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# taz.de -- Kinotipp der Woche: Das Eigenleben der Filme
> Der Kurator Tobias Hering hat aus den Archiven des Arsenals und der
> Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen eine spannende Reihe
> zusammengestellt.
Bild: Laufkarte von „Waseyat Hagol Rakiem“(Ratschläge eines alten weisen …
Sechs Laufstreifen sind in nahezu regelmäßigen Abständen über die
Filmbilder verteilt. Manche kommen und gehen, nehmen an Intensität zu und
ab. Einige der Laufstreifen werden von dünneren Streifchen umspielt, alle
sind am oberen und unteren Bildrand ausgeprägter als in der Mitte des
Bildes. Filmkopien führen ein Eigenleben, das sich nur temporär mit dem der
Filme, die auf ihnen kopiert wurden, überschneidet.
Die Materialschäden, die sich in Filmkopien im Laufe der Zeit eingraben,
sind sichtbare Zeichen dieses Eigenlebens. Tobias Hering arbeitet seit
einigen Jahren mit den Archiven des Arsenals und der Internationalen
Kurzfilmtage Oberhausen.
Aktuell ist eine kleine Auswahl von Filmen, auf die er bei seinen
Streifzügen durch die Archive gestoßen ist, im Streamingangebot des
Arsenals zu sehen. Die Auswahl trägt den Titel „[1][Odd Ones Out – Filme
aus dem Archiv der Kurzfilmtage Oberhausen, deren Geschichte noch nicht
geschrieben ist]“.
Die oben beschriebenen Laufstreifen liegen über Szenen eines ägyptischen
Dorfes. Bauern führen ihre Kühe durchs Dorf, Frauen reinigen am Dorfbrunnen
Gemüse und waschen Wäsche. Dazu beschwört eine Kommentarstimme die
Unveränderbarkeit ägyptischer Dörfer, die oberflächlich jenen von vor
hunderten von Jahren ähneln. Doch „unter der Oberfläche findet eine
gefährliche Veränderung des Dorflebens statt“. Die gefährliche Veränderun…
Bildung.
## Mit dicken Pinselstrichen
Daoud Abdel Sayeds „Ratschläge eines alten, weisen Mannes zu Fragen des
Dorfes und der Bildung“ von 1976 zeigen die Fortschritte in der Bildung der
Landbevölkerung Ägyptens. Kinder, mehr Jungen als Mädchen, die über
Feldwege der Schule entgegen eilen. Ein Bauer erzählt, dass ein Teil seiner
Kinder mit ihm arbeiten muss, damit wenigstens einige seiner Kinder zur
Schule gehen können. Ibrahim soll Arzt werden, Alaa Ingenieur.
Doch zu diesen Bildern wütet die Kommentarstimme gegen die Neuerungen. In
dicken Pinselstrichen wird das Bild der Schule durchgestrichen. Der Film
kam durch eine ost-westdeutsche Zusammenarbeit auf die [2][Kurzfilmtage]
und damit ins Archiv.
Im Februar 1978 empfahl Ronald Trisch, Leiter der Leipziger
Dokumentarfilmwoche, den Oberhausener Kolleg*innen Sayeds Film. Der Film
lief 1978 auf den Kurzfilmtagen, bevor das Festival die Kopie
zurückschickte, wurde eine 16mm-Kopie gezogen, die im Archiv verblieb und
heute die einzig bekannte Kopie ist.
## Materielles Zeugnis
Während bei Sayeds Film vor allem die Laufstreifen materielles Zeugnis der
Lebensgeschichte der Filmkopie sind, ist es bei „Sueur“ (Schweiß) der Ton.
Die Tonspur des Film wabert leicht, wird dumpfer und klarer, lauter und
leiser.
„Sueur“ ist der erste Film des tunesischen Amateurfilmers Amor Nagazi.
Präzise folgt der auf 8mm gedrehte Film der Arbeit in einer Ziegelbrennerei
vom Mischen des Lehms bis zu den fertigen Ziegeln. Eine Ode an die Arbeit
ohne pathetische Überhöhungen.
Die Auswahl von Archivfunden, die Tobias Hering für das Streamingangebot
des Arsenals zusammengestellt hat, lädt dazu ein, mit und an den Filmen
weiterzuarbeiten. Die Reihe ist also auch als Erinnerung zu verstehen, dass
Nicht-wissen in der Filmgeschichte jenseits der Kanonisierung noch immer
der Regelfall ist und detaillierte Kenntnis der Produktionsumstände der
Ausnahmefall.
Wessen Interesse nun geweckt ist, der_die sei auch auf die
Online-Diskussion mit Tobias Hering hingewiesen, die am 18. März
stattfindet und auf dem [3][Youtube-Kanal] des Arsenals übertragen wird.
13 Mar 2021
## LINKS
[1] https://www.arsenal-berlin.de/kino-arsenal/programm/einzelansicht/article/8…
[2] https://www.kurzfilmtage.de/de/
[3] https://www.youtube.com/channel/UC42FHy5wsH0KVZ51lkBzwWQ
## AUTOREN
Fabian Tietke
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Oberhausen
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