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# taz.de -- Corona und Risikokonsum in Tübingen: Homo palmericus
> Tübingens OB Boris Palmer prahlt mit seiner Corona-Modellstadt. Doch dort
> zeigt sich lediglich sein rechtsliberales Menschenbild.
Bild: Offizielle Pandemiebekäpfung in Tübingen, 28. März 2021
Die Schwaben sind ein stolzes Volk. Das kann man derzeit an Boris Palmer
beobachten: Auf seinem Facebook-Account teilte Tübingens Oberbürgermeister
ein Bild vom belebten Rathausplatz und einen Artikel, der zwei Menschen
zeigt, die sich mit Weizenbier zuprosten.
Es sind Bilder des Alltags, die aktuell so erstaunen, weil sie für die
meisten Menschen mitten in der dritten Welle alles andere als Alltag sind.
Die Bilder sind Ausdruck jenes schwäbischen Stolzes, der sich auch im
Landesspruch artikuliert: ‚Mir kennet älles außer Hochdeitsch‘ – und in
Tübinga kennet sie jetzt au Normalität!
Nun ist es aber so, dass auch in Tübingen, wo man derzeit gegen einen
negativen Coronatest [1][einkaufen und gastronomisch speisen kann], die
Infektionszahlen steigen: Zuletzt hat sich die Inzidenz innerhalb weniger
Tage [2][fast verdoppelt], [3][am Mittwoch lag sie bei 89,6], im
[4][Landkreis Tübingen] am Donnerstag bei über 131.
Palmer äußerte sich dazu [5][bei einem Onlinetalk]: Dass die Zahlen
hochgingen, heiße nicht, dass man in Tübingen schlecht sei, denn sie gingen
ja auch woanders hoch. Das Tübinger Modell stehe aber trotzdem unter Druck.
## Schuld sind immer die Anderen
Und daran liegt es wohl, dass Palmer für das drohende Ende seines
Modellprojekts schon mal vorsorglich die Schuldigen nannte: Die erhöhte
Inzidenz gehe auch auf einen Ausbruch in einer Erstaufnahmestelle für
Geflüchtete zurück. Außerdem beklagte er sich über junge Menschen, die
abends in der Stadt Party machten.
Hier zeigt sich der Geist des Tübinger Sonderwegs: Saufen und speisen
sollen nur jene, die sich das bei der örtlichen Gastronomie leisten können;
wer dies auf altstädtischen Treppen tut, der sabotiert die Freiheit der
Anständigen. Um diese Externalisierung der Verantwortung abzusichern, nennt
man dann noch die Flüchtlinge. Während woanders durchgehalten wird,
bekommen konsumfreudige Tübinger ihr exklusives Ticket in die Freiheit im
Sinne des Bürgermeisters. Die Widersprüche dieses Freiheitsverständnisses
löst man mit Verweis auf die anderen auf.
Dieser Palmer’sche Rechtsliberalismus, zu dem auch [6][der aktuelle Aufruf
gegen vermeintliche Cancel Culture] passt, braucht Projektionsflächen für
den Fall, dass er an der Coronarealität scheitert. Und irgendwie müssen
die Tübinger ja auch damit klarkommen, dass das Virus nicht vor ihren
Vorgärten Halt macht – auch wenn sie dort in schwäbischer Penibilität eine
sichere Zone für ihren hart verdienten Konsum geschaffen zu haben meinen.
2 Apr 2021
## LINKS
[1] /Corona-Modellprojekt-in-Tuebingen/!5758382
[2] https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.modellprojekt-in-tuebingen-boris-…
[3] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/tuebingen/kritik-modellpro…
[4] https://www.kreis-tuebingen.de/17094149.html
[5] https://www.youtube.com/watch?v=0dumS9xL4b8
[6] /Gruenen-Aufruf-gegen-Cancel-Culture/!5763818
## AUTOREN
Volkan Ağar
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
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Kolumne Postprolet
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