| # taz.de -- Streit um Klassenfrage: Para und Props | |
| > Es gehe um Geld oder um Anerkennung, heißt es in der Debatte um | |
| > Klassismus oft. Dabei geht es um beides gleichermaßen. | |
| Bild: „Bandarbeit oder lieber Chef sein?“ – Rapper Haftbefehl | |
| [1][Klassismus], über diesen Begriff streiten gerade viele in einer | |
| ziemlich zeitgeistigen binären Entweder-oder-Logik. Die einen sagen, es | |
| gehe um Geld, die anderen sagen, es gehe auch um Anerkennung. Und beide | |
| Lager werfen einander vor, ihr Fokus verkenne das Problem. | |
| Dabei geht es um beides. Es geht um Anerkennung durch Geld und Geld durch | |
| Anerkennung; und das im Sinne des französischen Soziologen Pierre Bourdieu, | |
| der nicht nur den Kontostand im Blick hatte, sondern auch soziales und | |
| kulturelles Kapital, also Kontakte und Wissen, die mit Geld einhergehen und | |
| mit denen Geld einhergeht. Natürlich kann man diese Differenzierung | |
| nebensächlich finden und sich radikalcool hinstellen und sagen: Only one | |
| solution – revolution! Aber dass sich die materielle Ordnung nicht mal kurz | |
| umwälzen lässt, wenn man nur fest daran glaubt und sich dabei nicht von | |
| kulturellen und psychologischen Aspekten der Klassengesellschaft ablenken | |
| lässt, das wissen wir mittlerweile. | |
| Es gibt Anekdoten, die einem Eltern erzählen, und die, bewusst oder nicht, | |
| auch eine Funktion haben: Sie sollen dem Nachwuchs klarmachen, woher der | |
| Erzählende kommt, somit auch der Zuhörende. Der Nachwuchs soll erfahren, | |
| was es kostet, dass er auf eine bessere Zukunft hoffen kann. Ich erinnere | |
| mich an zwei Anekdoten: Mein Vater, der in einer Textilfabrik arbeitet, | |
| wird von einem Vorgesetzten in dessen Büro gerufen. Dort wird er forsch | |
| zurechtgewiesen, dass er, der Arbeiter aus der Türkei, das Büro gefälligst | |
| durch die Hinter- und nicht Vordertür betreten solle. | |
| Meine Mutter geht an dem Gymnasium putzen, an dem ich später mein Abitur | |
| mache. Immer wieder erzählt sie meinen Brüdern und mir, woran sie denkt, | |
| wenn sie Schultoiletten reinigt: Meine Söhne sollen auch [2][mal auf diese | |
| Schule gehen]. | |
| ## Was Haftbefehl rappt | |
| Natürlich wäre mein Vater nicht in einer Fabrik gestanden, hätte er geerbt, | |
| meine Mutter hätte keine Klos geputzt. Aber weil es so war, wie es war, | |
| taten meine Eltern, was sie tun mussten. Als sie dabei Erniedrigungen | |
| erlebten, motivierte sie nicht nur die Aussicht auf zukünftige finanzielle | |
| Sicherheit ihrer Kinder, weiterzumachen, sondern auch die Aussicht auf | |
| Anerkennung: Ihre Kinder sollten einmal unabhängig genug sein, um sich | |
| wehren zu können, um den Respekt einzufordern, der ihnen aufgrund ihrer | |
| Abhängigkeit verwehrt wurde; sie sollten nicht mehr in dreckiger | |
| Arbeitskleidung Textilmaschinen bedienen oder putzen, sie sollten Hemden | |
| tragen und Texte schreiben. | |
| Natürlich ist Letzteres nicht ehrenwerter als die Lohnarbeit, die sie | |
| ausübten. Aber die Gesellschaft behauptet das und meine Eltern bekamen es | |
| zu spüren. | |
| Deshalb sind meine Eltern heute stolz auf mich, dabei sind sie eigentlich | |
| stolz auf sich. Deshalb rappt Haftbefehl nicht die Internationale, sondern: | |
| „Mercedes SLS oder S-Bahn fahren? Bandarbeit oder lieber Chef sein?“ Und | |
| deshalb geht es um Geld, aber auch um Anerkennung, um Para und Props. | |
| 26 Feb 2021 | |
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| Volkan Ağar | |
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