# taz.de -- Rassismus an Hochschulen: Die Mühlen mahlen langsam | |
> Der Bedarf ist groß, die Suche oft vergebens: Nur wenige Hochschulen | |
> haben Anlaufstellen für Studierende mit Rassismuserfahrung. | |
Bild: Menschen bei einer Black-Lives-Matter-Demo in Berlin. Hat ihr Protest die… | |
BERLIN taz | Die Termine seien bereits Wochen im Voraus ausgebucht, sagt | |
Wilfriede Stallmann. Die Lehramtsstudentin ist Referentin des autonomen | |
[1][BIPoC]-Referats an der Uni Köln. Seit Sommer bietet die Initiative | |
Online-Sprechstunden für Studierende mit Rassismuserfahrungen an. In den | |
digitalen Sitzungen mit einer auch auf die Beratung von Schwarzen Menschen | |
spezialisierten Therapeutin können sie über ihre Erfahrungen an der | |
Hochschule sprechen – und Fälle von Diskriminierung melden. | |
Die Kölner Uni hat zwar ein Referat für Gender und Diversity Management, an | |
den einzelnen Fakultäten gibt es Vertrauensdozierende für Studierende mit | |
Diskriminierungserfahrungen. Auf Rassismuserfahrungen spezialisierte | |
Ansprechpersonen of Color sind bislang allerdings selten, so | |
Referatskollegin Monica Nguyen. | |
„Dadurch, dass der Zulauf einfach so riesengroß war, hat die Universität | |
auch gesehen, dass es einen Bedarf gibt“, berichtet Nguyen. Und die Uni zog | |
Konsequenzen: Die Förderung für die Online-Sprechstunde sei aufgestockt | |
worden, das Projekt wurde um drei Monate verlängert. Für das kommende Jahr | |
soll ein neues Konzept entwickelt werden. | |
Spezifische Anlaufstellen für von Rassismus betroffene Studierende werden | |
schon seit Jahren gefordert. Auch weil sogenannte Mikroaggressionen, wie | |
die oftmals an Schwarze Menschen, Indigene und Personen of Color (BIPoC) | |
gerichtete Bemerkung „du sprichst aber gut Deutsch“, nach wie vor zur | |
Hochschulrealität gehören, ebenso wie der niedrige Anteil von | |
ProfessorInnen of Color. Statistiken hierzu gibt es nicht. Aber der Blick | |
auf die Websites der Hochschulen spricht Bände. | |
Vor allem Anti-Rassismus-Beauftragte fehlen | |
In Hinblick auf Ansprechpersonen für von Rassismus betroffene Studierende | |
herrscht Monate nach den großen [2][Black-Lives-Matter-Demonstrationen] in | |
Deutschland vor allem eines: Uneinheitlichkeit. Die TU München hat einen | |
„#anti-racism“-Chat eingerichtet. Die Uni Göttingen bietet mit ihrer | |
Stabsstelle Chancengleichheit und Diversität eine | |
Antidiskriminierungsberatung an, die sich explizit auch an Studierende | |
wendet, „die durch rassistische Zuschreibungen Benachteiligungen oder | |
Diskriminierungen erfahren“, wie es auf der Hochschulseite heißt. Auch | |
einen Online-Meldebogen findet man hier. | |
Die Uni Potsdam hat im Juni eine ReferentInnenstelle für Chancengleichheit | |
und Diversity besetzt, die den „Beratungsbedarf in diesem Feld bündeln“ | |
soll. Ein alleiniger Fokus auf Rassismus ist allerdings nicht vorgesehen. | |
Auf anderen Hochschulseiten sucht man lange, um Ansprechpersonen zu finden, | |
die für Studierende mit Rassismuserfahrungen in Frage kommen. | |
Je nach Hochschule und Bundesland sind sogenannte Diversity- oder | |
Antidiskriminierungsbeauftragte mit unterschiedlichen Bezeichnungen, | |
Aufgabenbereichen und Kompetenzen AnsprechpartnerInnen in Fällen von | |
Diskriminierung. So wurden etwa Thüringens Hochschulen mit der Novellierung | |
des Landeshochschulgesetzes 2018 zur Einrichtung einer „Beauftragten für | |
Diversität“ verpflichtet. | |
Die Kompetenzen der Position, die einen Fokus auf „die Belange von | |
Studierenden mit Behinderung, einer psychischen oder einer chronischen | |
Erkrankung“ legen soll, ähneln denen von Gleichstellungsbeauftragten. | |
Anders als diese hat sie jedoch kein rechtlich verbürgtes Einspruchsrecht, | |
etwa bei Gremienentscheidungen. In anderen Hochschulgesetzen wie dem 2020 | |
neu gefassten Hochschulgesetz von Sachsen-Anhalt ist keine entsprechende | |
Beauftragte für Diversity oder Antidiskriminierung vorgesehen. Spezifische | |
Anti-Rassismus-Beauftragte finden sich in allen Bundesländern noch immer | |
vorwiegend auf studentischer Ebene. | |
Auf die strukturelle Anbindung kommt es an | |
Dabei geht es nicht nur um die Beratung von BIPoC-Studierenden. Maureen | |
Maisha Auma, Professorin für Diversity Studies an der Hochschule | |
Magdeburg-Stendal, sieht die Einrichtung einer Beauftragten für | |
Rassismuskritik als Ansprechperson an jeder Hochschule als eine der | |
wichtigsten Wegmarken im Kampf gegen strukturellen Rassismus im | |
universitären Bereich. „Es gibt enormen Bedarf an rassismuskritischer | |
Reflexion der institutionellen Routinen und Interaktionen“, sagt sie. | |
Es werde unterschätzt, welche kolonial geprägten, welche rassistisch | |
geprägten Verletzungen sich durch den Alltag der höheren Bildung ziehen. | |
Wichtig ist ihr dabei eine strukturelle Einbindung dieser Stellen: | |
Studierende seien in einer hierarchisch abhängigen Position. „Es ist | |
wichtig, dass sie sich kontinuierlich rassismuskritisch engagieren“, so | |
Auma. „Aber sie können nicht so viel bewegen wie Personen, die als | |
Angestellte auf ihre eigene Institution wirken, die Routinen kennen und in | |
entsprechenden Gremien kontinuierlich sitzen.“ | |
Hochschulen verwendeten allerdings lieber positiv besetzte Narrative wie | |
Diversity Management, Chancengleichheit oder Internationalisierung, statt | |
von Rassismus zu sprechen, konstatiert Karima Popal-Akhzarati, Doktorandin | |
der Nachwuchsforschergruppe „Hochschule und Diversität“ der | |
Hans-Böckler-Stiftung. Daran hätten auch Solidaritätsbekundungen für Black | |
Lives Matter und mehr Aufmerksamkeit für das Thema bislang wenig geändert. | |
„All das erschwert, tatsächlich von dem Problem zu sprechen“, so die | |
Wissenschaftlerin. „Das Problem heißt nun mal Rassismus.“ | |
Bleibt die Frage, wie viele von Rassismus Betroffene in den bislang | |
eingerichteten Antidiskriminierungs- und Diversitystellen als BeraterInnen | |
und Beauftragte vertreten sind. Studien hierzu fehlen. Ein Blick auf die | |
Uniwebsites lässt aber erahnen, dass BIPoC in der Minderheit sind. | |
Studierende auf der Suche nach Beratenden, die ihre Erfahrungen persönlich | |
nachvollziehen können, dürften oft enttäuscht werden. | |
Neuer Diskursraum entstanden | |
Dennoch: Es hat sich etwas getan. Seit den Black-Lives-Matter-Protesten | |
beschäftigen sich immer mehr Onlineveranstaltungen an Hochschulen mit | |
Rassismus im universitären Kontext. Hochschullehrerin Auma spricht von | |
einem neuen Diskursraum, der sich 2020 geöffnet habe – und setzt Hoffnungen | |
auf die 2021 geplante Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes. Anfang | |
kommenden Jahres soll ein erster Entwurf vorliegen. Eine Koalition, | |
bestehend unter anderem aus Studierendenvertretungen und Gewerkschaften, | |
trommelt bereits für die Einrichtung „diverser | |
Antidiskriminierungsbeauftragter“. | |
Wilfriede Stallmann und Monica Nguyen vom autonomen BIPoC-Referat an der | |
Uni Köln berichten derweil, dass sie gerade mit dem Referat für Gender und | |
Diversity Management zusammenarbeiten. Ziel ist, eine Position zu schaffen, | |
die sich als Ansprechperson für Antirassismus versteht. „Ein langer | |
Prozess“, sagt Stallmann. „Aber es sieht so aus, dass es in Zukunft eine | |
geben könnte.“ | |
30 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Antirassistische-Sprache/!5702930 | |
[2] /Black-Lives-Matter-Demo-in-Berlin/!5693097 | |
## AUTOREN | |
Jessica Kliem | |
## TAGS | |
Black Lives Matter | |
Universität | |
Hochschule | |
Anti-Rassismus | |
People of Color | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Universität Bremen | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Antirassismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Black Lives Matter | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Podcast-Workshop „Find your voice“: Mit der eigenen Stimme | |
Beim Workshop „Find your voice“ in Hamburg verarbeiten junge Menschen ihre | |
Erfahrungen mit Flucht und Rassismus. Ein Besuch. | |
Neue Treuhandstiftung an der Bremer Uni: Für mehr Chancengleichheit | |
Eine neue Treuhandstiftung will die Chancengleichheit an der Universität | |
Bremen verbessern. Diese ist an deutschen Hochschulen immer noch | |
ausbaufähig. | |
Der ganz alltägliche Rassismus: Zur Sprache gebracht | |
Wieso sich auf Englisch verständigen, wenn es besser doch auf Deutsch geht? | |
Aufdringliche Weltgewandtheit als linguistisches Profiling. | |
Wissenschaftlerin über Uni-Lehrpläne: „Curriculum nicht divers genug“ | |
Rassismuskritik ist die Aufgabe aller Fachrichtungen, sagt die | |
Bildungsforscherin Jennifer Danquah. Bisher hänge sie zu sehr an | |
engagierten Einzelpersonen. | |
Diskriminierung an Berliner Schulen: Das Dunkelfeld wird langsam heller | |
Es werden mehr Diskriminierungen gemeldet, und das Gros von ihnen ist | |
rassistisch motiviert. Insbesondere bei Lehrkräften steigt die | |
Sensibilisierung. | |
Weiße Hochschulen: Black Studies Matter | |
Die deutschen Unis schmücken sich gerne mit Diversität. Das Fach „Black | |
Studies“ kann man jedoch nirgends studieren. | |
Kolonialismus in Schulbüchern: „Gewalt wird nicht thematisiert“ | |
Viele Lehrmaterialien beschönigen die deutsche Kolonialgeschichte, sagt die | |
Afrikaforscherin Josephine Apraku. Sie kritisiert die eurozentristischen | |
Ansätze. |