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# taz.de -- Forscherin über Seehofers Polizeistudie: „Ich lasse mich nicht b…
> Lange wurde gestritten, nun startet die Polizeistudie, bezahlt vom
> Innenministerium. Das Ergebnis sei offen, beteuert Studienleiterin Anja
> Schiemann.
Bild: Hat die Polizei ein Problem mit Rassismus? Und: Will Innenminister Seehof…
taz: Frau Schiemann, seit Monatsbeginn arbeiten Sie an einer der
umstrittensten Studien dieses Landes: [1][der Polizeistudie, im Auftrag von
Seehofers Bundesinnenministerium.] Wie frei können Sie forschen?
Anja Schiemann: Auch für mich gilt die Forschungs- und
Wissenschaftsfreiheit – von daher kann ich sehr frei forschen. Und wir
haben auch keinen Auftrag vom Innenministerium bekommen, sondern wir haben
eigeninitiativ eine Projektskizze eingereicht und dafür einen
Zuwendungsbescheid erhalten. Wir arbeiten in diesem Projekt also völlig
unabhängig.
Vorausgegangen war aber eine hitzige politische Debatte: SPD-Chefin Esken
attestierte der Polizei latenten Rassismus, Seehofer verwahrte sich gegen
einen Generalverdacht. Die Studie war der Schlichtungsversuch – und auch
darum wurde lange gerungen. Lässt sich da wirklich unbefangen forschen?
Ja, natürlich. Die Daten, die wir generieren werden, haben ja nichts mit
der politischen Debatte zu tun. Das Ergebnis ist vollkommen offen. Und ich
lasse mich auch nicht beeinflussen. Das geht auch gar nicht, die Zahlen
werden für sich sprechen – unabhängig davon, was Herr Seehofer oder Frau
Esken sagen.
Ihnen zur Seite gestellt ist ein sechsköpfiger Beirat, den das
Innenministerium bestimmt und in dem etwa Polizeigewerkschafter Jörg Radek
sitzt. Das ist keine Einflussnahme?
Nein. Der Beirat soll uns beraten, aber keine Meinungen oktroyieren. Wir
müssen im Zweifelsfall auch nicht auf ihn hören. Aber ich bin froh und
dankbar, dass wir mit ihm beispielsweise die Inhalte unserer Fragebögen
wissenschaftlich diskutieren können. Das halte ich für sehr sinnvoll. Und
im Beirat sitzt ja nicht nur Herr Radek, sondern dort sind auch vier
Wissenschaftler mit entsprechender Expertise.
Warum wollten Sie diese Polizeistudie durchführen?
Als zuletzt die [2][Chatgruppenvorfälle in Hessen und NRW] auftauchten und
sich Stimmen mehrten, dass es rechtsextremistische Einstellungen in der
Polizei gibt, waren wir uns im Fachbereich einig, dass man in diesem
Bereich unbedingt forschen muss. Die letzte umfassende Studie zu
Einstellungen in der Polizei stammt ja aus den 90er Jahren, seitdem besteht
eine Forschungslücke. Es ist also wirklich Zeit für eine neue Studie.
Ist die Hochschule der Polizei, an der Sie arbeiten, für so eine Studie
auch unparteiisch genug?
Wir forschen an unserer Hochschule genauso frei wie anderswo. Und wie
gesagt: Wir erarbeiten hier eine wissenschaftliche, ergebnisoffene Studie.
Sie planen eine Vollerhebung und wollen alle gut 300.000 PolizistInnen in
Deutschland befragen. Wie ist das zu stemmen?
Das ist an sich kein Problem. Wir werden mit einem Onlinefragebogen
arbeiten, der über die Verteiler in den Innenministerien gestreut werden
könnte. Eine Vollerhebung ist auch sinnvoller, als sich einzelne Bereiche
herauszupicken, weil die Polizei ja ganz unterschiedliche Dienststellen und
Anforderungen hat. Je mehr Polizeibeamte wir befragen, desto
aussagekräftiger wird es. Dazu führen wir auch qualitative
Experteninterviews.
Das einzige Problem, was ich sehe, sind [3][einzelne Bundesländer, die nun
eigene Studien machen.] Die müssen wir auch für unsere Studie mit ins Boot
holen, damit wir am Ende einen Vergleich für alle Bundesländer haben.
Wann startet die Befragung?
Wir beginnen nun, die Fragebögen zu erarbeiten. Im Sommer sollen – wenn
Corona es erlaubt – die ersten Fokusgruppengespräche und die teilnehmenden
Beobachtungen stattfinden. Für September oder Oktober ist dann die
Vollerhebung geplant.
Mit welchem Rücklauf rechnen Sie da?
Das ist schwer zu sagen. Bei solchen Befragungen gelten ja 20 Prozent
Rücklauf als gut. Ich kann mir aber vorstellen, dass es bei uns einen viel
größeren Rücklauf geben wird, weil die Beamten ja ein intrinsisches
Interesse an einem authentischen Bild über ihren Berufsstand haben.
Ist das so? Andere ForscherInnen beklagen, dass die Polizei für solche
Studien nicht sehr offen sei.
Das kann ich nicht bestätigen. Wir erhalten bereits jetzt ganz viele
positive E-Mails und Anrufe. Polizeibeamte erklärten uns, es sei wichtig,
was wir machten, und sie stünden gerne für unsere Interviews zur Verfügung.
Das Interesse ist sehr, sehr groß.
Ihre Forschungsfragen sind breit angelegt: Von der Motivation der
Berufswahl über den Arbeitsalltag bis zu Gewalt gegen PolizistInnen: Was
hat das noch mit der Ausgangsdiskussion über rechtsextreme Einstellungen in
der Polizei zu tun?
Das gehört alles zusammen. Es nützt ja nichts, nur festzustellen: Wir haben
einen Prozentsatz x an Polizeibeamten mit extremistischen Einstellungen.
Sie wollen ja etwas dagegen tun.
Deshalb möchte ich untersuchen: Woher kommen diese Einstellungen? Wandeln
sich Motivation und Einstellungen der Beamten im Laufe des Berufslebens und
warum? Wie wird der einzelne Polizist aufgefangen, wenn er Gewalt erfährt?
Gibt es psychische Hilfen?
All das hat Einfluss auf die Einstellungen der Polizeibeamten. Und deshalb
ist es wichtig und richtig, auf den Berufsalltag zu schauen und die
Zufriedenheit.
Sie wollen am Ende auch Handlungsempfehlungen formulieren. Wie könnten
diese aussehen?
Das hängt von unseren Befragungsergebnissen ab. Es wird um Empfehlungen
gehen, wie die Beamten unterstützt werden können, auch in einer
Nulltoleranz gegenüber Rechtsextremismus. Das können Strukturen sein, die
erkennen, wenn ein Polizist extremistische Einstellungen hat. Die Kollegen
ermutigen, das sofort publik zu machen. Die sich des Problems annehmen und
es disziplinarrechtlich oder strafrechtlich verfolgen. Und die
Polizeiführern helfen, solche Vorgänge aufzuarbeiten.
Innenminister Reul in NRW installierte ja zuletzt etwa
Extremismusbeauftragte in der Polizei. Hier werden wir prüfen: Ist das
sinnvoll? Hilft das, Einzeltäter zu identifizieren oder Strukturen zu
zerschlagen?
Sind rechtsextreme Einstellungen von Polizeibeamten nur durch den
Berufsalltag erklärbar? Können diese nicht auch schon von vorneherein
bestanden haben?
Natürlich können extremistische Einstellungen schon bei Einstellung in den
Polizeidienst vorhanden sein. Allerdings gibt es ein Auswahlverfahren, und
nicht jeder, der es gerne will, kann Polizist werden. Hier wird – neben
anderen Voraussetzungen – ganz genau überprüft, ob eine extremistische
Gesinnung bei dem Bewerber vorhanden ist. Erkennt man dies, wird der
Bewerber nicht eingestellt.
Wie wollen Sie in Ihrer Studie denn rechtsextreme Einstellungen abfragen?
Das erarbeiten wir gerade. Ich habe dazu bereits Kontakt zu dem Bielefelder
Konfliktforscher Andreas Zick aufgenommen, dessen „Mitte-Studien“ ja
rechtsextreme Ansichten in der Bevölkerung untersuchen. Fragen aus der
„Mitte-Studie“, aber auch andere Fragen werden wir verwenden, um
Einstellungen insgesamt durch direkte und indirekte Maße zu erheben.
Herr Seehofer erklärte bereits: 99 Prozent der deutschen Polizeibeamten
seien verfassungstreu. Ist da Ihr Forschungsergebnis nicht schon
vorweggenommen?
Ich kann es nur noch mal betonen: Unsere Studie ist ergebnisoffen. Wie
verbreitet extremistische Einstellungen in der Polizei sind, darüber kann
man derzeit keine validen Aussagen treffen, weil die Forschung hier
jahrelang stagnierte. Deshalb hoffe ich, dass wir am Ende valide Zahlen
vorlegen können, die die hitzige politische Debatte etwas beruhigt und auf
eine empirische Basis stellt.
Ihre Studie ist auf drei Jahre angelegt. Ist das nicht eine sehr späte
Reaktion auf die Debatte?
Forschung braucht eben ihre Zeit, gerade wenn Sie eine so umfassende Studie
machen wie wir. Dafür werden wir in diesen drei Jahren immerhin zwei
quantitative Erhebungen vornehmen und somit auch Veränderungen in den
Einstellungen der Beamten messen können. Das wird wichtige Erkenntnisse
liefern, und schneller kann man das nicht schaffen.
Und was passiert, wenn dem Innenminister das Ergebnis am Ende nicht passt?
Die Ergebnisse sind wie sie sind und werden so veröffentlicht – ob sie der
Innenminister gut findet oder nicht. Wir betreiben hier Wissenschaft und
liefern keine Ergebnisse, die die Politik haben möchte.
15 Mar 2021
## LINKS
[1] /Studie-zu-Rassismus-in-der-Polizei/!5723836
[2] /Bericht-zu-rechten-Polizeichats-in-NRW/!5757462
[3] /Rassismus-bei-der-Polizei-Niedersachsen/!5719386
## AUTOREN
Konrad Litschko
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Rechtsextremismus
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