# taz.de -- Starkoch Vincent Klink über Schwaben: „Für Außenstehende unbeg… | |
> Vincent Klink ist Meisterkoch und Kritiker der Nahrungsmittelindustrie. | |
> Ein Gespräch über die Seele des württembergischen Schwabentums und | |
> Politik. | |
Bild: Muss sich nicht hinter seinen Gehilfen verstecken: Vincent Klink | |
taz: Lieber Vincent Klink, Ihr Restaurant Wielandshöhe heißt nach dem | |
aufklärerischen und oberschwäbischen Dichter Christoph Martin Wieland. Was | |
kann Essen klären? | |
Vincent Klink: Politik und Essen gehören zusammen. Das fängt beim | |
Tierschutz an und hört beim Humanismus auf. Das gemeinschaftliche Essen, | |
denkt man ans christliche Abendmahl, ist wichtig. Ich selbst bin allerdings | |
überhaupt nicht religiös – und die Apostel, die waren ja anscheinend auch | |
mit trocken Brot zufrieden (schmunzelt). | |
Essen in Coronazeiten – macht das noch Spaß? | |
Das einzig Erfreuliche zurzeit ist, [1][dass die Leute gezwungen sind, mehr | |
zu Hause zu kochen], das funktioniert anscheinend vielerorts gut. Viele | |
kochen jetzt, die nie gekocht haben. Auch bei mir, ich bin ja kein | |
Hobbykoch, war es ein harter Weg. Oft gibt’s bei uns grad nur | |
Pellkartoffeln und Quark oder Spaghetti mit Olivenöl, grobem Pfeffer und | |
Parmesan. Meine Frau meint trotzdem, dass ich zu viel Dreck in der Küche | |
mache. Jetzt hab ich eine Herdplatte ins Freie verlegt, und die | |
Zwiebelschalen, die nimmt der Wind mit. Meine Außenküche ist meine Rettung. | |
Ich bin kein Köchler. Wenn ich koche, das ist halt in mir drin, dann kocht | |
der Teufel. | |
Bevor die Wielandshöhe wieder aufsperren darf – gibt’ s ein Schnelltestzelt | |
davor mit delikatem Wurstsalat? | |
Wir machen momentan gar nix, wir arbeiten mit unseren Mitarbeitern an der | |
Theorie, und die sind mit Feuer und Flamme dabei. Wir verkaufen auch nichts | |
außer Haus – [2][richtig gutes Essen hat ein schnelles Verfallsdatum]. Für | |
uns wäre das auf allen Ebenen ein Minusgeschäft. Wenn wir Glück haben, | |
öffnen wir Mitte April wieder. Bloß: Restaurants und Kultur scheinen der | |
Regierung nicht wirklich wichtig zu sein. Das Schlimmste aber finde ich | |
zurzeit die Bürokratie, die sich gegenseitig behindert mit ihrem ganzen | |
Kompetenzwirrwarr. Viel muss auf den Prüfstand in Deutschland, vor die | |
höchsten Gerichte müssen einschneidende Coronamaßnahmen. Aber diese | |
legitime Forderung rechtfertigt nicht bei sogenannten Querdenkern neben | |
einer Nazifahne herzulaufen. So was ist unverzeihlich. | |
Was macht die Schwaben aus? | |
Dass sie nix gegen die Badener haben, umgedreht die Badener aber schon was | |
gegen uns (lacht) – halt, stopp, nicht wirklich, weil [3][bei den Badenern | |
ordnet sich letztlich alles dem Genuss unter], da ist die leichte Abneigung | |
gegen uns schnell wieder vergessen! Der Schwabe dagegen ist sparsam, aber | |
nicht geizig, Qualität und Nachhaltigkeit ist ihm wichtig. Er liebt sein | |
gutes Essen. Wenn die Welt sich bei Nahrungsmitteln, wie es oft passiert, | |
freiwillig verarschen lässt, dann sind nur wenige Schwaben dafür anfällig, | |
behaupte ich. | |
Hat der Schwabe denn so gar keine Mängel? | |
Schlimm ist manchmal, dass die Reichen hier so tun, als wären sie die | |
Allerärmsten. Das ist dann schon ein bisschen peinlich. Ich kenne eine mit | |
vielen Millionen auf dem Konto, aber die halbe Flasche Wasser, die sie bei | |
uns im Lokal nicht ausgetrunken hat, die nimmt sie mit. Auf der anderen | |
Seite: Ist das nicht auch vernünftig? Ich versteh die Dame irgendwie doch, | |
aber ich komm ja auch von hier. Für Außenstehende sind die Schwaben | |
vielleicht eher unbegreiflich. Wer Geld hat, der oder die zeigt es eben bei | |
uns nicht. Da sitzt einer neben einem Marxist und ist womöglich noch | |
schlechter gekleidet als der Marxist. Als Wirt muss ich schon wissen, wer | |
wer ist, auch wenn man’s nicht sieht. Ganz diskret bleiben, bloß keinen | |
Neid erzeugen, das ist Schwaben. Diese Haltung schafft hierzulande meist | |
ein recht angenehmes gesellschaftliches Klima. | |
Nach welchem Rezept kochen die baden-württembergischen Grünen? | |
Die leben natürlich vom „Herrn Ministerpräsidenten Kretschmann“. Der hat | |
genau den richtigen Ton, auch seine harte Aussprache, mit der er das | |
Schwäbische einigermaßen meistert, ins Hochdeutsche zu übertragen. Wir | |
hatten dafür beide mal dieselbe Sprachtherapeutin. Also, bei der hat man | |
sich regelmäßig den Kiefer ausgerenkt … (Klink imitiert staatstragend das | |
Hochdeutsche, bricht fidel ab). Dann schwätz ich fei lieber Schwäbisch. Und | |
was den Kretschmann angeht: Eine unglaubliche Zuverlässigkeit strahlt der | |
aus. Das Ausschweifendste, glaub ich, was er macht, ist Wandern. Also, wie | |
soll ich sagen, alles in allem ist das bei uns eine ziemlich familiäre | |
Kiste, durchaus ein wenig bieder. Bei uns braucht’s Bodenständigkeit, keine | |
Show. Politmäßig kannst du hier nicht auf den Putz hauen. Dass in Berlin | |
Schulden als sexy gelten, das ist für uns in Schwaben unerklärlich, das | |
kapier ich nicht. | |
Was isst Winfried Kretschmann in der Wielandshöhe? | |
Sag ich nicht. Jeder kann bei uns essen, ohne danach gleich in der Bild zu | |
stehen. Das gehört zum Erfolgsmodell. Die Politik kommt manchmal zu uns | |
privat und ist dankbar dafür, dass ich es nicht weiterquatsche. Gut essen | |
gehen ist eine sehr private Angelegenheit. Und ein gutes Gasthaus ist auch | |
ein Schutzraum. Hier in der Wielandshöhe haben wir einen Tisch, den kann | |
man erreichen, ohne die anderen Gäste zu passieren. Den Tisch haben wir | |
aber so noch nie genutzt, in all den 30 Jahren unseres Bestehens nicht. Es | |
gibt aber auch Gäste, die nicht wieder auftauchen. Vielleicht weil ich den | |
Bückling nicht tief genug gemacht habe, dieses ganze Hallihallo – ich würd | |
sagen, uns wählen genau die Richtigen, die, die ihre Ruhe haben wollen, die | |
gut versorgt werden wollen. | |
Haben Politikerinnen und Politiker für diesen Genuss überhaupt Zeit? | |
Eben meist nicht. Die haben gottverdammte Tageshektik, die vielleicht gar | |
nicht nötig wäre. Unsere beste Kundschaft sind Musiker, die lassen sich | |
Zeit, haben kein Geld, hauen es aber gern auf den Kopf. Und dann kommt | |
erschwerend für die Politik dazu, dass Deutschland der Hotspot allen Neides | |
ist – da essen Politiker lieber ihre Currywurst am Imbiss, bloß um gut vorm | |
„Volk“ dazustehen. „Warum isst die Politikerin XY beim Klink ein | |
Bresse-Huhn für 48 Euro?! Unverschämtheit!“ Da rutschen die Leute in eine | |
Heuchelei rein, die ist geradezu grauenhaft. Die rührt auch daher, dass | |
gutes und anständig produziertes Essen für viele in Deutschland immer noch | |
keinen Stellenwert hat, auch wenn sie es sich leisten könnten. Dann kocht | |
der Neid hoch. | |
Sind sie ein politisch denkender Mensch? | |
Mich interessiert Politik eigentlich nahezu null, aber ich muss, finde ich, | |
eine demokratische Pflicht. Bin Mitglied bei Antilobbyvereinen, bitter | |
nötig, wenn wir gerade etwa auf die Maskenaffäre der Union gucken. Wir | |
dürfen nicht saturiert denken. | |
Die Grünen, sind die ihre politische Heimat? | |
Ich bin eigentlich seit Urzeiten ein Grüner, aber manchmal ist mir das echt | |
zu betulich und betroffen dort, dann kekst mich das an. Andererseits, was | |
macht die CDU? Wie Frau Klöckner die Agrarlobby und die | |
Nahrungsmittelindustrie hofiert, das ist mein persönlich empfundener | |
Super-GAU. Da tut sich nix – im konventionellen Agrarsektor etwa geht’s nur | |
um zig Milliarden Subventionen. Was ich aber bei vielen Grünen nicht leiden | |
kann, ist ihre Heuchelei: Wer ökologisch und trotzdem richtig gut leben | |
will, der hat Geld. Bitte dankbar dafür sein und nicht verstecken! Auch | |
wenn ich persönlich den Biodiesel Porsche Cayenne nicht in Ordnung finde – | |
aufrichtiger find ich’s, mit dem nicht nur nachts inkognito durch Stuttgart | |
zu fahren. Ist hier schon passiert. Heilig’s Blechle! | |
14 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Harriet Wolff | |
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