach Team „pragmatisch gelöst“. Bei
einem Einsatz kam es aber zur Eskalation: Wenn sie mehr als sechs Spritzen
pro Flasche aufziehe, dann sei sie raus, habe man Weise gesagt. „Ich kenne
so viele, die verzweifelt auf eine Impfung warten“, sagt sie. Sie bestand
darauf, dass man keinen Impfstoff verwerfen dürfe. Ihre bereits
vereinbarten Einsätze als Impfhelferin wurden daraufhin von der
Koordinierungsstelle storniert.
[3][Julia Weise ist nicht die Einzige, der es so erging. Wie die Sächsische
Kassenärztliche Vereinigung bestätigt,] wurde einer Ärztin im Erzgebirge
die weitere Mitarbeit im Impfzentrum untersagt, nachdem sie überschüssige
Dosen verimpft hatte.
Die Ärztin Jana Husemann aus Hamburg verimpft dagegen schon länger die
zusätzlichen Dosen. „Das ist nur eine Frage der Technik“, sagt sie. Anders
als bei den Bund und Ländern unterstehenden Impfzentren handeln die
Hausärzt*innen in eigener Verantwortung. [4][Eine Strafbarkeit beim
Abweichen von den zugelassenen Dosen verneinten Strafrechtler*innen
schon Mitte März in einer Risikoanalyse.]
Mit einem im April an die Landesministerien verteilten Informationsblatt
stellt auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) inzwischen klar, dass
die Hersteller zwar die zusätzlichen Dosen nicht garantieren, die Entnahme
aber möglich und gesetzlich zulässig sei. Sie erfordere aber „auf Seiten
der Anwender eine besondere Umsicht und Sorgfalt“. Gemeint sind neben
Erfahrung und Technik insbesondere die Verwendung spezieller Spritzen und
Kanülen, die allerdings bei Biontech auch schon für die sechste Dosis
vorgesehen sind. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung [5][veröffentlichte
Auszüge aus dem Schreiben] auf ihrer Homepage.
„Die sichere Entnahme der Impfdosen liegt grundsätzlich in der
Verantwortung der ärztlichen Person bzw. des Personals, das den Impfstoff
unter fachlicher Verantwortung in geeigneten Spritzen aufzieht“, teilt das
BMG auf Anfrage der taz mit. Eine Unterdosierung ist bei jeder Dosis sicher
auszuschließen.
Die rechtliche Unsicherheit aber bleibt, solange es keine klare Empfehlung
zur Entnahme aller möglichen Dosen gibt. „Eine offizielle Ansage wäre
nötig, damit Ärzte nicht aus Verunsicherung die zusätzlichen Dosen
verwerfen“, fordert Husemann, die auch Vorsitzende des Hamburger
Hausärzteverbands ist. Auch der Deutsche Hausärzteverband verlangte jüngst
nach mehr Rechtssicherheit.
## Eine Petition scheiterte in Bayern
Es werde vermutet, sagt Husemann, dass die Bundesregierung dies vermeidet,
weil dann die Hersteller die Impfstofflieferungen an Deutschland kürzen
könnten. Bei der Zulassung der sechsten Biontech-Dosis war genau das
passiert. „Aber wir können doch nicht hier in Deutschland Impfstoff
verwerfen, wenn er auf der ganzen Welt fehlt“, so Husemann.
In einzelnen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen,
Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein wird die Entnahme der zusätzlich
möglichen Dosen inzwischen empfohlen. In Bayern scheiterte die Petition
eines Hausarztes gegen die Impfstoffverschwendung.
Julia Weise, die in Sachsen nicht mehr als Impfstoffhelferin eingesetzt
wird, sind eine Menge lukrativer Schichten entgangen. „Aber mir geht es
doch nicht ums Geld“, sagt sie. „Ich will, dass hier endlich alles
verspritzt wird, was da ist.“
5 May 2021
## LINKS
[1] https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/comirnaty-epar-p…
[2] /Aktuelle-Nachrichten-in-der-Coronakrise/!5742616
[3] https://www.freiepresse.de/erzgebirge/marienberg/warum-eine-aerztin-aus-mar…
[4] https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?nid=jpr-NLSFADG000421&…
[5] https://www.kbv.de/html/1150_51891.php
## AUTOREN
Manuela Heim
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