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# taz.de -- Anrechnung im EU-Haushalt: Fusionskosten schönen Klimabilanz
> Zum EU-Klimaziel wird der Fusionsreaktor Iter nichts beitragen. Trotzdem
> will ihn die EU-Kommission unter Klimaschutzausgaben verbuchen.
Bild: Strom wird hier nie erzeugt werden: die Iter-Baustelle im südfranzösisc…
Berlin taz | Die Selbstverpflichtung der EU ist eindeutig: Sie will bis zum
Jahr 2050 klimaneutral werden. Und damit das auch gelingt, sollen künftig
mindestens 30 Prozent aller Ausgaben der EU dem Erreichen dieses Klimaziels
dienen. So hat es der Europäische Rat im vergangenen Sommer beschlossen.
Doch bei der Frage, was zur Klimaneutralität bis 2050 beiträgt, nimmt die
EU-Kommission es mit den Fakten nicht so genau. Denn auf die geforderte
Quote will sie nach taz-Informationen auch sämtliche Ausgaben anrechnen,
mit denen sich die EU an den Kosten des Fusionsreaktors Iter beteiligt. Für
den Zeitraum von 2021 bis 2027 sind das rund 5,6 Milliarden Euro.
Ob dieses Geld gut investiert ist, darüber gehen die Meinungen auseinander
– viele Umweltorganisationen und Grüne halten die hohen Ausgaben angesichts
vieler ungelöster Probleme und unklarer Perspektiven für Geldverschwendung.
Andere politische Akteure setzen große Hoffnung darauf, dass die Fusion
eines Tages die gesamten Energieprobleme der Menschheit lösen werde.
Doch eins ist völlig unstrittig: Selbst glühende Befürworter des Projekts
behaupten nicht, dass Iter einen Beitrag zum Erreichen der Klimaneutralität
im Jahr 2050 leisten könnte.
## Iter wird gar keinen Strom erzeugen
Das internationale Gemeinschaftsprojekt im südfranzösischen Cadarache
befindet sich mitten im Bau. Wenn alles nach Plan läuft – was angesichts
der bisherigen Verzögerungen eine ziemlich optimistische Annahme wäre –
soll der Reaktor in fünf Jahren erstmals Plasma erzeugen, jenen vierten
Zustand neben fest, flüssig und gasförmig, in dem sich bei gewaltigen
Temperaturen von 150 Millionen Grad die Atomstruktur auflöst.
Weitere zehn Jahre später, also Mitte der 30er Jahre, sollen dann erste
Fusionsexperimente stattfinden, also die Verschmelzung der schweren
Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium zu Helium, bei der viel Energie
freigesetzt wird.
Doch selbst wenn das gelingen sollte, wird Iter keine einzige
Kilowattstunde Strom erzeugen – der Fusionsreaktor, dessen Gesamtkosten
bisher auf 30 Milliarden Euro geschätzt werden, ist ein reines
Forschungskraftwerk ohne Generator. Möglichkeiten zur Stromerzeugung
könnten erst in Folgeprojekten erprobt werden – sofern bis dahin zahlreiche
zentrale technische Probleme gelöst werden. [1][(Eine ausführliche
Recherche zu den offenen Fragen findet sich hier.)]
Kommerzielle Stromproduktion per Fusion wäre auch im besten Fall erst weit
in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts denkbar – und ob sie dann mit
den immer preiswerteren erneuerbaren Energien konkurrieren könnte, ist
fraglich. „Die wirtschaftliche Tragfähigkeit muss erst noch demonstriert
werden“, sagt auch Michael Claessens, ein langjähriger Iter-Experte in der
EU-Kommission.
Trotzdem sollen die Iter-Kosten nun als Ausgaben [2][für das
EU-Klimaschutzziel] gewertet werden. Das stieß auch in einigen
Mitgliedstaaten auf Widerspruch, wie aus einem Protokoll des Rats vom
Dezember hervorgeht. Die Anrechnung der Kosten auf die Klimaquote wurde
darin explizit gestrichen.
## Kommission ignoriert Haltung des Rats
Die EU-Kommission will sich davon aber nicht beeindrucken lassen. Weil
Fusion langfristig durchaus dem Klimaschutz dienen könne, sei weiterhin
geplant, die Iter-Ausgaben auf die Klimaquote anzurechnen, teilte eine
Kommissionssprecherin der taz mit.
Die Grünen-Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl lehnt das ab. „Sich diese sinnlos
vergeudeten Milliarden als Klimaschutz auf die Fahnen zu schreiben ist
schamlos“, sagte sie der taz. „Statt mit Rechentricks Klimaschutz
vorzutäuschen, muss die EU-Kommission ihre Gelder für das Erreichen des
Pariser Klimaziels einsetzen.“
Auch Antje Mensen vom Deutschen Naturschutzring hat kein Verständnis für
den Plan der EU-Kommission. „Es gibt offenbar immer noch
Entscheidungsträger*innen, denen es nur darum geht, die Klimaquote auf dem
Papier zu erfüllen“, sagte sie. „Das verkennt die großen Herausforderungen
beim klimaneutralen Umbau der Wirtschaft und in der sozialen Abfederung der
Transformation.“
27 Jan 2021
## LINKS
[1] /Energie-durch-Kernfusion/!5707537
[2] /55-Prozent-weniger-Treibhausgas-bis-2030/!5737555
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
## TAGS
Klimaneutralität
Green Deal
Schwerpunkt Klimawandel
Fusion
Europäische Union
Schwerpunkt Klimawandel
Erneuerbare Energien
Kernenergie
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