# taz.de -- Bericht zu rechten Polizeichats in NRW: „Gravierende Mängel“ | |
> In NRW flogen PolizistInnen mit rechtsextremen Chats auf. Nun bilanziert | |
> ein Untersuchungsbericht: Frühwarnsysteme hätten versagt. | |
Bild: Innenminister Herbert Reul mit PolizistInnen in Köln | |
DÜSSELDORF/BERLIN taz/dpa | Die Polizeibeamten verschickten Hitlerbilder | |
und Hakenkreuze, NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach von | |
„widerwärtigster Hetze“. Im September flogen die [1][rechtsextremen | |
Chatgruppen] in der Polizei NRW auf und sorgten für Entsetzen. Nun liegt | |
ein polizeiinterner Untersuchungsbericht zu den Vorfällen vor – und der | |
stellt den eigenen KollegInnen kein gutes Zeugnis aus. | |
Ermittelt wurde anfangs gegen gleich 29 Polizeibeamte, fast alle aus dem | |
Polizeipräsidium Essen, insbesondere der Mülheimer Dienstgruppe A, die samt | |
Dienstgruppenleiter komplett suspendiert wurde. Über Jahre sollen die | |
PolizistInnen in Chatgruppen rechtsextreme Inhalte verschickt haben. | |
Dies flog nur zufällig auf, weil einer der Polizisten durchsucht wurde, mit | |
dem Vorwurf, Polizeiinterna an einen Journalisten verraten zu haben. | |
Innenminister Reul nannte die Chats eine „[2][Schande für die NRW-Polizei]“ | |
– und setzte eine polizeiinterne Sonderinspektion ein, welche die Vorgänge | |
im Polizeipräsidium Essen untersuchte sollte. | |
Bereits zu Jahresbeginn legte diese ihren rund 30-seitigen Bericht, der als | |
„Verschlusssache“ eingestuft ist, Reuls Innenministerium vor. Am Donnerstag | |
wurde der Bericht im Innenausschuss des Landtags vorgestellt. Bereits vorab | |
versandte Reul am Mittwoch eine Vorlage an den Ausschuss, in der | |
Kernergebnisse des Berichts zusammengefasst werden. | |
In der Vorlage vom Mittwoch heißt es: „Ein Netzwerk von | |
(Rechts-)Extremisten innerhalb der Kreispolizeibehörde Essen oder innerhalb | |
der Polizei NRW existiert nicht.“ Über die Mülheimer Dienstgruppe fällt die | |
Sonderinspektion dennoch ein harsches Urteil. | |
„Alle Aspekte gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ | |
Die Chatgruppen der dortigen Polizeibeamten seien zwar nicht originär | |
extremistisch gewesen, sondern zum dienstlichen oder privaten Austausch, in | |
einem Fall etwa für Kegelverabredungen. „Temporär und sukzessive“ seien | |
dort aber rechtsextreme Inhalte eingestellt worden, vor allem im | |
Kegel-Chat. Hervorgetan habe sich „eine Gruppe negativer Treiber, die sich | |
mit Unterstützern umgeben hatte“. | |
Über diese urteilt der Bericht deutlich: „Das Handeln der Treiber und | |
Unterstützer ging deutlich über das Posten rechtsextremistischer, | |
fremdenfeindlicher, rassistischer und antisemitischer Inhalte hinaus. Es | |
erfasste nahezu alle Aspekte des Syndroms Gruppenbezogener | |
Menschenfeindlichkeit, nämlich Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, | |
Antisemitismus, Islamophobie, Sexismus, Homophobie etc.“ | |
Zudem seien die „Treiber“ und ihre Unterstützer auch anderweitig mit | |
Straftaten wie Körperverletzungen, Delikten gegen die sexuelle | |
Selbstbestimmung oder Amts-, Eigentums- oder Staatsschutzdelikten | |
aufgefallen. Der Bericht spricht von einer „Multidevianz“. | |
Laut der Sonderinspektion hätte das schon früher Konsequenzen haben müssen. | |
In der Dienststelle habe ein „nicht zu tolerierender innerbetrieblicher | |
Umgang“ geherrscht. Die Straftaten der PolizistInnen seien „in ihrem Umfeld | |
wahrnehmbar“ gewesen. Dies hätte „Aktivitäten bzw. Interventionen auslös… | |
müssen“. Jedoch: „Solche waren nicht feststellbar.“ Problematisch sei da… | |
gewesen, dass einige der Beamten schon lange auf ihren Positionen oder in | |
der Dienststelle saßen und gleichen Alters waren. | |
## Ein Fall von Führungsversagen | |
Auch die Vorgesetzten kritisiert der Bericht: „Vor allem aber haben | |
Führungskräfte im unmittelbaren Umfeld ihre Führungsaufgaben nicht | |
ordnungsgemäß wahrgenommen.“ Die Sonderinspektion schreibt von | |
„gravierenden und weitreichenden Mängeln“ in der Mülheimer Dienstgruppe. | |
Frühwarnmechanismen hätten „nicht gegriffen“, weil etwa Beschwerden oder | |
Anzeigen wegen Amtsdelikten nicht ausreichend bearbeitet wurden. | |
Mit dem obersten Behördenchef, Essens Polizeipräsident Frank Richter, geht | |
die Sonderinspektion dagegen milder um. Ihm attestiert sie eine | |
Bereitschaft zu einer „guten Gesprächskultur“ und zu | |
Sensibilisierungsmaßnahmen der Beschäftigen gegen Extremismus. | |
Die Sonderinspektion untersuchte zudem [3][Vorgänge in der Essener Polizei] | |
zurück bis zum Jahresanfang 2012. Dabei wurden 250 Beschäftigte befragt, | |
Ortsbesichtigungen durchgeführt, Akten ausgewertet. Vergleichbare Fälle wie | |
in der Polizeiwache Mülheim seien dabei aber nicht festgestellt worden, | |
heißt es im Bericht. | |
In 82 Fällen sei aber Hinweisen auf rechtsextreme Vorgänge nachgegangen | |
worden. 25 davon hatten tatsächlich eine straf- oder disziplinarrechtliche | |
Relevanz, 17 eine extremistische. Gemessen an der Behördengröße seien diese | |
Zahlen aber „nicht signifikant erhöht“, so die Sonderinspektion. | |
## Polizeipräsident versus Reul | |
Essens Polizeipräsident Richter hatte bereits Mitte Februar in einem | |
Schreiben an das Innenministerium behauptet, dass es keine rechtsextremen | |
Chatgruppen in seiner Behörde gab. Richter bezog sich dabei explizit auf | |
den noch nicht öffentlichen Bericht der Sonderinspektion und beklagte, dass | |
das Mitarbeitermagazin der Polizei NRW das Thema „Rechtsextremismus in der | |
Polizei“ zum Titel gemacht hatte. | |
Reul wies diese Darstellung am Mittwoch zurück. Richter habe den Bericht | |
„nicht vollständig wiedergegeben“. Der Minister verteidigte auch den | |
Rechtsextremismus-Titel des Polizeimagazins: Dass die Berichterstattung zu | |
Kontroversen führen würde, „war nicht nur voraussehbar, sondern | |
beabsichtigt“. | |
Am Donnerstag sagte Reul vor dem Innenausschuss bei einem Gespräch mit | |
Journalisten: „Jeder einzelne Fall ist ein Drama, aber es sind nicht die | |
großen Mengen“. Die Dimension sei „zu groß, aber nicht so groß, dass man | |
von einem Problem in der ganzen Polizei reden muss“. Insgesamt sei die Lage | |
„eigentlich nicht so schlimm“, wie er ursprünglich befürchtet habe. | |
Der Innenminister kündigte an, aus dem Lagebild Konsequenzen ziehen zu | |
wollen. Bis zum Herbst wolle der Beauftragte des Innenministeriums für | |
rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei eine Handlungsempfehlung | |
vorlegen. | |
Reul präsentierte am Donnerstag im Landtag auch ein Lagebild zu | |
„Rechtsextremistischen Tendenzen in der Polizei NRW“. Demnach gab es von | |
Anfang 2017 bis Ende 2020 insgesamt 212 Hinweise auf rechtsextreme | |
Vorkommnisse im Land. In 186 Fällen davon wurde ein disziplinar- oder | |
strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Elf dieser Fälle | |
betrafen auch Regierungsbeschäftigte und 13 Polizeiführungskräfte. Die | |
meisten Fälle spielten, wenig überraschend, bei der Polizei Essen (50). Es | |
folgten Aachen (25) und Köln (21). | |
Vier der PolizistInnen hatten dabei direkten Kontakt zu rechtsextremen | |
Organisationen, einer war gar Mitglied. Das Lagebild sieht bei der Mehrzahl | |
der betroffenen Beamten dennoch „kein geschlossenes rechtsextremistisches | |
Weltbild“. | |
Die auffälligen Chatgruppen sei vielmehr „innerdienstliche | |
Gesinnungsgemeinschaften“ gewesen, in denen rechtsextreme Äußerungen | |
„zumindest toleriert“ wurden. Und: „Konspirative und handlungsorientierte | |
rechtsextremistische Netzwerke innerhalb der Polizei NRW sind bislang nicht | |
nachweisbar.“ | |
In der Konsequenz wurden inzwischen aber bereits sechs Kommissarsanwärter | |
entlassen. Und das Innenministerium bestätigte auf taz-Anfrage, dass | |
inzwischen 40 weitere Hinweise eingingen. Mit Stand 10. März gibt es damit | |
252 Hinweise auf rechtsextremes Verhalten in der Polizei NRW, die 247 | |
Polizeibeamte betreffen. | |
Aktualisiert und ergänzt am Donnerstag 11.03.2021 um 16:25 Uhr und noch | |
einmal um 17:20 Uhr. | |
10 Mar 2021 | |
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[2] /Polizeiskandal-in-NRW/!5714629 | |
[3] /Rechtsextreme-Chats-bei-Polizei-NRW/!5755198 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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