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# taz.de -- Boris Palmer und die Grünen: Schlussakt einer Entfremdung
> Grünen-Chef Habeck nennt das Parteiausschlussverfahren gegen Tübingens OB
> „unvermeidlich“. Es dürfte darin auch um alte Konflikte gehen.
Bild: War not amused über Palmers neueste Entgleisung: Ministerpräsident Winf…
Berlin taz | Die Grünen bereiten das Parteiausschlussverfahren gegen
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer vor. Palmer habe Sätze auf seiner
Facebook-Seite gepostet, „die eines Oberbürgermeisters ungehörig sind, die
beleidigend sind, die rassistisch sind“, sagte Parteichef Robert Habeck am
Montag. Habeck bezeichnete es als „Chance“, dass es nun ein geordnetes
Verfahren gebe. Das sei fast besser, „als dass man sich immer wieder die
Meinung sagt.“
Die baden-württembergischen Grünen hatten am Samstag auf einem
Landesparteitag beschlossen, ein Parteiausschlussverfahren gegen Palmer
anzustrengen. [1][Grund ist eine Entgleisung, die Palmer am Freitag auf
Facebook postete.] In einem Schlagabtausch mit einem anderen Nutzer über
den ehemaligen Nationalfußballer Dennis Aogo verwendete Palmer das N-Wort,
also eine rassistische Zuschreibung für schwarze Menschen – zusammen mit
einem ordinären Wort für Aogos Penis. Palmer besteht darauf, den Kommentar
ironisch und satirisch gemeint zu haben.
Parteichef Habeck sagte, er persönlich habe in den vergangenen Jahren bei
Konflikten mit Palmer immer wieder versucht, Dinge im Hintergrund zu klären
und Lösungen zu finden. „Es wurden wirklich viele Worte gewechselt und
viele Hände ausgestreckt.“ Dass nun ein Verfahren angestrengt werde, sei
aber „unvermeidlich“ gewesen. „Ich gehe davon aus, das es ein Gesamttable…
der Auseinandersetzung wird“, sagte Habeck mit Blick auf frühere Vorfälle.
Palmer und die Grünen waren immer wieder aneinander geraten. 2018 schloss
er auf Facebook von dem rüpelhaften Verhalten eines Radfahrers und seiner
Hautfarbe darauf, dass er Asylbewerber sein müsse. Als die Deutsche Bahn
2019 in einer Werbekampagne mit dem schwarzen Koch Nelson Müller und der
türkischstämmigen Moderatorin Nazan Eckes warb, fragte Palmer öffentlich:
[2][„Welche Gesellschaft soll das abbilden?“] Im Frühjahr 2020 kritisierte
er Corona-Maßnahmen mit dem Satz: „Wir retten in Deutschland möglicherweise
Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“
## Kreisverband ist überrumpelt
Laut Bundessatzung der Grünen kann ein Mitglied ausgeschlossen werden, „das
vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze oder Ordnung
von Bündnis 90 / Die Grünen verstößt und der Partei damit schweren Schaden
zufügt.“ Habeck vermied es, persönlich Stellung zu beziehen. Er wolle dem
Verfahren und dem Gericht nicht vorgreifen. Nun werde der Landesverband
Baden-Württemberg die Punkte formulieren, die Palmer vorgeworfen würden,
betonte Habeck. Die erste Ebene des Verfahrens könnte dann der Tübinger
Kreisverband sein.
Dort war man am Montag etwas überrumpelt von dem Verfahren, dass da auf den
Verband zu rollt. Immerhin hat man schon ein Schiedsgericht, das gibt es
längst nicht in allen Kreisverbänden. Aber noch ist offen, ob dort
überhaupt verhandelt wird. „Wir werden uns in den nächsten Tagen auch mit
der Landespartei drüber unterhalten, wie das läuft“, hieß es vom
Kreisvorstand.
Es ist unklar, ob ein rein ehrenamtlich besetztes Gremium dem bundesweit
beachteten Fall gewachsen wäre, auch medial. Zudem sind die Kontakte und
Verflechtungen im Tübinger Kreisverband eng. Man kennt sich seit Jahren,
muss mit Palmer auf lokaler Ebene täglich zusammenarbeiten. Es könnte also
sein, dass sich das regionale Gremium für befangen erklärt und dann ein
Landesschiedsgericht über den prominenten Fall entscheiden muss.
So hatte sich das Boris Palmer auch gewünscht: Er will beantragen, dass
nicht vor dem Kreis- sondern vor dem Landesschiedsgericht verhandelt wird.
An dem Antrag des Landesverbandes auf ein Parteiordnungsverfahren arbeiten
in Stuttgart jetzt Juristen. Ähnlich wie Habeck geht dort keiner davon aus,
dass es bei den Vorwürfen der Partei gegen Palmer nur um die letzte
Entgleisung gehen wird. Auch Palmer selbst findet: „Es ist gut und
reinigend, wenn jetzt die ganze Palette an Vorwürfen einmal aufgearbeitet
wird.“
## „Das spaltet auch in der Stadt“
Spätestens seit 2015 erprobt Palmer die Geduld seiner Partei. Die
allermeisten Grünen sind nur noch genervt. Man habe keine Lust, immer über
die Stöckchen zu springen, die Palmer hinhalte, hieß es in der Berliner
Parteizentrale. „Es ist ein fortlaufender Prozess der Entfremdung, der sich
jetzt beschleunigt hat“, sagte der grüne Tübinger Bundestagsabgeordnete
Chris Kühn. Kühn kennt Palmer lang, hat auch wegen kommunaler Themen immer
wieder eng mit ihm zu tun. Anders als Palmer gehört er zum linken Flügel
seiner Partei.
Aber für Kühn ist das Parteiausschlussverfahren trotzdem ein Dilemma. Jetzt
begleite eine Debatte um Palmer womöglich den Bundestagswahlkampf. Aber
ebenso undenkbar sei es gewesen, dass die Partei im Wahljahr nicht darauf
reagiere, sagt Kühn. „Wir Grünen wollen ja ein breites Spektrum der
Gesellschaft abbilden, aber nicht Rassismus und den Chauvinismus.“
Jetzt muss der Bundestagsabgeordnete womöglich Wahlkampf mit einem in
Sachen Palmer gespaltenen Kreisverband machen. Wobei Kühn beobachtet, dass
es auch auf regionaler Ebene immer einsamer um den einstigen grünen
Shootingstar geworden ist. „Er agiert auf Facebook zwar nicht als
Oberbürgermeister, aber er ist es ja trotzdem. Das spaltet auch in der
Stadt.“
10 May 2021
## LINKS
[1] /Boris-Palmer-soll-die-Gruenen-verlassen/!5766161
[2] /Kommentar-Tuebinger-OB-Boris-Palmer/!5587804
## AUTOREN
Ulrich Schulte
Benno Stieber
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Robert Habeck
Bündnis 90/Die Grünen
Boris Palmer
Bündnis 90/Die Grünen
Grüne
Baden-Württemberg
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg
Schwerpunkt Coronavirus
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