# taz.de -- Der Hausbesuch: „Ich bin keine Wunderheilerin“ | |
> Nach der Wende durfte Uta Latarius nicht mehr als Lehrerin arbeiten, | |
> heute ist sie Heilpraktikerin im Spreewald. | |
Bild: Im Jahr 2000 eröffnete Uta Latarius ihre erste Praxis als niedergelassen… | |
Eigentlich kommt sie aus der Stadt, schon lange aber liebt sie das Land. | |
Und dort will Uta Latarius auch bleiben. | |
Draußen: Es ist das letzte Haus in einem Brandenburger Dorf im Spreewald, | |
dahinter beginnt der Wald. Das leuchtend gelb gestrichene Wohnhaus ist samt | |
Nebengebäuden ein ehemaliges Fischerhaus. Zwei Hunde und Katzen gibt es. | |
Hühner auch, die Glucke sitzt mit ihrer Brut im Stall. Im Sommer nisten in | |
der Schmiede ihres Mannes Schwalben. Vor der Tür steht eine keck lächelnde | |
Hexe aus Holz. „Die hab ich mir selber gekauft.“ Hexe, Hexerei, Hexenjagd �… | |
solche Gedanken verbinde sie damit. | |
Drinnen: Das Wohnzimmer ist winzig, aber behaglich und in der Küche ist | |
alles aus Holz. Nebenan im ehemaligen Stallgebäude hat sich Latarius eine | |
[1][Praxis] eingerichtet. Eine Liege, ein großer Schreibtisch. Das WC | |
verbirgt sich hinter einer Art gotischer Klostertür. Im Fenster steht eine | |
Fee aus Porzellan. „Die soll Wünsche erfüllen.“ | |
Herkunft: Eigentlich stammt Uta Latarius aus der Stadt, aus Halle an der | |
Saale. Die Mutter war Erzieherin, ihr Vater arbeitete als Zimmermann. Er | |
fühlte sich überall von der Stasi verfolgt, auch nach der Wende noch. „Er | |
war ein schwer zu ertragender Mensch“, sagt sie. | |
Schikanen: Auch ihr Bruder litt unter dem DDR-Regime: Er hätte Karriere als | |
Berufssportler im Fechten machen können, wenn er auf Besuche seitens der | |
Westfamilie (des Bruders der Mutter) verzichtet hätte, erzählt Latarius. | |
Das wollte er nicht. Er lebt seit Jahren im Westen und „noch heute hasst er | |
den ganzen Osten“. | |
Nur weg: Latarius wollte ebenfalls aus Halle weg. Deshalb ging sie, nachdem | |
sie ihre Ausbildung zur Unterstufenlehrerin beendet hatte, auch in den | |
Westen. Nach Bielefeld. Aber die Stadt gefiel ihr nicht, sie zog zurück in | |
die ehemalige DDR, in ein kleines Dorf im Spreewald. In Lübben, der | |
Kreisstadt dort, fand sie eine Anstellung im Krankenhaus. | |
Klinikerfahrung: 30 Jahre lang hat Latarius in der Kinder- und | |
Jugendpsychiatrie im Krankenhaus in Lübben gearbeitet. Als Erzieherin. Ihre | |
DDR-Ausbildung zur Unterstufenlehrerin war nach der Wende im Westen nicht | |
anerkannt worden. „Ich machte damals eine Zusatzausbildung, in der man die | |
Grundkenntnisse des Schwesternberufs lernte.“ Es war eine Synthese zwischen | |
Pädagogik und krankenpflegerischer Arbeit. Sie hat die Arbeit in Lübben | |
sehr gerne gemacht. | |
Die Liebe: Verliebt hat sie sich in der Zeit auch, hat geheiratet, vier | |
Kinder bekommen. Sie ist ins Haus ihres Mannes gezogen, das einer | |
alteingesessenen Familie. Waschechte [2][Sorben], wie sie im Spreewald | |
leben, waren sie allerdings nicht. Ein Hugenotte war durch die Gegend | |
gereist und hatte sich in eine Spreewälderin verliebt. Den Namen Latarius | |
müsse man sich frankophon denken. | |
Ein Anliegen: Latarius sieht die Entwicklung im Gesundheitswesen kritisch. | |
Vor allem die Gesundheitsreform von 2005 habe das Klinikwesen auf schlechte | |
Gleise gesetzt. „Immer mehr Bürokratie, man muss immer mehr schreiben und | |
dokumentieren und hat kaum noch Zeit für die Patienten.“ Die | |
Wirtschaftlichkeit sei wichtiger geworden als das Wohl der Kranken. Ein | |
Ausweg schienen Latarius noch die naturheilmedizinischen Verfahren, weil | |
dort der Mensch im Mittelpunkt stehe. | |
Das andere Konzept: Uta Latarius war aber schon vor der Gesundheitsreform | |
auf die Idee gekommen, Heilpraktikerin zu werden. Denn ihre Tochter wurde | |
chronisch krank und die klassische Medizin war am Ende. Es blieben nur | |
alternative Heilmethoden. Da entschied sie sich, selbst eine Ausbildung zur | |
Heilpraktikerin zu machen. „In Cottbus bin ich auf die Heilpraktikerschule, | |
das ist ja nicht so weit.“ Nach zwei Jahren hat sie die Prüfung gemacht. | |
Sie bewältigte den Stoff neben Beruf und Hausarbeit. Ihre vier Kinder sind | |
heute zwischen 12 und 24 Jahren alt. | |
Ausbildung: Eine Heilpraktikerschule kostet zwar Geld, bringt der | |
angehenden Naturheilerin jedoch vor allem die Zulassung. „Danach fängt es | |
erst richtig an. Danach muss man sich die für einen selbst geeigneten | |
Methoden aneignen.“ Sie empfindet es als Glück, dass sie bei einem Kollegen | |
in Erkner zwei Jahre lang assistieren konnte, um so die wichtigsten | |
Verfahren zu lernen. Immunmodulationen findet sie einen guten | |
Therapieansatz, den sie gerne anwendet. | |
Eigene Praxis: Im Jahr 2000 eröffnete sie dann ihre erste Praxis als | |
niedergelassene Heilpraktikerin in Lübben. Das Inventar übernahm sie von | |
einem Kollegen aus Westdeutschland. 25.000 Mark musste sie dafür zahlen. | |
Ein Risiko, zumal die Gebühren für heilpraktische Behandlungen nicht üppig | |
sind. Aber es kamen mit der Zeit genug Leute, erzählt sie. | |
Ein Frauenberuf: Die meisten heilpraktisch Behandelnden sind Frauen. „Man | |
braucht eigentlich einen gut verdienenden Mann, um es sich leisten zu | |
können“, sagt sie. Ihr Mann ist gelernter Schmied, arbeitet jedoch heute in | |
einem großen Betrieb in der Nähe von Lübben. Obwohl er eine ausgebildete | |
Fachkraft sei, bekomme er kaum mehr als den Mindestlohn. Die älteste | |
Tochter, die als fertig ausgebildete Maschinenbauerin in Württemberg gerade | |
angefangen hat, verdient dort als Berufsanfängerin bereits das Doppelte. | |
„Da stimmt doch etwas nicht“, meint Latarius, aber deswegen wegziehen komme | |
nicht infrage. „Wir wollen hier bleiben.“ | |
Landleben: „Ich lebe gerne auf dem Dorf. So direkt am Wald, die Natur war | |
mir immer besonders wichtig, ich füttere jetzt die Waldvögel.“ In ihrem | |
300-Einwohner-Dorf gibt es am Dorfanger immerhin eine Bäckerei, einen | |
Hofladen, eine Gaststätte, ein Yogakursangebot und eine Kirche. „Leider ist | |
derzeit coronabedingt fast alles zu, seit einem halben Jahr trifft sich | |
hier niemand mehr.“ Im Hofladen und in der Bäckerei kann man aber noch | |
einkaufen. | |
Neuer Anlauf: Ihre Praxis in Lübben lief gut. Als aber nach dem Tod der | |
Schwiegereltern im Haus mehr Platz war, beschloss sie, ihre Praxis dort | |
aufzumachen. Sie kündigte bei der Psychiatrie sowie die Praxisräume und | |
fing im Dorf an. Das ging, weil Latarius in einem Nachbarort auch eine neue | |
Stelle fand. Nun arbeitet sie vormittags als Lehrerin in einem Kinderheim. | |
Es sind 27 Kinder, sie kann den Unterricht völlig frei gestalten; die | |
Arbeit macht ihr Spaß. | |
Corona: Die neue Stelle ist ein Glück, denn Heilpraktikerinnen müssen für | |
ihre Dienstleistungen teils noch nach Gebührenordnungen abrechnen, die seit | |
Jahrzehnten nicht angepasst wurden. Die Pandemie mache alles zudem | |
schwieriger. Die Stimmung sei umgeschlagen gegen die alternativen | |
Heilmethoden. Geplant sei, bestimmte Verfahren, die Heilpraktikerinnen | |
machten, zu verbieten. | |
Balance: Sie ist zufrieden, wenn an einem Nachmittag zwei bis drei | |
Ratsuchende kommen. „Ich will hier doch keinen McDonald’s-Betrieb.“ Manche | |
kommen, „weil sie bei den heute notorisch überlasteten Ärzten keinen | |
annehmbaren Termin bekommen. Bei den Heilpraktikern muss niemand Schlange | |
stehen.“ Denn die meisten bezahlen ihre Rechnungen selbst. | |
Unrealistisch: Es kommen vor allem Menschen, die austherapiert sind. | |
Allerdings hätten sie oft unrealistische Vorstellungen, sagt Latarius „Sie | |
sind meine letzte Hoffnung!“ sei so ein Satz, den sie dann höre. Das | |
empfindet sie mitunter als bedrückend: „Ich bin keine Wunderheilerin. Ich | |
kann nur die Methoden anwenden, die ich gelernt habe.“ | |
25 Apr 2021 | |
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[1] http://www.nhp-latarius.de/index.php | |
[2] /Slawische-Minderheit-in-Deutschland/!5057223 | |
## AUTOREN | |
Elisabeth Meyer-Renschhausen | |
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