# taz.de -- Indiens China-Sorge in Myanmar: Taktieren in Delhi | |
> Die Regierung verurteilt den Putsch in Myanmar nicht und zögert | |
> Flüchtlinge aufzunehmen. Aber die nordöstlichen Bundesstaaten wollen | |
> helfen. | |
Bild: Ein indischer Grenzposten blickt am Fluß Tiau von Mizoram nach Myanmar h… | |
MUMBAI taz | Als nur einer von acht Staaten ist Indien mit seinem | |
Militärattaché bei der [1][Jubelfeier von Myanmars Militär] vor einer Woche | |
vertreten gewesen. Alle anderen Staaten hatten aus Protest gegen die vielen | |
tödlichen Schüsse auf Juntagegner keinen Vertreter nach Naypyitaw | |
geschickt. | |
Zuvor schon war Indien damit aufgefallen, dass es als einziger | |
demokratischer Staat eine Verurteilung des Militärputsches in seinem | |
Nachbarland im Weltsicherheitsrat blockiert hatte. Damit befand sich Indien | |
dort in alleiniger Gesellschaft der autoritär regierten Staaten China, | |
Russland und Vietnam. | |
Öffentliche Kritik am Vorgehen des Militärs in Myanmar übte Delhi bisher | |
nicht außer einem Bedauern der Gewalt. Indiens Stellungnahmen unterschieden | |
sich kaum von denen Chinas. Wie ist das Verhalten der indischen Regierung | |
zu erklären? | |
„Ich würde nicht behaupten, dass sich Indiens Regierung völlig zurückhält… | |
sagt Gautam Mukhopadhaya. Er war bis 2016 Delhis Botschafter in Myanmar. | |
Die Politik der hindunationalistischen Regierung gegenüber dem | |
Militärputsch charakterisiert er als „im Beobachtermodus“. Doch vertritt er | |
persönlich die Meinung, Indien sollte sich stärker gegen die Gewalt und für | |
die Wiederherstellung der Demokratie aussprechen. | |
## Mizoram und Manipur helfen Flüchtlingen aus Myanmar | |
In Indiens an Myanmar grenzenden Nordosten wird Delhis Haltung kritisiert, | |
vor allem gegenüber den Flüchtlingen aus Myanmar. „Wir müssen ihnen Nahrung | |
und Unterkunft geben“, sagt beispielsweise Ministerpräsident Zoramthanga | |
des kleinen Bundesstaates Mizoram. Der grenzt direkt an Myanmar. | |
Zoramthanga betont die familiären Beziehungen zwischen der ethnisch | |
verwandten Bevölkerung auf beiden Seiten der gut 1600 Kilometer langen | |
Grenze. | |
Mizorams Regierung fordert von Delhi, dass Flüchtlingen aus Myanmar in | |
Indien Asyl gewährt wird. Hunderte sollen sich in Wäldern befinden und kaum | |
Zugang zu Nahrung haben. Mizoram hat auch einige Dutzend aus Myanmar | |
geflohene Polizisten aufgenommen, die sich nicht an der Gewalt beteiligen | |
wollten. Die Putschregierung fordert ihre Auslieferung. | |
Auch in Manipur, einem weiteren indischen Grenzstaat, widersetzte sich die | |
Lokalregierung jüngst der Anweisung aus Delhi, birmesische Flüchtlinge | |
„höflich abzuweisen“. Manipurs Sonderbeauftragter H. Gyan sagte: „Die | |
Landesregierung hat alle humanitären Schritte unternommen, um die | |
verletzten Birmesen zu behandeln.“ | |
## Delhis „Look-East“-Politik hofiert Myanmars Generäle | |
Als „unglücklich“ bezeichnet Ex-Botschafter Mukhopadhaya Indiens Teilnahme | |
an der kürzlichen Parade des Putschmilitärs. Indien versuche seit 1991 im | |
Rahmen seiner „Look East“-Politik eine [2][Annäherung an das dortige | |
Militär], erklärt er. Das geschah aus pragmatischen Gründen. Indien wollte | |
sich nach dem Vorbild der erfolgreichen Tigerstaaten nach Osten öffnen. Bei | |
der Kooperation mit Myanmars Militär ging es auch darum, aufständischen | |
Gruppen in Indiens Nordosten die Rückzugsgebiete jenseits der Grenze zu | |
nehmen. | |
Delhi gelang auch die wirtschaftliche Kooperation zu stärken. Dabei gehe es | |
vor allem darum, Indiens Einfluss in Myanmar, das in den 1990er und 2000er | |
Jahren isoliert war, um es nicht völlig in [3][Chinas Arme] zu treiben. | |
Heute ist Indien in zahlreichen Infrastrukturprojekten involviert, darunter | |
eine Autobahn, die sich bis nach Thailand erstrecken soll, um den Handel | |
anzukurbeln. | |
Parallel vertiefte Delhi in dieser Zeit aber auch seine Verbindungen zur | |
Demokratiebewegung in Form der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi | |
und ihrer Partei NLD, so Mukhopadhaya. Indien stehe politisch auf der Seite | |
des Volkes, das sich für die NLD ausgesprochen hat. “Unsere Beziehung zu | |
Myanmars Militär beruht in erster Linie auf unserer Sicherheit und ihren | |
nationalen Verteidigungsbedürfnissen, nicht auf der dortigen Innenpolitik | |
oder Unterdrückung“. | |
Doch ist es kein Geheimnis dass Indiens strategische Interessen stark mit | |
seiner Rivalität zu China und dessen Bestreben nach einem Zugang über | |
Myanmars Territorium zum Indischen Ozean zusammenhängen. Indien steht in | |
den meisten seiner Nachbarländer unter Konkurrenzdruck von China und hält | |
sich dort deshalb mit Äußerungen zu innenpolitischen Entwicklungen sehr | |
zurück. Doch das war nicht immer so. | |
So unterstütze Delhi früher die demokratische Bewegung im damaligen Birma. | |
Indien kritisierte nach dem Putsch 1988 als einziger Nachbar das | |
Militärregime und seine brutale Unterdrückung demokratischer Kräfte, so | |
Außenpolitikexperte Ranjit Gupta. An der Grenze zu Manipur und Mizoram | |
wurden Flüchtlingslager eingerichtet. Und birmesische Aktivist:innen | |
konnten sich von Indien aus uneingeschränkt politisch äußern. | |
## Aung San Suu Kyi wuchs teilweise in Delhi auf | |
Auch Aung San Suu Kyi hat starke Verbindungen nach Indien. Sie lebte selbst | |
in ihrer Jugend einige Jahre in Delhi, wo ihre Mutter von 1960 bis 67 | |
birmesische Botschafterin war. | |
Die Briten hatten Birma übrigens im 19. Jahrhundert mit Hilfe bengalischer, | |
also damals britisch-indischer Hilfstruppen erobert und bis 1936 von | |
Kalkutta aus verwaltet. Viele Kolonialbeamte waren indischer Abstammung. | |
Nach der Unabhängigkeit kam es bis in die 1960er Jahren zu antiindischen | |
Ausschreitungen. Hunderttausend indischstämmige Birmesen flohen aus dem | |
Land, doch gibt es dort noch heute eine starke Minderheit mit Wurzeln in | |
Indien. | |
Gupta glaubt allerdings, dass Indiens Bemühungen weder Aung San Suu Kyi | |
noch der Demokratie geholfen haben. Die Unterdrückung des Militärs wurde | |
nur schärfer: „Die Haltung Indiens sowie Kritik und Sanktionen des Westens | |
trieben das Militärregime seinem traditionellen Feind, China, in die Arme.“ | |
Ex-Botschafter Mukhopadhaya nennt die Äußerung der indischen Regierung, | |
Geflüchtete aus Myanmar auszuweisen, einen Fehler: „Die derzeitige | |
Regierung ist Flüchtlingen gegenüber konservativ eingestellt – wie auch ein | |
Großteil der übrigen Welt.“ | |
Das habe seiner Meinung nach aber mehr mit der allgemeinen Sorge vor | |
Migration als mit dem Mangel an Sympathie für den zivilen Ungehorsam in | |
Myanmar zu tun. „Die Beziehung zu den Menschen in Myanmar ist wichtiger als | |
die zum Militär“, betont er und verweist auf die Haltung in Indiens | |
Nordosten. Dort widersetze man sich der Zentralregierung und helfe den | |
Flüchtlingen. | |
3 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Natalie Mayroth | |
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