| # taz.de -- Podcast-Workshop „Find your voice“: Mit der eigenen Stimme | |
| > Beim Workshop „Find your voice“ in Hamburg verarbeiten junge Menschen | |
| > ihre Erfahrungen mit Flucht und Rassismus. Ein Besuch. | |
| Bild: Die eigene Geschichte zu erzählen, tut gut: Mnet und Thamir im Podcast-W… | |
| Hamburg taz | „Du kennst das vermutlich gar nicht, oder?“, fragt mich | |
| Thamir. „Ich war auf der Reeperbahn mit meinen Freunden. Sie meinten, ich | |
| darf nicht rein“, erzählt der 25-Jährige. „Die Leute, die drinnen sind, d… | |
| spüren das nicht. Aber mir tut es weh.“ | |
| Gemeinsam mit der 23-jährigen Mnet, der 18-jährigen Bridget sowie der | |
| Soziologin Sika und dem Klangkünstler Aleksandar von der Bildungsagentur | |
| Mediale Pfade sitzen wir im Computerraum des [1][Stadtteilzentrums Kölibri] | |
| in Hamburg-St.-Pauli. Hier duzen sich alle. „Find your voice“ heißt der | |
| dreitägige Workshop, in dem die Teilnehmer*innen ihre Erfahrungen mit | |
| Rassismus und Flucht in Podcasts verarbeiten. | |
| Grundlage für das Projekt ist das „Archiv der Flucht“ im Berliner Haus der | |
| Kulturen der Welt, ein Oral-History-Projekt mit filmischen Interviews mit | |
| 41 Menschen, die zwischen 1945 und 2016 nach Deutschland gekommen sind. | |
| Unsere Gruppe schaut sie gemeinsam an und bespricht sie. „Es geht um die | |
| Perspektiven der Jugendlichen. Was hast du gesehen? Was ist dir in | |
| Erinnerung geblieben?“, fasst Sika zusammen. Dabei sei es wichtig, auf die | |
| Identität der Teilnehmer*innen einzugehen. | |
| „Für PoC (People of Color) ist es besonders schön, etwas zu sehen, mit dem | |
| wir uns repräsentiert sehen und identifizieren können, weil dies oft ein | |
| Problem in Deutschland ist“, sagt sie. Wenn sie im Vorfeld Videosequenzen | |
| für den Workshop heraussucht, spielen deshalb Kriterien wie dasselbe | |
| Herkunftsland eine Rolle. Mit den Geschichten über Migration können sich | |
| Mnet, Bridget und Thamir gut identifizieren. Alle drei sind People of Color | |
| und haben ihre eigenen Anekdoten am Vortag in Dialogform aufgenommen. | |
| ## Ein sicheres Umfeld | |
| Heute geht es an die Bearbeitung des Tons. Indem er Fähigkeiten vermittelt, | |
| etwa wie sie Tonspuren aufnehmen und schneiden können, möchte Aleksandar | |
| den Teilnehmer*innen Skills zur Selbstermächtigung mitgeben. Dabei | |
| setzt er auf Technik, die für alle zugänglich ist, etwa frei und kostenlos | |
| zur Verfügung stehende Open-Source-Programme wie Audacity. „Das Simpelste, | |
| was du machen kannst, ist, dein Handy zur Aufnahme zu verwenden“, erläutert | |
| der Berliner. So lernen die Podcaster*innen das nötige Handwerk, um | |
| ihre eigenen Stimmen hörbar zu machen. | |
| Am Beispiel von Bridget zeigt Aleksandar uns, wie wir die Aufnahmen im | |
| Nachhinein bearbeiten können. „Ihr könnt den Klang eurer Stimme auch | |
| verändern“, erklärt er und dreht an einem Regler. Aus den Lautsprechern | |
| tönt Bridgets Stimme erst in einem hohen Quietschen, dann als tiefes | |
| Brummeln. Wir lachen. | |
| Weiter geht es mit ernsteren Themen. „Warum bist du hier in Deutschland?“, | |
| fragt Mnet in ihrer Podcast-Folge. „Bei uns ist ständig Krieg. Man hat | |
| nicht seine Ruhe oder Sicherheit. Deswegen bin ich nach Deutschland | |
| geflohen“, antwortet Thamir. Ursprünglich habe er studieren wollen, am | |
| liebsten in seiner Heimat. Doch aufgrund der Umstände dort mache er nun | |
| eine Ausbildung in Deutschland. Eigentlich rede er nicht gerne darüber, | |
| aber seine Erfahrungen zu teilen, ist ihm dennoch wichtig und im Workshop | |
| fühlt er sich damit wohl. „Ich finde, die beste Lösung ist, darüber zu | |
| diskutieren“, sagt er. | |
| Deshalb sei eines der zentralen Ziele des Projektes, dass Menschen wie | |
| Thamir, Mnet und Bridget ein sicheres Umfeld finden, um über ihre | |
| Erlebnisse sprechen zu können, betont Sika. Einen vollkommen | |
| diskriminierungsfreien „Safe Space“ gebe es zwar nicht, aber zumindest | |
| einen sichereren Ort, einen „Safer Space“. Vor dem Workshop werden deshalb | |
| eine Reihe von Grundregeln vereinbart. Die Gruppe soll zum Beispiel keine | |
| rassistischen Stereotypen reproduzieren. Wenn jemand eine persönliche | |
| Erfahrung teilt, sollen die anderen sie nicht kommentieren und bewerten. | |
| Wichtig sei auch, dass eine Person bestimmt wird, die die Verantwortung | |
| dafür übernehme, dass die Regeln eingehalten werden, auch in größeren | |
| Gruppen müsse immer eine Ansprechperson da sein. Sika und Aleksandar | |
| übernehmen als Teamer*innen diese Rolle. Beide haben selbst eine | |
| Migrationsgeschichte und können sich in die Erzählungen der | |
| Teilnehmer*innen einfühlen. | |
| In ihrem Podcast spricht Mnet darüber, was Heimat für sie bedeutet: „Heimat | |
| ist der Ort, die Erde. Was für ein Gefühl ich habe, das ist meine Heimat.“ | |
| Für die endgültige Produktion bleibt Thamir, Mnet und Bridget nur noch ein | |
| Tag. Die drei sind hochmotiviert, ihre Geschichten in eigenen Podcasts zu | |
| Gehör zu bringen, hat sie selbstsicherer gemacht. Trotz der schmerzhaften | |
| Erfahrungen mit Flucht und Rassismus blicken sie zuversichtlich in die | |
| Zukunft. „Was in der Vergangenheit passiert ist, ist vorbei“, sagt Mnet. | |
| „Wir müssen nach vorne gucken!“ | |
| 1 Nov 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://gwa-stpauli.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Leah Binzer | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Hamburg | |
| Soziokultur | |
| Podcast | |
| Geflüchtete | |
| Anti-Rassismus | |
| Black Lives Matter | |
| Lesestück Interview | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Rassismus und psychische Gesundheit: Ganzheitliche Dekolonisierung | |
| Viele Antirassismusangebote helfen bei Konfrontationen von außen. Bei | |
| Critical Wellness dagegen geht es um körperliche und psychische Folgen. | |
| Rassismus an Hochschulen: Die Mühlen mahlen langsam | |
| Der Bedarf ist groß, die Suche oft vergebens: Nur wenige Hochschulen haben | |
| Anlaufstellen für Studierende mit Rassismuserfahrung. | |
| Über alltäglichen Rassismus: „Da werden Debatten gern umgedreht“ | |
| Ozan Zakariya Keskinkılıç hat die Frage, wie es zu Rassismus kommt und was | |
| der mit Betroffenen macht, zu seinem Beruf gemacht. |