| # taz.de -- Gutachten zu nachhaltigen Geldanlagen: „Atom ist so grün wie Win… | |
| > Der wissenschaftliche Dienst der EU-Kommission hat befunden, dass | |
| > Investitionen in Atomkraft als nachhaltig gelten sollten. Das zieht | |
| > Kritik nach sich. | |
| Bild: Die Slogans der Atomlobby haben sich seit dieser Werbekampagne von 2007 k… | |
| Berlin taz | Im Ringen um die weitere Finanzierung der Kernkraft in Europa | |
| hat die Atomlobby ein wichtiges Etappenziel erreicht. Denn für das Joint | |
| Research Center (JRC), den wissenschaftlichen Dienst der EU-Kommission, | |
| gelten Investitionen in Atomkraft als grüne Geldanlage. Das geht aus einem | |
| bislang unveröffentlichten Report des JRC hervor, der der taz vorliegt. | |
| Demnach richtet die Nutzung der Atomkraft und die Endlagerung ihrer Abfälle | |
| „keinen signifikanten Schaden“ für die Umwelt an. Das umfassende Gutachten | |
| wurde vom JRC im Auftrag der EU-Kommission erarbeitet. Es soll eine | |
| umstrittene Frage bei der „grünen Taxonomie“ entschärfen. | |
| Mit diesem Instrument [1][legt die EU Kriterien fest], um privaten | |
| Investoren Sicherheit zu geben, ob ihr angelegtes Kapital dem Klimaschutz | |
| und der Anpassung an den Klimawandel hilft. Es ist ein zentraler Baustein | |
| [2][des „Green Deal“ der EU]. | |
| In der Atomfrage sind die EU-Staaten uneinig: Staaten wie Frankreich, | |
| Ungarn und Finnland machen Druck, dass Kapitalflüsse in ihre Reaktoren als | |
| „nachhaltig“ gelten, andere Länder ohne Atomkraft wehren sich dagegen. Nach | |
| dem JRC-Gutachten will die Kommission nun in den nächsten Monaten | |
| entscheiden, ob auch Atom als Öko-Kapitalanlage gilt. | |
| ## Eine „Märchenstunde“ zur Atomkraft | |
| Das fast 400 Seiten starke und offiziell als „sensibel“ eingestufte | |
| Dokument „Technische Einschätzung der Nuklearenergie“ kommt zu dem Schluss: | |
| „Die Analyse erbrachte keinen wissenschaftlich fundierten Beweis, dass die | |
| Nuklearenergie der menschlichen Gesundheit oder der Umwelt mehr Schaden | |
| verursacht als andere Technologien der Elektrizitätsproduktion, die in der | |
| Taxonomie bereits eingeschlossen sind, weil sie helfen, den Klimawandel zu | |
| bekämpfen.“ Damit sind erneuerbare Energien und hocheffiziente | |
| Gaskraftwerke gemeint. | |
| Die Gutachter befinden, über den gesamten Lebenszyklus sei die Atomenergie | |
| bei der Belastung der Umwelt durch Abgase, Unfälle und Abwässer mit der | |
| Wind- und Wasserkraft vergleichbar. Der Betrieb der Atomanlagen und die | |
| Endlagerung ihrer strahlenden Abfälle seien gefahrlos machbar, wenn alle | |
| Regeln eingehalten würden, heißt es. | |
| Das Gutachten nennt die „nicht-radiologischen Folgen“ wie | |
| Stickoxid-Belastung oder Gewässerbelastung aus der Atomkraft für die Umwelt | |
| „am ehesten vergleichbar mit Wasserkraft und Erneuerbaren“. | |
| Auch die CO2-Emissionen aus der Nuklearindustrie seien ähnlich niedrig wie | |
| bei diesen Energieformen. Nur beim Wasserverbrauch und der Erhitzung des | |
| Kühlwassers müsse genau auf die Umweltfolgen geachtet werden. | |
| ## Kein Anlass, Stempel „nachhaltig“ zu verweigern | |
| Den Betrieb der Atomanlagen dagegen ist für das Expertengremium relativ | |
| unproblematisch: Die Strahlenbelastung für die Allgemeinheit liege im | |
| Normalbetrieb „zehntausendmal niedriger als die Jahresdosis aus der | |
| natürlichen Hintergrundstrahlung“. | |
| Und bei einer Betrachtung des gesamten Lebenszyklus sei „die totale Wirkung | |
| auf die menschliche Gesundheit durch radiologische und nicht-radiologische | |
| Emissionen aus der Nuklearindustrie vergleichbar mit der Wirkung der | |
| Offshore-Windenergie auf die menschliche Gesundheit.“ | |
| Selbst bei der nuklearen Endlagerung sehen die JRC-Gutachter keinen Anlass, | |
| der Atomenergie den Stempel „nachhaltig“ zu verweigern. Es gebe einen | |
| „breiten wissenschaftlichen und technischen Konsens“, dass die Endlagerung | |
| von hochradioaktivem Abfall unter der Erde „angemessen und sicher“ sei, um | |
| die Abfälle von der Biosphäre „für sehr lange Zeiträume zu isolieren“. | |
| Immerhin, so die Gutachter, sei auch die unter Umweltschützern umstrittene | |
| Abtrennung und Speicherung von CO2 (CCS) als „Langzeit-Speicherung von | |
| Abfall in geologischen Schichten in die Taxonomie aufgenommen und positiv | |
| bewertet worden.“ Was für CO2-Speicherung gelte, müsse also auch für | |
| Atommüll-Endlagerung möglich sein. | |
| Die grüne Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag, Sylvia | |
| Kotting-Uhl, zeigte sich von dem Bericht „enttäuscht und entsetzt, er ist | |
| schlimmer als befürchtet“. Sie meinte aber zum JRC auch, „von einer | |
| Organisation, die direkt von der EU-Atomgemeinde Euratom gefördert wird, | |
| konnte niemand einen unabhängigen Bericht zu den Gefahren der Atomkraft | |
| erwarten.“ | |
| Das Institut liefere eine „Märchenstunde über die Harmlosigkeit der | |
| Atomkraft“. Die Bundesregierung müsse nun „sofort Protest einlegen und sich | |
| fachlich mit einem Bericht ihrer eigenen Sachverständigenorganisationen zur | |
| Wehr setzen.“ | |
| 30 Mar 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Oekologische-Investments-in-EU/!5758209 | |
| [2] /Die-EU-Kommission-und-der-Green-Deal/!5670444 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Atomkraft | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Geldanlage | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| Atom | |
| Schwerpunkt Atomkraft | |
| Europäische Union | |
| Schwerpunkt Atomkraft | |
| Grönland | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Green Deal | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Atomkraft in Frankreich: Flucht nach vorn | |
| Präsident Emmanuel Macron kündigt die Entwicklung von SMR-„Kleinreaktoren“ | |
| an – auch für den Export. Das hat auch mit der Wahl 2022 zu tun. | |
| Debatte über grünes Geld: Ein AKW als Öko-Geldanlage? | |
| Die EU diskutiert ernsthaft, ob Investitionen in Atomkraft nachhaltig sind. | |
| Jetzt widerspricht Österreich mit einem neuen Rechtsgutachten. | |
| Umfrage zu EU-Plänen: Kein Bock auf grüne AKW | |
| Die EU erwägt, Investments in Atomkraftwerke als nachhaltig einzustufen. | |
| Nicht mal jede:r Fünfte würde da laut einer Umfrage mitgehen. | |
| Neue Einstufung für Finanzanlagen: EU findet AKWs klimafreundlich | |
| Deutschland und vier weitere Staaten warnen davor, dass Investments in | |
| Atomkraft als grüne Finanzanlage gelten. Ungewiss ist, ob sie sich | |
| durchsetzen. | |
| Bericht über Störfall: Chinesisches AKW leckt | |
| Sind aus der südchinesischen Atomanlage Taishan größere Mengen radioaktive | |
| Gase ausgetreten? Oder ist das nur Panikmache? China beschwichtigt. | |
| Vorgezogene Wahlen auf der Arktisinsel: Rote Sonne über Grönland | |
| Die Regierung der Arktisinsel zerbrach am Streit um den Uran-Bergbau. Bei | |
| den Wahlen am Dienstag geht es auch um den Weg zur Selbstständigkeit. | |
| Ökologische Investments in EU: Kompass in Gefahr | |
| Die EU will bewerten, ob Investments ökologisch sind. Viele Staaten wollen | |
| die Kriterien verwässern, die „Taxonomie“ steht auf der Kippe. | |
| Zehn Jahre nach Fukushima: Atomlobby wittert Morgenluft | |
| Das Desaster von Fukushima war ein Schock. Zehn Jahre später versucht die | |
| Atomlobby die Kernenergie als Retterin in der Klimakrise zu präsentieren. | |
| Die EU-Kommission und der Green Deal: Grün, grüner, Industrie | |
| Die EU-Kommission hat einen Entwurf für eine neue Industriestrategie | |
| vorgelegt. Es geht um Wettbewerb, Digitalisierung und Klimaschutz. |