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# taz.de -- „Süddeutsche Zeitung“ gegen Blogger: Der Cancel-Culture-Strohm…
> Der Blogger Johannes Kram erwirkt eine Gegendarstellung in der
> „Süddeutschen Zeitung“. Das Gericht urteilte, die SZ habe ihn falsch
> wiedergegeben.
Bild: Der Berliner Blogger Johannes Kram wurde von der „SZ“ falsch wiederge…
Es war am 23. Februar, als der frühere Feuilletonchef und heutige Autor der
Süddeutschen Zeitung (SZ) Andrian Kreye einen Fall von Cancel Culture
aufdeckte, der seine Kollegin Sandra Kegel betraf, Feuilletonchefin der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ): Da habe der schwule Publizist und
Blogger Johannes Kram gefordert, „Kegel soll ab sofort keine
Machtpositionen als Jurorin von Literaturpreisen (und in der Konsequenz des
Gedankengangs als Feuilletonleiterin) mehr innehaben“, beschreibt Kreye in
seinem Text „[1][Mob Reflex '21 – Weg mit der Frau, oder es knallt: Zu
einem Jour Fix der SPD und dem Zustand der Debattenkultur]“.
Für Kreye ist das ein Paradebeispiel für den „Mob-Reflex“, den er im Umga…
mit seiner Kollegin diagnostiziert, also auch für Cancel Culture. „So wird
aus einer Debatte Hetze“, warnt Kreye eindringlich, es ist die Conclusio
seines Textes, der sich ansonsten auch um Ausgewogenheit bemüht.
Das Problem mit der Conclusio: Johannes Kram hat das nie so gesagt oder
geschrieben. Er taugt nicht als Hetzer. Kreye hat einen
Cancel-Culture-Strohmann aufgebaut und niedergestreckt. Das sieht auch das
Landgericht München so, [2][wie die News-Seite queer.de berichtet].
Der Blogger hatte auf eine einstweilige Verfügung geklagt, nachdem die SZ
den Abdruck einer Gegendarstellung abgelehnt hatte. Das Gericht sagt: Kram
wurde falsch wiedergegeben. Die SZ kann das Urteil noch anfechten, äußerte
sich aber bis Redaktionsschluss nicht zu einer taz-Anfrage.
## Aufforderung zum Nachdenken
Was Johannes Kram in seinem preisgekrönten „Nollendorfblog“
(Grimme-Online-Nominierung 2016, Tolerantia Award 2018) [3][tatsächlich
geschrieben hatte]: „Es ist für mich schwer nachvollziehbar, dass Sie
[Kegel wird angeredet, Anm. d. Red.] verantwortlich für eines der
wichtigsten Feuilletons deutscher Sprache sind. Und da man Sie in Jurys
vieler Buchpreise beruft, schaudert mich der Gedanke, dass queere Stoffe
und queere Geschichtenerzähler*innen von Menschen wie Ihnen bewerten
werden könnten. “
Man muss Kram nicht in der Sache zustimmen, um wie das Landgericht zu
erkennen, dass es eklatante Unterschiede von seinen Worten zu der
Interpretation von Kreye gibt. Kram schreibt nicht, dass Kegel ihren Job
oder ihre Jury-Position verlieren soll. Er wünscht sich, dass sie
nachdenkt.
Und da sind wir doch beim Gesamtzusammenhang, der inzwischen kompliziert
ist und sogar über die Politiker_innen Gesine Schwan und Wolfgang Thierse
eine ganze (Ex-)Volkspartei erfasst hat.
Anfang Februar hatten sich 185 Schauspieler_innen [4][im Rahmen der Aktion
#actout als queer geoutet], was Sandra Kegel [5][in einem Text in der FAZ]
und [6][später in einem SPD-Online-Talk kritisierte]: Die Aktion sei
„Kalkül“, die heutige Gesellschaft sei fortschrittlich genug, ein
Gruppen-Coming-Out sei nicht notwendig.
## Unlautere Mittel
Die Moderatorin des SPD-Talks, Gesine Schwan, solidarisierte sich in einer
mitunter hitzigen Diskussion mit Kegel und entfernte mit-talkende queere
Menschen, darunter eben Johannes Kram, aus der Talkrunde.
Hierauf bezieht sich Kreyes Artikel, später kam noch Wolfgang Thierse
[7][mit seinem Beitrag in der FAZ hinzu], der den Fokus erweiterte und
nicht nur über queere Menschen, sondern allgemein über marginalisierte
Gruppen sprach, die sich in der Gesellschaft zu viel Raum nähmen und
Rücksicht auf die Mehrheit vermissen ließen.
Nahezu alle, die sich geäußert haben, fühlen sich nicht gesehen und werfen
den Gegnern vor, mit unlauteren Mitteln zu arbeiten, absichtlich
misszuverstehen, sich an Kleinigkeiten aufzuhängen, mit Halbwahrheiten zu
arbeiten, zu emotional zu reagieren, „Mob-Reflexe“ nennt das Kreye. Und sie
merken nicht, dass sie genau das, was sie „den anderen“ ankreiden, die
ganze Zeit selbst tun.
Kreyes Text spielt dabei eine unselige Mittelrolle, weil er eigentlich
glaubhaft zu vermitteln versucht, dann aber für seine Pointe nicht nur
unscharf oder überspitzend arbeitet, sondern Aussagen falsch wiedergibt, um
die eigene Erzählung dramatischer zu machen.
## Zuhören, verstehen
Dabei hätte der Gesamtzusammenhang ein gänzlich anderes Vorgehen geboten:
Anstatt auf Teufel komm raus eine Debatte anzufachen, [8][wäre es besser
gewesen, Argumente zu hören und abzuwägen], auf [9][beiden Seiten um
Verständnis zu werben]: Sandra Kegel ist keine Homo-Hasserin, Wolfgang
Thierse und Gesine Schwan übrigens auch nicht. Sie haben gewisse
Diskussionen nicht verfolgt oder sich mit diesen nicht beschäftigt.
Johannes Kram will niemandem das Wort verbieten, er will nur wahrgenommen
und mit seinen Aussagen ernst genommen werden, genau wie der Berliner
SPD-Politiker und Queer-Aktivist Alfonso Pantisano, [10][der in einem sehr
persönlichen Text seine Sicht der unseligen Diskussionen schilderte].
So auch die Schauspieler_innen von #actout, deren Aktion von einem
einfühlsamen und ausführlichen Interview im SZ Magazin begleitet worden
war, in der sie vieles erklären, was später in der Diskussion komplett
verloren gegangen ist. Wenn man wirklich zuhören würde, würde man
vielleicht auch verstehen.
17 Mar 2021
## LINKS
[1] http://xn--Mob%20Reflex%20'21%20https:-2l9l//www.sueddeutsche.de/kultur/act…
[2] https://www.queer.de/detail.php?article_id=38377
[3] https://www.nollendorfblog.de/?p=12535
[4] /Manifest-actout/!5747692
[5] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/wir-sind-schon-da-manifest-der-185-1…
[6] https://youtu.be/WobScSUC7bs
[7] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/wolfgang-thierse-wie-viel-i…
[8] /SPD-Debatte-zu-Identitaetspolitik/!5753032
[9] /Debatte-um-Minderheiten/!5752570
[10] /SPD-Debatte-um-Diversitaet/!5750919
## AUTOREN
Malte Göbel
## TAGS
Queer
SPD
Süddeutsche Zeitung
cancel culture
BDS-Movement
Digitalisierung
Normalität
Anti-Rassismus
Identitätspolitik
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
cancel culture
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