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# taz.de -- Sicherheitsgesetze in Australien: Repression gegen Youtuber
> Australien hat nach 9/11 mehr als 90 Antiterrorgesetze erlassen. Sie
> treffen immer häufiger Normalbürger. Bürgerrechtsorganisationen warnen.
Bild: Polizeieinsatz in Melbourne (hier bei einer Demo gegen Coronamaßnahmen a…
Canberra taz | Erst kam der alte Familienhund dran, dann fiel die
gehbehinderte Mutter zu Boden. Die Beamten einer Antiterrorsondereinheit
der Polizei fackelten nicht lange, als sie im Juni Kristo Langker
verhafteten. Handyaufnahmen zeigen ein mehr als forsches Vorgehen der
Polizisten, als sie den 20-jährigen Mann im Haus seiner Eltern in
Handschellen legen.
Langker, Produzent für den bekannten australischen Youtube-Komiker
[1][Jordan Shanks], hatte in Sydney auf der Straße den Vizepremierminister
des Bundesstaates angesprochen, John Barilaro. Der Politiker war in den
letzten Monaten wegen Misswirtschaftsvorwürfen öfters Ziel des Spotts von
Jordan Shanks gewesen. Er wolle von ihm wissen, sagte Langker, weshalb er
Shanks wegen Beleidigung verklagt habe.
Barilaro stieg schweigend in seine Limousine. Danach soll der Politiker die
Polizei alarmiert haben, glauben Langkers Anwälte. Inzwischen auf Kaution
frei, droht dem jungen Produzenten eine Freiheitsstrafe wegen „Stalking“.
Die Polizei, analysiert Anwalt Stephen Blanks vom Konzil für Bürgerrechte
in Sydney im Gespräch mit der taz, mache „die Schmutzarbeit für die
Politik“. Für Blanks und andere Rechtsexperten ist der Fall Langker ein
weiteres Beispiel dafür, wie in Australien immer öfter Gesetze, die
eigentlich zur Vermeidung und Verfolgung schwerster Straftaten vorgesehen
waren, gegen kritische Stimmen eingesetzt werden.
## Rekord an neuen Antiterrorgesetzen
„Rund 90 Antiterrorgesetze hat Australien seit den Terroranschlägen vom 11.
September 2001 in New York eingeführt“, sagt Blanks, „mehr als jedes andere
Land auf der Welt.“
Die Sondereinheit, die Langker verhaftet hatte, war als Reaktion auf den
Überfall auf das Lindt-Café im Herzen von Sydney im Jahr 2014 geschaffen
worden. Damals kamen bei der Geiselnahme durch einen vermeintlich
[2][islamistisch motivierten Möchtegern-Geistlichen] drei Menschen ums
Leben, inklusive des Attentäters.
Die Aufgabe der speziell ausgebildeten Beamten wäre eigentlich, potenzielle
gewaltbereite Einzeltäter mit politischem Hintergrund – sogenannte einsame
Wölfe – rechtzeitig aus dem Verkehr zu ziehen und nicht Komiker mit einem
frechen Maul zum Schweigen zu bringen.
„Solche Operationen werden immer mehr auf Leute ausgeweitet, die keine
ernsthafte Gefahr für die Gemeinschaft sind“, sagt Blanks.
## Antiterrorgesetze betreffen Normalbürger
Bürgerrechtsorganisationen warnen schon seit Jahren, dass die Flut von
Antiterrorgesetzen könne auch gegen ganz gewöhnliche Australierinnen und
Australier eingesetzt werden. Derartige Befürchtungen werden von Politikern
meist als übertrieben oder gar als „paranoid“ abgetan.
Im Kampf gegen Terrorismus will keine der beiden großen Parteien als
„schwach“ dastehen. Und so wurden praktisch alle entsprechenden
Gesetzesvorschläge der konservativen Regierung von der
[3][sozialdemokratischen Opposition] still akzeptiert.
Für Kritiker stehen einige dieser Gesetze im Widerspruch zu den Prinzipien
einer informierten Gesellschaft und liberalen Demokratie. So gilt seit
einigen Jahren, dass Gerichtsprozesse hinter verschlossener Tür stattfinden
können, falls der Staat eine „Gefahr für die Sicherheit der Nation“
befürchtet. Das steht im Widerspruch zu einem offenen Justizsystem, das
auch in Australien eine lange Tradition hat.
Dieses Gesetz wird gegenwärtig im Fall eines Whistleblowers angewendet, der
aufgedeckt hatte, dass australische Spione den Kabinettssitzungsraum der
Regierung von Osttimor mit Abhöreinrichtungen „verwanzt“ hatten. Die
australische Regierung verschaffte sich damit einen Informationsvorteil in
ihren Verhandlungen mit der Regierung des bitterarmen Nachbarstaates über
die Ausbeutung von Ölvorkommen im Seegebiet zwischen beiden Ländern.
## Zugang zu Computer von Journalisten
Häufig im Fokus der Terrorbekämpfer stehen auch Journalisten. Mitte 2019
geriet Australien weltweit in die Schlagzeilen, als die Polizei [4][die
Büros des Fernsehsenders ABC in Sydney stürmte] und Recherchematerial zu
einem Bericht zum Verhalten australischer Soldaten in Afghanistan
beschlagnahmte.
Der damalige ABC-Chefredakteur John Lyons zeigte sich überrascht, welche
weitreichenden Rechte die Polizisten hatten. Die Beamten seien laut
Untersuchungsbefehl befugt gewesen, Daten auf den Computern der
Journalisten zu „ergänzen, zu kopieren, zu löschen oder zu ändern“.
Auch die Wohnung einer Journalistin des Verlages News Corp wurde von
Agenten auf den Kopf gestellt, nachdem sie einen Artikel veröffentlicht
hatte, deren Quelle offensichtlich ein Whistleblower in der Verwaltung war.
Beide Razzien wurden allerdings später vor Gericht für illegal befunden.
Den vielleicht tiefsten Eingriff in die Privatsphäre erlaubt ein Paket von
Gesetzen, das im Jahr 2015 verabschiedet worden war – zu einer Zeit, in der
die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) in verschiedenen Ländern
den Höhepunkt ihrer Macht feierte.
## Zwei Jahre gespeichert
Seither müssen Internetfirmen und Telefongesellschaften die sogenannten
Metadaten aller Anrufe, Internetsitzungen, E-Mails und Textnachrichten
jedes einzelnen Nutzers zwei Jahre lang speichern. Das Material kann von 22
verschiedenen Polizeibehörden und Geheimdiensten eingesehen werden – ohne
richterliche Verfügung.
In einer Stellungnahme gegenüber der taz verteidigt das australische
Innenministerium die Gesetze. „Die nationalen Sicherheitsgesetze müssen mit
dem komplexen operativen Umfeld Schritt halten können“, so ein Sprecher.
Gerade Daten aus dem Telekommunikationsverkehr spielten eine wichtige
Rolle, um „die Öffentlichkeit vor Gewalttätern und Terroristen zu
schützen“. Die Sammlung von Metadaten sei ein „wichtiges Werkzeug im Kampf
gegen schwere Verbrechen wie Mord, sexuelle Gewalt, Drogenhandel und
Entführungen“.
In der Öffentlichkeit erregen solch weitreichende Maßnahmen selten große
Empörung. „Wir sind generell politisch apathisch“, klagt Stephen Blanks.
Solange ein Gesetz einen selbst nicht betreffe, kümmere man sich nicht
darum. Zudem stelle die Politik seit Jahren gewisse Gruppen der Bevölkerung
– etwa Geflohene und Muslime – als Bedrohung dar, die nur durch eine
Verschärfung der Sicherheitsgesetze in Schach gehalten werden könne.
Laut Blanks sind Vollmachten, wie sie in vielen der Gesetze verankert sind,
ein „Rezept für den Missbrauch“ durch die Behörden. Von der Gefahr eines
Polizeistaates sprechen will der Anwalt trotzdem nicht – „das würde mich in
ernsthafte Schwierigkeiten bringen“, meint er.
Australien sei ein „wunderschönes Land, in dem die meisten Menschen frei
sind“, so der Jurist. Aber das Land habe auch eine „dunkle Seite“, die
nicht immer leicht zu sehen sei. „Sie ist aber sehr, sehr hässlich.“
24 Aug 2021
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/user/friendlyjordies/featured
[2] /Geiseldrama-in-Sydney/!5026129
[3] /Buergerrechte-in-Australien/!5572772
[4] /Durchsuchung-bei-ABC-in-Australien/!5601349
## AUTOREN
Urs Wälterlin
## TAGS
Australien
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