# taz.de -- Der ganz alltägliche Rassismus: Zur Sprache gebracht | |
> Wieso sich auf Englisch verständigen, wenn es besser doch auf Deutsch | |
> geht? Aufdringliche Weltgewandtheit als linguistisches Profiling. | |
Bild: In Apotheken und sonstwo | |
Neulich in einer Apotheke am Berliner Hauptbahnhof bemühte sich die Frau | |
hinter der Plexiglasscheibe darum, mich auf Englisch zu bedienen. Das | |
erfolgte nicht etwa auf meine Anfrage hin, wohl bemerkt, sondern aus der | |
Initiative der pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten heraus. Die Geste | |
lehnte ich ab, und zwar im höflichen Hochdeutsch. Ich bin es gewohnt, dass | |
Mitarbeitende unterschiedlicher Geschäfte das Bedürfnis verspüren, mich, | |
die Black Queen mit dem amerikanischen Timbre, unaufgefordert in der | |
englischen Sprache anzusprechen. Dass sie mal üben möchten oder ihre | |
Weltgewandtheit stolz unter Beweis stellen wollen, verstehe ich, aber das | |
macht es nicht weniger aufdringlich. Zudem geschieht es meist dann, wenn | |
ich absolut keine Zeit dafür habe. Wie an diesem Abend, als ich auf mein | |
Rezept wartete. Es war nicht mehr nicht lustig, es war lästig. | |
„Warum bestehen Sie darauf, ausschließlich auf Englisch mit mir zu reden?“, | |
fragte ich die PKA indigniert. „Das ist linguistisches Profiling.“ | |
Mit der Süffisanz eines Kolonialbeamten und dem Schmunzeln einer | |
Kindergärtnerin erklärte sie mir, dass 99 Prozent der Menschen mit meinem | |
Aussehen und mit so einem fremden Nachnamen eher ein schlechtes Deutsch, | |
wenn überhaupt, sprechen würden. Auf Englisch ginge es insgesamt etwas | |
reibungsloser, beteuerte sie, steif und stockend. Es sei Erfahrungssache, | |
fügte sie mit einem Achselzucken hinzu. | |
„Ich beabsichtige mitnichten, als Versuchstier für Ihre Vorurteile | |
herzuhalten!“, betonte ich. „Schauen Sie, ich bin keine Touristin.“ | |
Sogleich zückte ich mein Smartphone und rief ein paar Webprofile auf. Da | |
war ich zu sehen, die deutschsprachige Journalistin, Kabarettistin, | |
Dozierende, registrierte Übersetzerin, gelernte Juristin und, und, und. | |
People of Color kennen dieses Dilemma. Einerseits hätten wir es nicht | |
nötig, Perlen vor die Sau zu werfen, um respektvoll behandelt zu werden. | |
Andererseits beschert es uns im Angesicht alltäglicher Mikroaggressionen | |
eine gewisse Genugtuung, souverän und selbstbestimmt zur Geltung zu kommen. | |
Die Selbstdarstellung ist unsere Waffe gegen die Stereotypisierung. Wir | |
stellen uns selbst dar und lassen unsere Antagonist*innen sich | |
gleichzeitig bloßstellen. | |
„Nanu, Sie sind eine Ausnahmeerscheinung“, meinte die PKA errötend. | |
„Wahrscheinlich sprechen Sie sogar besseres Deutsch wie (sic!) ich.“ | |
„Nicht wie, sondern als Sie“, korrigierte ich, den Kopf echauffiert | |
schüttelnd. | |
Übergangslos schlüpfte sie in die Opferrolle, zumal ich als die Angry Black | |
Woman in Erscheinung getreten war. Eigentlich war ich wegen Nackenschmerzen | |
da. Aber ich bekam dazu einen dicken Hals, und zwar dergestalt, dass mir | |
der Kragen platzte. So machte ich, wie Karen mit der Bobfrisur es tut. Ich | |
ließ die Managerin holen, ehe ich meine Tabletten in Empfang nahm. Für die | |
Chefapothekerin war es offenbar eine bittere Pille, eine Beschwerde dieser | |
Art schlucken zu müssen. Sie entschuldigte sich zwar für „etwaige | |
Unannehmlichkeiten“, konnte die Voreingenommenheit ihrer Mitarbeitenden | |
aber nicht so richtig erkennen. Ich müsse es sogar begrüßen, als | |
„Ausnahmeerscheinung“ bezeichnet zu werden. Ja, es habe sich meinerseits | |
sicherlich um ein harmloses Missverständnis gehandelt. Es fehlte nur, dass | |
sie mir vegane Gummibärchen als Trostpflaster verteilte. | |
Fakt ist, manche Zeitgenoss*innen, die sich gerne als „woke“ bezeichnen, | |
sind noch lange nicht aufgewacht. Das bewies meine Erfahrung mit der | |
Lektorin eines Buchverlages, die mich damit beauftragen wollte, den | |
Essayband einer afroamerikanischen Autorin ins Deutsche zu übersetzen. Die | |
Anfrage empfing ich inmitten der Debatte und des Debakels um die | |
Übersetzung des Amanda-Gorman-Gedichtes. Der Essayband befasst sich sogar | |
mit dem Thema Unconscious Bias. Umso bedauerlicher ist es, dass die | |
deutsche Lektorin ihn offenbar kaum gelesen, sondern nur „eingekauft“ hat. | |
Wir kamen miteinander wohl nicht ins Geschäft. Sie war eher auf einen | |
schnellen als auf einen sensibilisierten Umgang mit dem Originaltext | |
bedacht, meine Hinweise auf einige zu berücksichtigende kulturelle und | |
linguistische Nuancen ignorierte sie. Denn sie verstehe Schwarze Literatur | |
„genauso gut“ wie ich. White Savior hoch drei bzw. hoch dreist. | |
Weiße Rettende sehen es als ihre Pflicht, uns Betroffenen beizubringen, ob, | |
wann und wie wir auf Rassismus reagieren sollten. Trotz ihres | |
eingeschränkten Erfahrungshorizontes und ihres Defizits an emotionaler | |
Intelligenz, wähnen sie sich imstande, uns Perspektiven zu bieten. Dabei | |
lassen sie vermeintlich höflich anklingen, dass unser Intellekt und unsere | |
Intuition nicht zählen. Was ist das bloß, wenn nicht verachtenswerter | |
Rassismus? | |
28 Mar 2021 | |
## AUTOREN | |
Michaela Dudley | |
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