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# taz.de -- Ökologische Investments in EU: Kompass in Gefahr
> Die EU will bewerten, ob Investments ökologisch sind. Viele Staaten
> wollen die Kriterien verwässern, die „Taxonomie“ steht auf der Kippe.
Bild: Eindeutig, was „grün“ und „braun“ ist: Die RWE Windkraftanlage h…
Berlin taz | Der Unterschied ist nur etwa so groß wie eineinhalb Tafeln
Schokolade. Aber die Differenz zwischen 100 und 270 Gramm wiegt schwer für
die europäische Klimapolitik. Denn an ihr entscheidet sich gerade eines der
ehrgeizigsten Ziele des „Green Deals“ der EU: Ein Maßstab für die
Einstufung von Investitionen als klimafreundlich – oder nicht. Der Streit
über die Details dieser „Taxonomie“ ist voll entbrannt.
Am Mittwoch präsentierte die EU-Kommission den Mitgliedstaaten und dem
Parlament intern ein Kompromisspapier zu diesem heißen Eisen. Gegen die
ursprüngliche Fassung [1][hatten Ende 2020 zehn osteuropäische EU-Länder
protestiert.] Nun machen andere Länder und [2][Umweltgruppen aus ganz
Europa mit Briefen und Unterschriften Druck,] die Standards nicht zu
verwässern. Schließlich geht es um eine entscheidende Frage: Wohin fließen
Milliarden von Investitionen in den nächsten Jahren – weiter in
Gaskraftwerke, Pipelines und fossile Heizungen oder in klimafreundliche
Infrastruktur?
„Die Taxonomie ist der größte Hebel, um die Finanzströme endlich in grüne
Bahnen umzuleiten“, sagt Christian Klein, Wirtschaftsprofessor an der Uni
Kassel und Experte für nachhaltige Finanzwirtschaft. „Kein Wunder, dass die
Lobbyisten der Fossilen jetzt so viel Druck machen.“
Die Idee der EU-Kommission: Mit einer Liste von „grünen“ Aktivitäten soll
Klarheit geschaffen werden, [3][welche Investments beim Klimaschutz und bei
der Anpassung an den Klimawandel helfen.] Das soll Orientierung bieten und
Greenwashing verhindern. Erarbeitet hat die Liste eine Gruppe unabhängiger
ExpertInnen von der „Plattform für nachhaltige Finanzen“ bei der EU. „Die
Taxonomie soll dabei helfen, Geld in grüne Bereiche zu lenken“, sagt ein
Sprecher der zuständigen EU-Direktion für Finanzstabilität gegenüber der
taz, „denn auf dem bisherigen Pfad ändert sich nichts.“
## Noch Instrument zur Lenkung
Die Einstufung verpflichtet niemanden und verbietet keineswegs, weiter Geld
in fossile Strukturen zu stecken. Wer will, kann weiter Kohle und Gas
finanzieren – muss sich dann aber möglicherweise vor Banken und
Aktienbesitzern rechtfertigen. „Die Taxonomie ist derzeit noch ein reines
Instrument für Transparenz der Geldströme, nicht für deren Lenkung“, sagt
auch Milena Ostrower, Finanzexpertin [4][der Organisation Germanwatch].
„Aber sie könnte sehr viel mehr werden“ – irgendwann könnte die scheinb…
harmlose Listen zur verpflichtenden Richtschnur für Investments werden.
Denn die Kriterien gelten als „Goldstandard“, weil sie wissenschaftlich
belegen, dass sie die Klimaziele fördern. Auch international will die EU
als grüner Finanzplatz damit punkten. Großbritannien, Japan, China und die
USA arbeiten an ähnlichen Projekten.
Der umkämpfte „delegierte Rechtsakt“ der EU nennt „technische
Übersichtskriterien zur Entscheidung, ob eine wirtschaftliche Aktivität
substanziell zum Klimaschutz beiträgt“, wie es im Titel heißt. Hinter der
drögen Fassade verbirgt sich Sprengstoff: In zwei Anhängen von insgesamt
etwa 850 Seiten werden „grüne“ Aktivitäten genannt: etwa die Produktion v…
Wasserstoff, erneuerbaren Energien, Moorvernässung oder Ladesäulen für
E-Mobile. Aber nun auch: der Betrieb von Gaskraftwerken, wenn sie weniger
als 270 Gramm CO2 pro erzeugter Kilowattstunde ausstoßen, wenn sie vor 2025
in Betrieb gehen, den CO2-Ausstoß gegenüber jetzigen Werken halbieren und
in einer Region stehen, die bislang von Kohle abhängig ist.
## Protest der südosteuropäischen Länder
Im ersten Entwurf der Kommission lag dieser Wert nur bei 100 Gramm –
praktisch eine Absage an neue Gasprojekte. Denn dieser Wert ist nur zu
erreichen, wenn CO2 aufgefangen und gespeichert wird, was teuer und nicht
in großem Stil erprobt ist. Deshalb liefen die südosteuropäischen Länder
Sturm. Ihr Argument: Gerade wenn sie sich von der klimaschädlichen Kohle
lösen wollten, bräuchten sie mit Gas eine Zwischenlösung.
EU-Kommission und KlimaschützerInnen sitzen nun in der Zwickmühle:
Akzeptieren sie die Aufweichung der Kriterien oder riskieren sie, dass die
EU-Länder oder das Parlament die ganze Regelung kippen? Bis Ende April soll
es eine Entscheidung geben, ab nächstem Jahr sollen die Regeln gelten.
Andere heiße Eisen wie Details der Forstwirtschaft und die Frage, ob
Atomenergie als nachhaltig gilt, sind erst einmal ausgeklammert. Aber auch
viele beteiligte WissenschaftlerInnen fragen sich: Wäre der Kompromiss noch
mit dem Ansatz vereinbar, klimafreundliche Investitionen zu definieren?
## Verwässern würde den Kompass unbrauchbar machen
„Wenn die Kriterien verwässert werden, zerstört das die Grundidee der
Taxonomie“, sagt Matthias Buck, EU-Experte der [5][Agora Energiewende]. „Es
geht ja gerade darum, den privaten Investoren einen Kompass zu geben,
welche Investitionen mit einer klimaneutralen Wirtschaft vereinbar sind.
Sie müssen sich nicht dran halten, aber der Kompass muss verlässlich sein.“
Buck warnt davor, dass ein Verwässern der Taxonomie für die Staaten teuer
werden könnte: „Die Kommission sieht einen Investitionsbedarf von
zusätzlich 370 Milliarden Euro pro Jahr in der nächsten Dekade, um Gebäude,
Verkehr, Industrie und Stromsystem in Richtung Klimaneutralität zu
modernisieren.“
Ein möglichst großer Teil davon solle aus privatem Kapital kommen, um die
Staatsfinanzen zu entlasten, so Buck: „Wenn die Taxonomie jetzt aus
kurzfristigen Erwägungen verwässert wird, dann fließen vorgeblich grüne
Investitionen in Projekte, die nicht in eine klimaneutrale Zukunft passen.
Das heißt: Wir schaffen heute die Haushaltslöcher von morgen.“ Denn die
nötigen Investitionen müssten dann von der öffentlichen Hand gestemmt
werden.
Die Kommission allerdings denkt schon weiter. Während sie noch ihre
„grünen“ Listen verteidigt, sitzen ihre Experten schon am nächsten heißen
Eisen: einer Negativliste für eine „braune Taxonomie“: Die soll Investments
auflisten, die dem Klima schaden. Selbstverständlich erst einmal ganz
unverbindlich.
29 Mar 2021
## LINKS
[1] https://www.euractiv.com/section/energy-environment/news/brussels-postponed…
[2] https://caneurope.org/content/uploads/2021/03/225__scientists__financials__…
[3] https://ec.europa.eu/info/business-economy-euro/banking-and-finance/sustain…
[4] https://www.germanwatch.org/de
[5] https://www.agora-energiewende.de/
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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