# taz.de -- Chinas Zorn trifft H&M: Modemarke unter Beschuss | |
> Die Entscheidung des schwedischen Bekleidungsriesen, keine Baumwolle mehr | |
> aus Xinjiang zu beziehen, zieht in China einen Shitstorm nach sich. | |
Bild: Im Kreuzfeuer: H&M-Filliale in einer Pekinger Shopping Mall | |
Peking taz | Zwischen den Jeansjacken und bunten Jogginghosen herrscht | |
gähnende Leere: Nur wenige Pärchen haben sich an diesem Donnerstagabend in | |
die H&M-Filiale im beliebten Pekinger Shopping-Viertel Sanlitun verirrt. Ob | |
heute weniger los ist als sonst? Dem Kassierer mit der durchsichtigen | |
Hornbrille ist das Unbehagen ins Gesicht geschrieben: „Ich habe keine | |
Ahnung“, sagt er und lächelt verlegen. | |
Im Internet ergibt sich eine deutliche Antwort. Denn online wurde die | |
schwedische Modemarke innerhalb weniger als 24 Stunden regelrecht | |
vernichtet. Auf den Online-Stores von „Taobao“ und „Tmall“ lassen sich | |
keine H&M-Produkte mehr kaufen. Auch die über 550 Filialen im Land können | |
auf den Karten-Apps chinesischer Smartphones schlicht nicht mehr gefunden | |
werden. Sämtliche digitalen Spuren sind praktisch gelöscht: Es ist, als ob | |
H&M in China niemals existiert hätte. | |
Was ist passiert? Am Mittwoch kramte die parteiinterne kommunistische | |
Jugendliga eine alte Stellungnahme von H&M aus dem letzten Jahr hervor, in | |
der sich das Unternehmen „zutiefst besorgt“ über Medienberichte zeigt, die | |
„Vorwürfe von Zwangsarbeit“ in Xinjiang beinhalten. Von daher, so heißt es | |
weiter, habe man sich entschieden, keine Baumwolle mehr aus jener Region zu | |
beziehen. Dieser Anstoß reichte aus, um einen wütenden Internet-Mob zu | |
mobilisieren. | |
Chinas Staatsfernsehen kritisierte, dass H&M nicht gleichzeitig die Hand | |
beißen könne, die sie füttert. Reporterin Bai Yunyi von der | |
nationalistischen Global Times schreibt auf ihrem Twitter-Account, dass | |
sich internationale Marken künftig wohl immer häufiger zwischen dem | |
chinesischen und dem westlichen Markt entscheiden müssen: „Grausam, aber | |
sehr wahrscheinlich wird es so kommen.“ | |
## Chinas Regierung flext ihre wirtschaftlichen Muskeln | |
Erboste Internetnutzer posten en masse auf sozialen Medien. „Ich | |
unterstütze Baumwolle aus Xinjiang. H&M, verpisst euch!“, lautet ein | |
Kommentar auf dem chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo mit mehr als | |
50.000 Likes. Ein anderer Nutzer meint zynisch: Auch in Chinas Banknoten | |
wird Wolle aus Xinjiang verwendet. Wenn H&M also diese boykottieren will, | |
dann sollten sie mit dem Verzicht auf chinesische Geldscheine beginnen. | |
Auch Adidas, Nike und andere westliche Marken werden wegen ähnlicher | |
Aussagen in der jüngeren Vergangenheit zu Xinjiang abgestraft. | |
Regelmäßig flext Chinas Regierung ihre wirtschaftlichen Muskeln gegen | |
aufmüpfige Staaten. Jüngst trafen die Restriktionen australische Winzer und | |
Rindfleischproduzenten, nachdem Premier Scott Morrison im letzten Frühjahr | |
eine Untersuchung zu Pekings Verschleierung des Virusausbruchs forderte. | |
## Immer mehr westliche Unternehmen stehen unter Druck | |
Dieses Mal jedoch sind es keine offiziellen Sanktionen, die China verhängt. | |
Doch um eine Graswurzelbewegung chinesischer Konsumenten handelt es sich | |
keineswegs, sondern vielmehr um eine staatlich orchestrierte Kampagne. | |
[1][Sie erfolgt jüngst wenige Tage, nachdem die EU vier chinesische | |
Parteikader aufgrund von Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang sanktioniert | |
hatte] – und Peking mit deutlich schärferen Gegensanktionen antwortete. | |
„Aufgrund der zunehmenden Politisierung sehen sich immer mehr europäische | |
Unternehmen zwischen Baum und Borke gefangen“, sagt Jörg Wuttke, Leiter der | |
europäischen Handelskammer in Peking. Einerseits fordert die heimische | |
Öffentlichkeit, dass Firmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung | |
nachkommen. Auf der anderen Seite können „saubere Lieferketten“ in China zu | |
einer Gegenreaktion führen. | |
## Nur wenige Chinesen stellen kritische Fragen | |
Viele Chinesen glauben nicht den Berichten westlicher Medien über die | |
[2][Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang, wo hunderttausende Uiguren in | |
Lagersystemen interniert werden]. Sie halten es schlicht nicht für möglich, | |
dass ihr Staat, zu dem sie mehrheitlich ein pragmatisches bis positives | |
Verhältnis hegen, zu solchen Gräueltaten fähig wäre. Doch gleichzeitig | |
haben die wenigsten Chinesen wirkliches Interesse, kritische Fragen zu | |
stellen – nicht zuletzt, weil sie es in einer zunehmend totalitären | |
Gesellschaft internalisiert haben, sensible Themen zu vermeiden. | |
Wer tiefere Einblicke in Chinas diplomatische Strategie bekommen möchte, | |
sollte den Worten von Ruan Zongze lauschen. Der Vizepräsident des China | |
Institute of International Studies gibt im Ballsaal des Pekinger Novotel | |
einen Vortrag über die Stellung seines Heimatlands in der internationalen | |
Staatengemeinschaft. Ruan strotzt nur so vor Selbstbewusstsein, genau wie | |
seine Staatsführung: „Die Realität ist, die USA sind nicht die einzige | |
Weltmacht mehr. Wir sollten eine neue internationale Ordnung aufbauen, die | |
auf gegenseitigem Respekt basiert.“ | |
Jener Respekt, das ist unmissverständlich, beinhaltet auch, dass China | |
„keine Einmischungen in innere Angelegenheiten toleriert“ – von Xinjiang | |
über Hongkong bis hin zur „Vereinigung“ mit Taiwan. | |
25 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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