# taz.de -- Der Hausbesuch: Das Wort „Glück“ | |
> Paula Yacomuzzi ist von Buenos Aires über Barcelona nach Berlin gezogen. | |
> Hier gibt sie ein Magazin heraus für die spanischsprachige Community. | |
Bild: Paula Yacomuzzi liebt das Schöne | |
Paula Yacomuzzis Muttersprache ist Spanisch. Das teilt sie mit vielen, die | |
in Berlin leben. Vor zwei Jahren gründete sie ein Online-Magazin namens | |
Trampolín, das den Geschichten der in der Stadt lebenden | |
Lateinamerikaner*innen und Spanier*innen nachspürt. | |
Draußen: Die Bäume der Charlottenburger Straße im nördlichen Berliner | |
Bezirk Weißensee wirken wie Scherenschnitte: schwarzer Stamm, weiß | |
gezeichnete Konturen vom Schnee. Einen Kilometer davon entfernt am See, | |
nach dem der Bezirk benannt ist, sieht die Landschaft aus wie auf | |
Winterbildern des flämischen Malers Pieter Bruegel. Das Haus, in dem Paula | |
Yacomuzzi mit ihrem Mann Paul und den zwei Söhnen wohnt, war während der | |
DDR ein Ärztehaus. Die Zahnarztpraxis ist noch da, und sie warnt, dass es | |
im Treppenhaus nach Zahnarzt riecht. Um die Ecke liegt der Caligariplatz, | |
wo [1][der Film-Klassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“] gedreht wurde. | |
„Weißensee war keine Liebe auf den ersten Blick“, sagt sie. | |
Drinnen: Es ist ein Altbau mit Stuckdecke und weißen Wänden. Im | |
Arbeitszimmer, das Yacomuzzi sich mit ihrem Mann teilt, hängen Gitarren und | |
andere Musikinstrumente. Ein Piano ist auch da. Im Wohnzimmer sind die | |
Bibliothek und der Tisch die Herzstücke. Bunte Stifte und halb fertig | |
gemalte Blätter liegen darauf, als wäre der Raum ein Atelier. In den | |
Regalen sind neben unzähligen Büchern auch Erinnerungsstücke. Ein Stein von | |
einem argentinischen Strand liegt vor einem Buch mit dem Titel „A Brief | |
History of Meteorite Falls“. Sie mag es, wenn jede Sache ihren Platz hat. | |
Aus der Pampa: Wenn sie auf die Frage „Woher kommst du?“ antwortet, wird | |
oft gelacht. „Echt jetzt, aus der Pampa?“ Vor 46 Jahren ist Paula Yacomuzzi | |
in der argentinischen Provinz La Pampa, die mitten im Land liegt, geboren. | |
In einem kleinen Dorf, das den Namen Quemú Quemú trägt, als wäre der Ort | |
nicht real, sondern läge in einer Fantasiewelt. „Stell dir vor, du kommst | |
aus Quemú Quemú“, hat einer ihrer Uni-Professoren in Buenos Aires mal | |
während eines Seminars gesagt und dabei eine Geste gemacht, die bedeuten | |
wollte: „Du kommst vom Ende der Welt“ – nicht wissend, dass sie genau von | |
da kam. | |
Steppenläufer: Auch wenn sie in Quemú Quemú nur das erste Jahr ihres Lebens | |
verbrachte, kehrt sie doch immer wieder dorthin zurück, um ihre Familie | |
väterlicherseits zu sehen. Wenn jemand wegen La Pampa lacht, lacht sie | |
meistens mit. Es sei nicht alles Mythos. „Bis in die 50er Jahre war es dort | |
wirklich ungastlich. Wie in einem Westernfilm mit rollenden | |
Steppenläufern.“ Ihr Opa erzählte das. Er sagte auch: „Nach La Pampa geht | |
man, um Erde zu kauen.“ | |
Europa: Mit 26 machte sich Paula Yacomuzzi mit einem Rucksack auf die Reise | |
nach Europa – das war noch vor der Finanzkrise in Argentinien 2001. Sie | |
wollte drei Monate den Kontinent ihrer Großeltern erkunden, die wie viele | |
Italiener*innen nach Argentinien migriert waren. Doch sie verliebte | |
sich. Zuerst in die Stadt Barcelona, dann in einen Mann – und blieb. Zwölf | |
Jahre lebte sie [2][in der Stadt, die untrennbar mit dem Architekten Gaudí | |
verbunden ist]. | |
„Ich hatte einen Crush mit ihm.“ Soll heißen, wenn sie an Gaudí denkt, | |
verschmelzen die Erinnerungen: „Während ich mir seine Mosaike in einer | |
Arkade im Park Güell anschaute, spielte ein Straßenmusiker im Hintergrund | |
das Werk des Komponisten Tárrega, das ich als Kind immer mit der Gitarre | |
übte“, erzählt sie. Das sei Vollkommenheit gewesen. Paul, ihren Mann, | |
lernte sie durch eine gemeinsame Freundin kennen, die in Barcelona zu | |
Besuch war. „Später trafen wir uns zufällig auf der Straße und sind nicht | |
mehr auseinandergegangen.“ | |
Heimat: Das zweite Kind von Paula und Paul ist in Dublin geboren, wo sie | |
zwei Jahre wohnten. Vor fünf Jahren kam die Familie nach Berlin. Von der | |
Stadt war sie schon 2001 als Touristin beeindruckt. „Ich fühlte mich so | |
klein am Alexanderplatz oder in der Frankfurter Allee.“ Nach knapp zehn | |
Umzügen ist die Argentinierin müde vom Rumwandern und sehnt sich nach einer | |
festen Bleibe. Ob sie die in Weißensee gefunden hat? Sie schaut durchs | |
Fenster und denkt eine Weile nach. „Vielleicht.“ | |
Neue Worte finden: Das Ankommen in Berlin war hart. „Die deutsche Sprache | |
war mir zu krass. Ich war schon über 40 und saß in der Volkshochschule mit | |
jüngeren Menschen, die mir mit Lichtgeschwindigkeit zu lernen schienen, | |
während ich nur langsam vorankam“, sagt sie. „Das frustrierte mich.“ Auch | |
im Alltag, etwa beim Einkaufen oder auf der Straße, habe sie oft | |
feindselige Reaktionen erlebt, wenn sie sich nicht richtig ausdrücken | |
konnte. „Ich hatte trotzdem das Bedürfnis, zu kommunizieren.“ Also kehrte | |
sie zum Englischen zurück und suchte sich Spanisch sprechende Menschen in | |
ihrer Umgebung. Erst als sie in der Kita ihres Sohnes andere binationale | |
Eltern mit ähnlichen Erfahrungen traf, habe sie angefangen, sich wohler zu | |
fühlen. | |
Wörter und Bilder: Paula Yacomuzzi studierte Journalismus, | |
Kommunikationswissenschaft und auch Fotografie. Sie arbeitete in Buenos | |
Aires und Barcelona als Journalistin und Redakteurin, in der | |
Medienproduktion und als Werbetexterin, was sie hasste. „Ich mag es, wenn | |
Wörter und Bilder sich berühren, aber auch, wenn sie verschiedene | |
Geschichten erzählen“, sagt sie. Um damit zu experimentieren, porträtieren | |
in ihrem Magazin Fotograf*innen und Journalist*innen getrennt | |
voneinander die gleiche Person. Das Spiel mit Bildern und Wörtern macht ihr | |
Spaß, so kam sie auch auf den Namen Trampolín. Im Spanischen hat das Wort | |
eine etwas andere Bedeutung als im Deutschen, es bezeichnet ein | |
Sprungbrett, kein Trampolin. | |
Etwas erfinden, was du nicht finden kannst: Um sich in Berlin weniger fremd | |
zu fühlen, wollte Paula Yacomuzzi wieder in ihren Beruf einsteigen. Weil | |
ihre Deutschkenntnisse für die deutschen Medien aber nicht ausreichten und | |
sie das „ideale“ spanische Medium nicht finden konnte, erfand sie das | |
Online-Magazin Trampolín. „Ich hatte mich innerhalb der Spanisch | |
sprechenden Community umgehört und war sicher, dass es genug Geschichten | |
zum Erzählen gibt.“ Sie strebe dabei nicht nach Erfolgsgeschichten von den | |
„guten Migrant*innen, die etwas geschafft haben“, sondern nach Empowerment | |
für ihre Held*innen. „Ich möchte zeigen, dass alle Menschen, die hier | |
wohnen, die Stadt Tag für Tag ein Stück reicher machen.“ | |
Slow-Journalism: Ein argentinischer Arzt, der in Berlin zum | |
Underground-Musiker wird, eine Paläontologin aus dem berlinischen | |
Naturkundemuseum, eine Öko-Aktivistin und Krankenpflegerin an der Berliner | |
Charité aus Mexiko, ein chilenischer Beleuchtungsdesigner, eine | |
Kolumbianerin, die nach ihrer Flucht als Reinigungskraft in Deutschland | |
überlebt. Alle finden Platz in Paula Yacomuzzis Magazin. Meistens drehen | |
sich die Texte um Nähe und Distanz. „Hat man eine Migrationsbiografie, wird | |
das immer Thema sein“, sagt sie. Wie die Protagonist*innen ist das | |
Team, das ehrenamtlichbei Trampolín mitmacht, aus Lateinamerika und | |
Spanien. Paula nimmt sich Zeit, um die Menschen kennenzulernen, deren | |
Geschichten sie hinterher aufschreibt. Und sie hofft, dass die | |
Leser*innen ihre langen Stücke ebenfalls in Ruhe lesen können. | |
„Slow-Journalismus in hektischen Zeiten“, sagt sie. | |
Der Wermutstropfen: Geld verdient sie mit dem liebevoll produzierten | |
Magazin allerdings nicht. Sie hadert damit, dass sie, obwohl feministisch | |
orientiert, zurzeit finanziell von ihrem Mann abhängig ist. Und lässt sich | |
doch nicht entmutigen. | |
Das Glück: Auf die Frage nach dem Glück kommen ihr drei Gedanken: Wenn sie | |
in der Natur ist, sei das Glück. Oder wenn sie die Wintermonate anstatt in | |
Berlin in Barcelona verbringen könnte. Und dann ist da noch das Wort | |
„Glück“ selbst. Das sei ihr deutsches Lieblingswort. „Nicht so sehr wegen | |
seiner Bedeutung, sondern weil es richtig schön klingt.“ | |
15 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Berliner-Filmgeschichte/!5659948 | |
[2] /!1103597/ | |
## AUTOREN | |
Luciana Ferrando | |
## TAGS | |
Der Hausbesuch | |
Zuwanderung | |
Argentinien | |
Journalismus | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
Hannover | |
Der Hausbesuch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Der Hausbesuch: Auf zwei Rädern ins Glück | |
Beständigkeit trägt Renate Wiehmann durchs Leben. Dazu der Glaube, dass | |
alles gut wird. Abwechslungsreich ist ihr Leben trotzdem. | |
Der Hausbesuch: Einer, der Action will und Ruhe | |
Für Fionn Ziegler lief es nicht gut in der Schule. Erst als er einen Lehrer | |
traf, der ihn förderte, begann er, an sich zu glauben. | |
Der Hausbesuch: Vom Allgäu in den Dschungel | |
„Wir haben abgetrieben“, dazu bekannte Rita Mühlbauer sich 1971 im „Ster… | |
Bis heute arbeitet sie als Illustratorin. Ein Besuch in München-Schwabing. | |
Der Hausbesuch: Vom Klötzchenkurs zum Eigenheim | |
Die Zwillinge Sarah und Wanda Seegers sind Tischlerinnen. Für ihren Job | |
braucht man Liebe zum Holz und Freude am Pfuschen. Zu Besuch im Wagendorf. | |
Der Hausbesuch: Zum Glück braucht sie wenig Schlaf | |
Annika Braun hat das Undine-Syndrom. Die angehende Journalistin hört auf zu | |
atmen, sobald sie einschläft. Seit ihrer Jugend kämpft sie für Normalität. | |
Der Hausbesuch: Einige Entscheidungen, viele Zufälle | |
Jutta Schwerin ist in Jerusalem geboren, gründete in Ulm einen Kinderladen | |
und saß für die Grünen im Bundestag. Am 25. Februar wird sie 80 Jahre alt. | |
Der Hausbesuch: Er will Leute treffen | |
Begegnungen sind für Boubker Moussalli eine Inspiration. Menschen in | |
Hannover kommt das zugute. Er lehrt sie tanzen. | |
Der Hausbesuch: Sie war ein Draußenkind | |
27 Jahre war Monika Ziebeil Telefonistin im Virchow-Krankenhaus in Berlin. | |
Als sie ein betrunkener Kollege schlug, hat sie gekündigt. |