| # taz.de -- Der Hausbesuch: Im Leertakt | |
| > Für Dennis Weissert ist Musicaldarsteller mehr als nur ein Beruf. Dass er | |
| > in der Coronapandemie kaum arbeiten kann, belastet ihn. | |
| Bild: Dennis Weissert, 28, in seiner Wohnung im Berliner Chamisso-Viertel | |
| Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2015 zog Dennis Weissert näher zum Rest | |
| der Familie und stellte sich die Frage: Was ist wichtig im Leben? | |
| Draußen: Eine ruhige Straße im Chamissokiez in Berlin-Kreuzberg. Das | |
| Wohnhaus ist denkmalgeschützt. Es wurde 1999 von den Mieter*innen | |
| erworben und saniert. Im Treppenhaus prunkt Stuck an den hohen Wänden. Im | |
| Hinterhof klettert Efeu an der Hausfassade hoch. | |
| Drinnen: Im Wohnzimmer stehen Fernseher, Playstation und Spiele. Daneben | |
| DVDs von Loriot. Über der blauen Couch hängt ein farbenfrohes Gemälde. | |
| Dennis Weissert und seine Freundin Sid haben lange nach einem passenden | |
| Bild gesucht. Online bestellt kam nur die bemalte Leinwand. „Dann mussten | |
| wir den Keilrahmen selbst bauen.“ | |
| Erbstück: Die Jukebox steht neben dem blauen Sofa. „Ich kann sie | |
| einstöpseln.“ Die Tonfunk Violetta rauscht und brummt. Weissert dreht am | |
| Knöpfchen, bis ein Song von Herbert Grönemeyer ertönt. Sie funktioniert, | |
| wird aber selten benutzt. „Die hat erst meinem Opa gehört und dann meinem | |
| Vater.“ Ein Foto von ihm und seinem Vater steht auf dem Schrank im Zimmer | |
| nebenan. Sein Vater trägt Vollbart und ein gestreiftes Hemd. Weissert ist | |
| noch ein Kind mit kinnlangen blonden Haaren. | |
| Inspiration: Sein Vater, ein Mathe- und Physiklehrer, beschäftigte sich in | |
| der Freizeit viel mit Musik. Er lernte immer wieder neue Instrumente. | |
| Klavier, Blockflöte, Cembalo. „Was Musik angeht, war mein Vater eine große | |
| Inspiration.“ Auch deshalb studierte Weissert Musical an der Universität | |
| der Künste in Berlin. In „Hair“, in der „West Side Story“, in vielen | |
| anderen Musicals war er dabei. | |
| Der Vater: Die Eltern trennten sich, da war Dennis Weissert acht oder neun. | |
| Lange wohnt er dann mit seinem Vater zusammen, der, Workaholic, irgendwann | |
| einen Burn-out hat. Danach vernachlässigt er seine Gesundheit erst recht. | |
| Im Jahr 2015 kommt er ins Pflegeheim, 2018 stirbt er. Weissert, damals 25, | |
| lebt seitdem sehr bewusst – körperlich wie mental. „Das gehört alles | |
| zusammen.“ Und er fragt sich, was im Leben wichtig ist. Weissert möchte | |
| Kinder haben und, anders als sein Vater, auch seine Enkelkinder noch | |
| erleben. | |
| Die Familie: Es zieht ihn näher zum Rest der Familie nach Kreuzberg. Er | |
| wohnt nun im selben Haus wie seine Mutter. Auch seine Halbgeschwister leben | |
| nicht weit entfernt. „Die sind alle sechs bis zwölf Jahre älter.“ Sein | |
| Vater hatte noch drei Söhne. Mit einem Bruder musiziert er viel, singt mit | |
| ihm zusammen im Chor. Seine Mutter hat noch eine Tochter und einen Sohn, | |
| die sind halb türkisch. Weisserts Mutter spricht neben Spanisch auch | |
| fließend Türkisch. | |
| Japanisch: Weissert wächst mit vielen Disney-Filmen auf. Am liebsten | |
| schaute er „Cap und Capper“, die Geschichte mit dem Fuchs und dem Hund. | |
| „Kappa ist übrigens auch ein japanischer Wassergeist!“, sagt er. Seit 2018 | |
| lernt er Japanisch. Mit Apps wie Duolingo oder einer Onlineplattform namens | |
| Japanesepod101. „Ich gucke auch sehr gerne Anime“, japanische | |
| Zeichentrickfilme. Liebend gerne würde er mal mit einem Musical in Japan | |
| auftreten. Bisher hat es nicht geklappt. | |
| Linie 9: Auf die Bühne zog es Weissert schon recht früh. In der Grundschule | |
| führten sie eine Abwandlung des Musicals „Linie 1“ auf. Ein Stück, das ü… | |
| 30 Jahre am Berliner Grips-Theater gespielt wurde. Die Schule lag an der | |
| U-Bahn-Linie 9. „Deshalb hieß unser Stück dann ‚Linie 9‘.“ Für seine | |
| Darstellung bekommt er damals Komplimente, später wird ihm klar, dass er | |
| auch beruflich auf die Bühne will. „Mit 16 war ich in New York. Da habe ich | |
| mir ein paar Sachen angeschaut und war fasziniert von ‚Wicked‘.“ Das war | |
| der Zündfunke, das wollte er auch. | |
| Tänzer und Songwriter: Noch auf der Schule fängt Dennis Weissert an, | |
| Tanzunterricht zu nehmen und in Chören zu singen. „Steppen war die einzige | |
| Tanzsache, wo ich sogar Talent hatte“, sagt er. Verunsichert hat ihn vor | |
| allem das Singen im Chor. Er bekam Halsschmerzen, und seine Stimme wurde | |
| schnell müde. „Das war ganz lange ein Problem.“ Aber er bekommt es in den | |
| Griff. Dreimal tritt er später beim Bundeswettbewerb für Gesang an. Im Jahr | |
| 2015 gewinnt er mit einem selbst geschriebenen Song. | |
| YouTube: Auch heute schreibt er eigene Lieder, beschäftigt sich mit | |
| Kompositionssoftware. Hat überlegt, einige Cover und Songs auf Youtube | |
| hochzuladen. Aber mit so viel Spaß wie möglich und wenig Nachbereitung. „Um | |
| mit einem Youtube-Kanal Geld zu verdienen, muss man schon viel Arbeit und | |
| Zeit investieren“, sagt er. Viele seiner Kolleg*innen starten derzeit | |
| eigene Videokanäle oder geben online Gesangsunterricht. Damit jetzt aber | |
| erst anzufangen, lohne sich kaum. | |
| Arbeitslosengeld: Durch Corona liegen viele Produktionen auf Eis oder sind | |
| ganz abgesagt worden. „Ein Kollege hat öffentlich gemacht, dass er nun | |
| Hartz IV beantragt.“ Das sei wichtig, um das Stigma zu brechen. Viele | |
| Künstler*innen in der Branche sind nun darauf angewiesen, auch Weissert | |
| hat Arbeitslosenhilfe beantragt. Eine Sommerproduktion in Chemnitz, wo er | |
| mitmachen wollte, wurde abgesagt, obwohl sie coronakonform und im Freien | |
| stattfinden sollte. „Alle Theater hängen gerade im luftleeren Raum und | |
| wissen überhaupt nicht, was sie machen sollen.“ | |
| En suite: Weissert spielte bisher meist in Stadt- und Staatstheatern. „Da | |
| ist es oft so, dass es Probenphasen gibt, dann die Premiere, und wenn du | |
| Glück hast, eine Serie von mehreren Aufführungen.“ Manchmal funktioniert es | |
| auch, an zwei Stücken gleichzeitig mitzuwirken. Da hat man dann nicht mehr | |
| so viel freie Zeit. | |
| Pandemie: Mit Corona ist alles anders. „Jetzt muss man gucken, dass man | |
| sich eine Routine aufbaut.“ In den letzten drei Monaten hat er eine | |
| Weiterbildung in Kamera und Schauspiel für Film und Fernsehen gemacht. „Wir | |
| arbeiten mit einem Dramaturgen, bereiten Szenen vor und besprechen sie.“ Es | |
| gehe auch darum zu lernen, wie Castingabläufe funktionieren. Bei Film und | |
| Fernsehen müsse man immer bestimmte Texte oder eine Szene vorbereiten. „Im | |
| Musical hast du deine paar Monologe und Lieder, die du immer wieder | |
| mitbringen kannst.“ Auch auf Castingportalen meldet er sich nun an, lädt | |
| Vorstellungsvideos hoch, lässt neue Fotos machen. | |
| Disziplin: Als Musicaldarsteller müsse man sich Klischees und Vorurteilen | |
| stellen, sagt Weissert. „Es heißt immer, Musicaldarsteller könnten nichts. | |
| Die seien aufgesetzt, spielten oberflächlich.“ Dabei müsse man gleich | |
| mehrere Darbietungsformen beherrschen und sei gefordert, sich in allen | |
| Bereichen konstant weiterzuentwickeln. Auch jetzt, während des Lockdowns, | |
| macht er viel, um in Form zu bleiben. Er trainiert daheim, übt das Tanzen. | |
| Konkurrenz: Vor Corona kamen viele Absagen. Auch jetzt ist die Situation | |
| belastend. „Man fragt sich natürlich, wie man sein Geld verdient. Aber ich | |
| kann mich damit beruhigen, dass ich etwas gelernt habe und dass ich damit | |
| schon noch wieder Geld verdienen werde“, sagt Dennis Weissert. Er ist | |
| selbstbewusst. In einem Business, in dem Menschen ständig bewertet und | |
| verglichen werden, ist das eine wichtige Voraussetzung. Natürlich nagt es | |
| manchmal an ihm. „Aber ich finde es immer besser, sich zu zeigen und so die | |
| Möglichkeit zu bekommen, sich weiterzubilden. Ob man dann den Job bekommt, | |
| ist die Sahnehaube oben drauf.“ | |
| Überzeugung: Irgendwann möchte er nur noch an Stücken mitwirken, auf die er | |
| wirklich Lust hat. Und sich nebenbei ein zweites Standbein als | |
| Filmschauspieler aufbauen. „Ich bin gespannt, wo mich die Karriere als | |
| Darsteller noch hinbringt“, sagt er. | |
| Zuversicht: Pläne für die Zukunft würden ihm Halt geben, sagt er, „und der | |
| Gedanke, dass diese Pläne nicht erschüttert werden können von all dem, was | |
| jetzt gerade passiert“. Singen, Spielen, Tanzen – Weissert macht das nicht | |
| nur für Publikum, sondern auch für sich. Seine Freundin Sid arbeitet in | |
| derselben Branche, auch sie ist auf E-Castings, spielt per Skype vor und | |
| hofft, trotz Pandemie arbeiten zu können. Die Pläne, die Künste, die | |
| Passion – das alles kann Sid nachvollziehen und teilen, sagt er. „Dafür bin | |
| ich unglaublich dankbar!“ | |
| 18 Apr 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Linh Tran | |
| ## TAGS | |
| Der Hausbesuch | |
| Musical | |
| Westberlin | |
| Wochenvorschau | |
| Der Hausbesuch | |
| Der Hausbesuch | |
| Der Hausbesuch | |
| Der Hausbesuch | |
| Der Hausbesuch | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Wochenvorschau für Berlin: Klimafreundlich kutschieren | |
| Bahnfahren ist auch was für Könige, die legendäre „Linie 1“ kommt frisch | |
| frisiert auf die Bühne, und im Humbold Forum geht es um Leben und Tod. | |
| Der Hausbesuch: Die Frau der vielen Leben | |
| Rahel Mann hat sich als 5-Jährige ein Jahr vor den Nazis hinter einem | |
| Schrank versteckt. Seitdem werfe sie nichts mehr aus den Stiefeln, sagt | |
| sie. | |
| Der Hausbesuch: Auf zwei Rädern ins Glück | |
| Beständigkeit trägt Renate Wiehmann durchs Leben. Dazu der Glaube, dass | |
| alles gut wird. Abwechslungsreich ist ihr Leben trotzdem. | |
| Der Hausbesuch: „Ich bin keine Wunderheilerin“ | |
| Nach der Wende durfte Uta Latarius nicht mehr als Lehrerin arbeiten, heute | |
| ist sie Heilpraktikerin im Spreewald. | |
| Der Hausbesuch: Vom Allgäu in den Dschungel | |
| „Wir haben abgetrieben“, dazu bekannte Rita Mühlbauer sich 1971 im „Ster… | |
| Bis heute arbeitet sie als Illustratorin. Ein Besuch in München-Schwabing. | |
| Der Hausbesuch: Vom Klötzchenkurs zum Eigenheim | |
| Die Zwillinge Sarah und Wanda Seegers sind Tischlerinnen. Für ihren Job | |
| braucht man Liebe zum Holz und Freude am Pfuschen. Zu Besuch im Wagendorf. |