# taz.de -- Militärputsch in Myanmar: Diktatur oder Revolution | |
> Folter und Mord – das Militär in Myanmar wird noch viele Opfer fordern | |
> und das Land in den Abgrund führen. Dialog und Kompromisse sind derzeit | |
> unvorstellbar. | |
Bild: Protest gegen Diktatur durch Myanmars Armeechef Min Aung Hlaing und das P… | |
Die Bilder vom Vorgehen des Militärs gegen die Massenproteste in Myanmar | |
sind unerträglich. [1][Bisher sind mehr als 240 Menschen vom Putschregime | |
getötet worden]. Demonstrant:innen, denen das halbe Gesicht weggeschossen | |
wurde, bei denen wegen hohen Blutverlustes jede Hilfe zu spät kommt, die | |
von der Polizei mit Knüppeln erschlagen werden oder deren Körper nach | |
nächtlichen Razzien durch tödliche Folter entstellt sind oder aussehen, als | |
seien ihnen noch Organe entnommen worden. Die Armee führt Krieg gegen das | |
eigene Volk, um es zu brechen. | |
Doch [2][heizt es den Widerstand damit nur an] und hat die Bevölkerung quer | |
durch alle Schichten, Ethnien und Glaubensrichtungen vereint wie nie zuvor. | |
Mit Mut und Erfindungsreichtum hält sie dem Terror stand und verweigert den | |
Generälen die Anerkennung ihrer Machtübernahme. Noch ist es eine Stärke der | |
Protestbewegung, dass sie keine politischen Führer hat und diese nicht | |
verhaftet werden können. | |
Zwar gibt es in Myanmar etliche ethnische Milizen, die seit Jahrzehnten das | |
Militär bekämpfen. Doch die Waffen der Protestbewegung sind bisher nur | |
politischer Natur. Neben den seit Wochen andauernden Demonstrationen sind | |
dies die [3][flächendeckenden Streiks sowie die Bildung einer | |
Gegenregierung] aus untergetauchten Abgeordneten der zuvor regierenden | |
Nationalen Liga für Demokratie (NLD). | |
Der breite, andauernde, vielfältige, mutige und recht effektive Widerstand | |
hat die Putschisten überrascht. Bisher haben sie dagegen kein Mittel | |
gefunden. Denn die Proteste und Streiks bis in den Regierungsapparat hinein | |
lassen das Land nicht zu einer Normalität zurückkehren, wie dies etwa beim | |
letzten Putsch im Nachbarn Thailand schon nach Stunden der Fall war. | |
Smartphones und soziale Medien verbreiten täglich Bilder von der Brutalität | |
des Putschregimes, die es früher unterdrücken konnte. Dies macht dessen | |
Propaganda wirkungslos, während die Streiks das Land lahmlegen. Dafür zahlt | |
auch die Bevölkerung einen hohen Preis. Denn wie sich kürzlich bei 700 | |
Eisenbahnern zeigte, verlieren sie für ihren zivilen Ungehorsam nicht nur | |
Jobs und Rentenansprüche, sondern ihre Familien auch ihr Zuhause, wenn sie | |
aus den Werkswohnungen geworfen werden. Seit Wochen funktionieren die | |
meisten Banken nicht mehr, Transporte per Zug, Lkw, Schiff oder Flugzeug | |
sind nur noch rudimentär, Gesundheitsversorgung und Bildungssystem sind | |
zusammengebrochen. Eine Welle von Armut, Verelendung und Flucht ist zu | |
erwarten. | |
## Land am Abgrund | |
Die Armee weiß sich nicht anders zu helfen, als zu versuchen, durch noch | |
mehr Gewalt den Widerstand zu brechen. Sie treibt das Land so noch mehr in | |
den Abgrund, verstärkt den Hass auf das Militär und macht es | |
unwahrscheinlicher, dass die Bevölkerung zu Kompromissen bereit ist. Denn | |
für sie geht es nicht mehr um politische Winkelzüge, sondern um Diktatur | |
oder Revolution. Weil die Generäle den wachsenden Hass spüren, wissen sie, | |
dass eine Niederlage nicht nur zum Verlust bisheriger Privilegien führen | |
würde, sondern zu Anklagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. | |
Deshalb riskieren sie, das Land zum failed state zwischen Indien und China | |
zu machen. Sie nehmen auch einen Bürgerkrieg in Kauf. Bei dem könnten sie | |
noch härter vorgehen und wären siegessicher. | |
Wirksame Sanktionen, welche die zu allem entschlossenen Generäle zum | |
Einlenken bringen, sind nicht in Sicht. Die Sanktionsbeschlüsse der EU vom | |
Montag können die Generäle, die in Europa weder Konten haben noch Urlaube | |
verbringen, ignorieren. Dem französischen Konzern Total die Suspendierung | |
seiner auch für die Junta lukrativen Gasprojekte zu verordnen, wagt die EU | |
nicht. Eine Spaltung des Militärs ist auch nicht zu sehen. Die weitere | |
Nichtanerkennung des Putschregimes ist das Mindeste, was von der | |
internationalen Gemeinschaft gefordert werden muss. | |
Doch stellen sich zwei zynische Fragen: Wie viele Putschgegner sollen noch | |
erschossen werden, bis die Bevölkerung sich bewaffnet und zurückschießt? | |
Oder aber: Wie viele tote Demonstrant:innen ist das hehre Ziel wert, | |
die Generäle eines Tages hinter Gitter zu bringen? Ergibt es Sinn | |
weiterzukämpfen, wenn Tausende oder gar Zehntausende sterben, Millionen | |
fliehen und das Land zerstört wird ähnlich wie Libyen oder Syrien? | |
## Schwierige Szenarien | |
Gibt es Chancen, solche Horrorszenarien zu verhindern? Doch das hieße wohl, | |
die Macht der illegitimen wie illegalen Militärjunta ein Stück weit | |
anerkennen zu müssen. Es wäre ein Pakt mit dem Teufel, der den Generälen | |
wahrscheinlich Straffreiheit, Machtbeteilung und vielleicht Neuwahlen | |
zusichert. Angesichts der Verbrechen der Generäle eine schwer erträgliche | |
Vorstellung. Doch für Realpolitiker:innen und erfahrene | |
Krisenmanager:innen ist das wohl unausweichlich. | |
Die benachbarten Asean-Staaten fordern schon jetzt einen Dialog. Aus ihren | |
Reihen könnte eine Vermittlung kommen, zum Beispiel von Indonesien. Doch | |
würde dies zum jetzigen Zeitpunkt der Protestbewegung in den Rücken fallen | |
und sie wohl auch spalten. Ihre jetzige Stärke der Führungslosigkeit könnte | |
sich in einen Nachteil verwandeln. Denn es bräuchte | |
Führungspersönlichkeiten, die Vertrauen genießen, um schmerzliche | |
Kompromisse zu schließen und durchzusetzen. Aung San Suu Kyi wäre wohl die | |
einzig denkbare Person. Doch ist die 75-Jährige ein rotes Tuch für die | |
Generäle und auch in der Protestbewegung sind manche von ihrer bisherigen | |
Politik ernüchtert. | |
Längst gibt es Rufe nach einem föderalen System jenseits der Politik der | |
Friedensnobelpreisträgerin und ihren bisherigen Arrangements mit der Armee, | |
die sich nicht an die bisherigen Abmachungen gehalten hat. Von einem Dialog | |
sind beide Seiten meilenweit entfernt. Sie machen sich jeweils Hoffnungen, | |
sich durchsetzen zu können. Deshalb wird die Gewalt noch zunehmen, es wird | |
viele weitere Opfer und neue Flüchtlinge geben. Beunruhigende Aussichten. | |
23 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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