# taz.de -- Der Hausbesuch: Vom Klötzchenkurs zum Eigenheim | |
> Die Zwillinge Sarah und Wanda Seegers sind Tischlerinnen. Für ihren Job | |
> braucht man Liebe zum Holz und Freude am Pfuschen. Zu Besuch im | |
> Wagendorf. | |
Bild: Denken gleich, machen also auch die gleichen Fehler: Wanda (links) und Sa… | |
Es ist die Liebe zum Holz. Die ist ganz wichtig. Bei einem schön | |
gewachsenen Baum geht Sarah und Wanda Seegers das Herz auf. | |
Draußen: Die Bundesstraße immer geradeaus durch flaches Land, links und | |
rechts abwechselnd ein Windrad oder ein alter Hof. Irgendwann abbiegen, | |
vorbei an grauen Lagerhallen und geparkten Lkws, Halt machen vor einer | |
hohen Hecke. Die Bauwagensiedlung, in der sich Sarah Seegers mit der Hilfe | |
ihrer Schwester Wanda ein Zuhause gebaut hat, liegt ganz im Westen des | |
Niederrheins in typisch monotoner Ortseingangsumgebung. Beim Betreten der | |
Siedlung vergisst man schlagartig, in welche Nachbarschaft sie eingebettet | |
ist. | |
Das Wagendorf: Die meterbreiten Hecken scheinen alles zu schlucken, jedes | |
Geräusch, jedes Grau. Sarah Seegers Bauwagen ist der brombeerfarbene ganz | |
vorne. In den anderen Wägen wohnen zwei Studierende, ein Malermeister und | |
ein Lehrer. Sie alle teilen sich einen WC-Container, eine Außendusche und | |
eine große Wiese. Im ersten Winter fuhr Sarah Seegers für ein warmes | |
Badezimmer noch zu ihren Eltern. „Es hat ein bisschen Training gebraucht, | |
aber mittlerweile hab ich mich dran gewöhnt. Und will es auch gar nicht | |
mehr anders.“ | |
Drinnen: Dielenboden, knarzende Sessel, in der Ecke ein Ofen, der Wärme | |
durch den Wagen ziehen lässt. Sarah Seegers hat eine Terrasse mit | |
Wintergarten und eine Empore, auf der sie schläft. Im Küchenfenster hängt | |
eine Chiligirlande, die Tapete ist mit Efeu-Zeichnungen bedruckt und die | |
Vorhänge haben die gleiche Farbe wie die Fassade. | |
Keine Herrenjahre: Sarah und Wanda Seegers sind Zwillinge und 26 Jahre alt. | |
Beide haben eine abgeschlossene Ausbildung zur Tischlerin hinter sich. | |
Beide sind froh, dass sie vorbei ist. Im Handwerk herrscht Personalmangel, | |
Sarah und Wanda Seegers waren in das Alltagsgeschäft ihrer Betriebe voll | |
eingespannt, während sie zusätzlich die Theorie lernten und Prüfungen | |
machen mussten. Eine sehr fordernde Zeit, dabei fing es mit dem | |
„Klötzchenkurs“ doch so harmlos an. | |
Der Klötzchenkurs: Da lerne man etwa die klassischen Holzverbindungen und | |
wie man mit Geräten wie der Gestellsäge und dem Streichmaß hantiert. Ist | |
der Klötzchenkurs absolviert, darf man an die Kreissäge, die Tischfräse, | |
die Kantenanleimmaschine, die Furnierpresse. Wanda Seegers hat sich im | |
Maschinenkurs einen Teil der Fingerkuppe abgesäbelt, Sarah hat „eine fette | |
Narbe“ am Daumen. „Passiert“, sagen sie. | |
Vater: Diese Nüchternheit, dieses Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten | |
haben sie von ihrem Vater. Hans-Josef Seegers nahm seine Töchter früher | |
überall mit hin. „Wir haben mit ihm Holz gehackt oder auf irgendwelchen | |
Baustellen rumgewühlt. Das war völlig normal, wir hatten da auch gar keine | |
Wahl.“ Wanda und Sarah Seegers haben diesen Typ Vater, der alles kann. Und | |
der große Freude daran hat, seinen Töchtern Dinge beizubringen. | |
Zuerst, wie man den Hammer richtig hält, zwanzig Jahre später erklärt er | |
ihnen, wie sie für den Bauwagen Stromkabel verlegen und einen Schaltkasten | |
bauen. „Mich hat das als Kind schon so beeindruckt, dass er auf alles immer | |
eine Antwort wusste“, sagt Sarah Seegers. Aber anstelle sich bewundernd | |
zurückzulehnen und ihren Vater mal machen zu lassen, will sie so werden wie | |
er. | |
Empowerment: Wenn ihre Freundinnen sie heute bitten, bei etwas | |
Handwerklichem zu helfen, macht Sarah Seegers es so wie ihr Vater mit | |
seinen Töchtern damals. „Ich versuche immer, sie miteinzubeziehen und | |
gemeinsam nach einer Lösung zu suchen.“ Sarah Seegers merke dann oft, dass | |
ihre Freundinnen gute Ideen hätten, teilweise ein besseres räumliches | |
Verständnis als sie selbst. | |
„Manchen von ihnen ist bloß früher mal gesagt worden, sie könnten das | |
nicht.“ Viele glauben auch, ihnen fehle schlicht die Kraft. Aber: „Das ist | |
Quatsch.“ Erstens werde man kräftiger, je länger man dabei sei, und | |
zweitens: „Ganz ehrlich, wenn da so ein kleiner 16-Jähriger seine Lehre | |
anfängt, dann kann der genauso wenig tragen wie wir am Anfang.“ | |
Prüfstand: Laut [1][Zentralverband des Deutschen Handwerks] sind 36 Prozent | |
aller im Handwerk tätigen Personen weiblich. Der überwiegende Teil davon | |
arbeitet als Friseurin, Schneiderin, Goldschmiedin oder Konditorin. Der | |
Frauenanteil unter den Tischler*innen liegt bei etwa 13 Prozent, ist im | |
Vergleich zu den Vorjahren aber immerhin leicht gestiegen. | |
Wanda und Sarah Seegers haben es beide schon erlebt, in Betrieben nahezu | |
überschwänglich aufgenommen worden zu sein. „Das war bestimmt lieb gemeint, | |
fühlte sich aber fast ein bisschen übertrieben an“, sagt Wanda Seegers. | |
Sarah Seegers wurde gar als das „fehlende Puzzleteil“ in der Belegschaft | |
bezeichnet. | |
Wehrhaft sein: Dafür, dass die Euphorie am Anfang so groß war, hätten sich | |
beide mehr beweisen müssen als andere Mitarbeiter. „Gewisse Sachen muss man | |
einfach abkönnen“, sagt Wanda Seegers. „Und lernen, zurückzuschießen, we… | |
dir jemand einen dummen Spruch drückt.“ | |
Instagram: Viele Handwerkskammern in Deutschland versuchen, Frauen mit | |
Workshops und Themenabenden besser zu vernetzen. Wanda und Sarah Seegers | |
haben sich auf Instagram mit dem [2][Account holzkopf_awandafulwoodstory] | |
ihre eigene Community aufgebaut. Sie nehmen ihre Follower*innen mit auf | |
die Arbeit und posten Fotos von sich mit der Motorsäge und beim | |
Parkettverlegen. „Wir wollen zeigen: Unser Beruf ist attraktiv, und man | |
kann auch für sich selbst handwerkliche Sachen machen, wenn man keine | |
professionelle Ausbildung hinter sich hat.“ | |
Dublin: Ihre Follower*innen haben Wanda Seegers auch nach Irland | |
begleitet. Sie hat dort Erasmus Plus gemacht – das Äquivalent für | |
Auszubildende zum Auslandssemester in einem EU-Land. Drei Monate war sie in | |
einem Betrieb in Dublin, allerdings erst nach bestandener | |
Gesell*innenprüfung, weil ihr Arbeitgeber sie vorher nicht gehen lassen | |
konnte. Wanda Seegers hätte eine zu große Lücke im Dienstplan hinterlassen. | |
Relax: In Dublin habe sie gelernt, gelassener zu werden. „Wenn dort | |
irgendwas schieflief, hieß es bloß achselzuckend: Dann machstet jetz’ halt | |
anders.“ Vorher habe sie sich ein bisschen verrückt gemacht, mit all den | |
englischen Begrifflichkeiten für Werkzeug und Material. „Ich bin dann aber | |
sehr gut mit dem Wort ‚Shizzle‘ klargekommen. Alles war immer ‚Shizzle‘… | |
jeder wusste, was gemeint war.“ | |
Fische: Noch besser läuft die Kommunikation, wenn Wanda Seegers mit ihrer | |
Schwester zusammenarbeitet. Da braucht es manchmal gar keine Worte. „Wir | |
haben ungefähr die gleiche Denkweise, wenn wir gemeinsam was bauen, und das | |
ist oft sehr effizient.“ Nur bedeutet das auch, dass sie die gleichen | |
Fehler machen. | |
„Aber wir sind vom Sternzeichen Fische, wir schlängeln uns so durch“, sagt | |
Sarah Seegers. „Wenn wir sehen, hier geht es nicht weiter, dann nehmen wir | |
halt einen anderen Weg.“ Bloß nicht vor Problemen in die Knie gehen, immer | |
weiterlaufen. Im Handwerk brauche man auch eine gewisse Freude am Pfuschen, | |
oder in anderen Worten: Kreativität in der Lösungsfindung. | |
Holz: Am wichtigsten aber ist die Liebe zum Material, da sind sich Wanda | |
und Sarah Seegers einig. Ihnen geht das Herz auf, wenn sie irgendwo einen | |
sehr gerade wachsenden Baum sehen, aus dem man „meterlange Bohlen | |
rauskriegen“ könnte. Sie freuen sich, wenn vermögendere Kund*innen | |
Möbelstücke aus Nussbaum beauftragen. | |
Ansonsten arbeiten sie am liebsten mit Eiche, weil „die einfach so eine | |
tolle Maserung hat und irgendwie Wärme ausstrahlt“, sagt Sarah Seegers. Als | |
Wanda Seegers das letzte Mal im Harz war, konnte sie das Elend nicht | |
fassen, das der Borkenkäfer dort hinterlassen hat. Aus Holzresten macht sie | |
Schmuck für ihr Label Naturjuwel – etwa die Kegel aus Nussbaum, die an den | |
Ohren ihrer Schwester Sarah Seegers baumeln. | |
21 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zdh.de/fachbereiche/wirtschaft-energie-umwelt/statistik/kennzah… | |
[2] https://www.instagram.com/holzkopf_awandafulwoodstory/?hl=de | |
## AUTOREN | |
Leonie Gubela | |
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