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# taz.de -- Vater von Julian Assange: „Weshalb tun die Mächtigen das?“
> Seit zehn Jahren ist Wikileaks-Gründer Assange auf der Flucht oder im
> Gefängnis. Sein Vater kämpft für seine Rückführung nach Australien.
Bild: Will Druck machen auf die australische Regierung: Julian Assanges Vater J…
Canberra taz | Irgendwie erinnert er an Albert Einstein, mit etwas mehr
Glatze. Schüttere, ungekämmte weiße Haare, die Brille sitzt tief. 75 Jahre
alt ist John Shipton. Seine Stimme ist so ruhig, so monoton, man muss gut
zuhören, um nichts zu verpassen. Selbst, wenn er dem Fragenden verbal ans
Schienbein tritt, tönt er wie ein netter Opa. „Ihre Fragen dienen einzig
den Leuten und Institutionen, die ein Interesse daran haben, weiter von der
Kriminalität dieser Verbrechen abzulenken“ schimpft er. Den Blick hält er
gesenkt, als ob ihm die Konfrontation peinlich wäre.
Es scheint klar, dass John Shipton fast immer umgeben ist von Leuten, die
seinen Sohn verehren. Von Journalisten, die den Kollegen als Vorbild sehen,
von Menschenrechtlern, die ihn als Märtyrer feiern. Shipton ist jedenfalls
keine kritischen Fragen gewöhnt, und er hat wenig Geduld mit jenen, die sie
stellen.
Etwa die Frage, ob sein Sohn Julian Assange 2016 mit der Veröffentlichung
interner Emails der amerikanischen Demokratischen Partei durch die
Enthüllungsplattform Wikileaks nicht [1][Donald Trump zum Sieg verholfen
habe]. Er verdreht die Augen. „Diese Sache ist kalter Kaffee“, sagt er.
„Die Emails haben kriminelle Aktivitäten der Demokraten gezeigt“. Damit sei
das Thema vom Tisch.
Für ihn vielleicht. Nicht aber für jene, die Assange vor dem Skandal als
Ikone progressiven Denkens und freier Meinungsäußerung zelebriert hatten;
bevor er die Wahlkampagne der damaligen Präsidentschaftskandidatin Hillary
Clinton ins Chaos stürzte. Auch viele von Assanges Anhängern haben ihm das
bis heute nicht verziehen. [2][Er sei ein Instrument Wladimir Putins
geworden], so der Vorwurf. Die Emails waren Wikileaks von russischen
Agenten zugespielt worden. Für John Shipton ist das kein Thema. Das
Ergebnis sei entscheidend: die Offenlegung von Illegalität.
Julian Assange war 2012 in die ecuadorianische Botschaft in London
geflohen, nachdem ihn Schweden wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung per
internationalem Haftbefehl gesucht hatte. Assange streitet bis heute ab,
eine Straftat begangen zu haben. Vielmehr seien Beschuldigung und
Haftbefehl Mittel, um ihn in die USA ausliefern zu können. Dort drohen ihm
175 Jahre Haft, vielleicht sogar die Todesstrafe. Der Vorwurf der
amerikanischen Regierung: Spionage.
## Sieben Jahre in der Botschaft
Wikileaks hatte den Zorn Washingtons auf sich gezogen, nachdem es tausende
von Seiten einst geheimer Berichte und Dokumente veröffentlicht hatte, die
von amerikanischen Geheimdiensten und dem Militär erstellt wurden. Eine der
spektakulärsten Enthüllungen von Wikileaks war [3][das Video eines
Luftangriffs auf Zivilisten in Irak]. Dazu kamen weitere Informationen über
mutmaßliche Kriegsverbrechen amerikanischer Truppen.
Sieben Jahre dauerte Assange’s selbst verhängtes Asyl in der
ecuadorianischen Botschaft. Quito gewährte ihm sogar die
Staatsbürgerschaft. Vom Balkon der Botschaft rief er seine jubelnden
Anhänger dazu auf, Druck zu machen auf Politiker und Justiz. Nur verlassen
konnte Assange das Gebäude in der Innenstadt von London nicht – die
britische Polizei stand Tag und Nacht bereit, um ihn zu verhaften.
2018 endeten Geduld und Gastfreundschaft der ecuadorianischen Regierung.
Auf Anordnung des neuen Präsidenten Lenín Moreno entzog ihm die Botschaft
erst den Internetzugang, dann das Asylrecht. Am 11. April 2019 nahm ihn die
britische Polizei fest. Seither harrt Assange in Einzelhaft in einem
britischen Hochsicherheitsgefängnis aus – 23 Stunden am Tag. Terroristen
und Mörder sind seine Nachbarn.
„Es geht ihm nicht sehr gut“, sagt John Shipton, „erst Jahre in der
Botschaft und jetzt diese psychologische Folter“. Seit Jahren versucht der
Vater, die australische Regierung dazu zu bringen, seinen Sohn heimzuholen.
Doch die enge Partnerschaft mit den USA hindert Canberra, sich in
Washington für ihn einzusetzen.
So fährt Shipton in diesen Tagen mit einer Gruppe von Aktivisten durchs
Land, um im australischen Volk Unterstützung für die Heimkehr zu finden. Um
von unten Druck auf die Regierung zu machen. Auf ein gerechtes Amerika
hofft er nicht: „Noch nie hat das auf Spionage spezialisierte Gericht im
amerikanischen Bundesstaat Virginia jemanden für unschuldig erklärt“.
## „Journalist ohne einen Makel“
Dann klingelt Shipton's Telefon. Er nimmt den Anruf entgegen. Es ist Julian
Assange.
[4][Covid-19] hat sich für die Eingesperrten im Gefängnis als Segen
erwiesen. Weil keine Besucher erlaubt sind, dürfen sie häufiger
telefonieren. Zehn Minuten jeweils, dann wird die Leitung gekappt. Was hat
er mit seinem Sohn besprochen? „Es ist nett von Ihnen, mich zu fragen“,
meint er. „Aber ich werde es Ihnen nicht sagen“. Wir, die Medien, die
Öffentlichkeit, wir sollten uns doch endlich mal auf das konzentrieren, was
wichtig sei, herrscht er einen an. Auf die enormen Verbrechen etwa, die nur
durch die Arbeit seines Sohnes zu Tage gekommen seien.
Seit Beginn der Invasionen der Länder im Nahen Osten durch die USA und ihre
Verbündeten seien sechs bis sieben Millionen Menschen umgekommen. „Sudan,
Jemen, Libyen, Syrien, Irak, Afghanistan – die Liste ist ein Dokument des
Teufels“. Der Begriff „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ werde zu
leichtfertig verwendet. „Er bedeutet konkret, dass jemand Ihren Vater
ermordet hat, Ihre Mutter, Ihren Bruder, Ihre Schwester, Ihre Kinder. Der
Pol der Trauer, der über dem Nahen Osten hängt, ist ein Schandfleck für die
Menschheit. Er muss korrigiert werden“. Und die Verantwortlichen müssten
zur Rechenschaft gezogen werden.
In seinem Heimatland Australien haben prominente Journalisten kritisiert,
Julian Assange sei keiner von ihnen. Denn er veröffentliche meist rohe
Daten, unredigiert, nicht analysiert – Streubomben sozusagen. Shipton winkt
ab: „Dieser Mann hat 26 Auszeichnungen für Journalismus erhalten, unter
ihnen den höchsten Journalismuspreis in Australien. Er ist und bleibt ein
Journalist – ein Journalist ohne einen Makel der Lüge“.
Ist Julian Assange ein Blutzeuge für Meinungsfreiheit und Transparenz? Eine
weitere Frage, für die John Shipton wenig Verständnis zeigt. Julian selbst
mache sich bestimmt nicht zum Märtyrer. „Er würde lieber heimkommen und mit
uns einen Kaffee trinken. Aber das kann er nicht, weil er von anderen in
einem kleinen Raum eingesperrt ist. Deshalb muss Ihre Frage lauten: Weshalb
tun die Mächtigen das?“ Die Antwort sei klar: „Sie lassen ihn leiden, um
uns Angst davor zu machen, ähnliches zu tun wie er.“
Auf die Frage, ob er seinen Sohn jemals wieder in Freiheit sehen wird,
antwortet der Vater ebenso kryptisch wie überraschend. „Geht am Morgen die
Sonne auf?“, fragt er rhetorisch. Natürlich werde sein Sohn wieder frei
sein. Dabei hatte John Shipton eben noch behauptet, er nutze „weder die
Werkzeuge der Hoffnung, noch die des Optimismus'.“
12 Mar 2021
## LINKS
[1] /Wikileaks-Rolle-im-US-Wahlkampf/!5345290
[2] /Warum-die-USA-mit-Russland-kuscheln/!5368625
[3] /US-Militaer-Video-auf-WikiLeaks/!5144843
[4] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
## AUTOREN
Urs Wälterlin
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