# taz.de -- Kontrollen der Coronamaßnahmen: Weil sie dich nicht lieben | |
> Während in S- und U-Bahnen weiter die Fahrscheine kontrolliert werden, | |
> kontrolliert kaum einer, ob Betriebe die Coronamaßnahmen einhalten. | |
Bild: Fahrscheinkontrolle trotz Pandemie – ab jetzt wird zu Fuß gegangen | |
Diese Woche wurde ich in der U-Bahn kontrolliert und hatte keinen gültigen | |
Fahrschein. Dabei habe ich ein Abo, ich hatte die Karte nur nicht dabei, | |
weil ich sie einer Freundin geliehen hatte und später, nachdem sie sie mir | |
zurückgegeben hat, vergessen habe, sie wieder einzustecken. Jetzt muss ich | |
sie nachreichen und 7 Euro Bearbeitungsgebühr zahlen. | |
Vor ein paar Wochen habe ich dieses Abo gekündigt, es läuft Ende des Monats | |
aus. Es war keine leichte Entscheidung. Nach all den Jahren als | |
Jugendlicher und als Student, in denen ich ohne Fahrschein gefahren bin, | |
gehörte die Jahreskarte mit zum Erwachsenwerden, zum | |
Ich-verdiene-jetzt-mein-eigenes-Geld-und-ich-kann-mir-das-leisten-Leben, | |
ein konkreter Fortschritt, den ich mir erarbeitet hatte, ein Zeichen neuer | |
Unabhängigkeit, auch ein bisschen Statussymbol. Und es war einfach auch | |
eine große Erleichterung, keine Angst mehr vor Kontrollen haben zu müssen. | |
Ich habe mein Abo trotzdem gekündigt. Aus Wut. Ich finde es | |
unverantwortlich, dass in der Pandemie weiterhin kontrolliert wird und es | |
so zu vermeidbaren Kontakten kommt, die [1][das Infektionsrisiko im ÖPNV | |
noch weiter erhöhen]. Überhaupt finde ich es daneben, Menschen mit | |
Fahrscheinkontrollen zu terrorisieren, in der Pandemie aber ganz besonders. | |
Weil viele von diesen Menschen nicht zu den Glücklichen gehören, die im | |
Homeoffice sitzen, sondern mit der Bahn zur Lohnarbeit fahren müssen. | |
Und dann ist da noch die Art, wie kontrolliert wird: oft autoritär und rau, | |
immer wieder mit Körpereinsatz. Kurz bevor ich gekündigt habe, hatte ich | |
eine solche unfreundliche Begegnung mit zwei Kontrolleuren. Aber am Ende | |
machen die auch nur ihren Job, auch wenn sie nicht immer gleich wie Rambos | |
auftreten müssten. Und am Ende sind sie die falschen Adressaten der Wut. | |
Denn sie können nichts dafür, dass in dieser pandemiegeplagten Welt so | |
manches grundsätzlich falsch läuft. | |
Denn während das öffentlich-rechtliche Unternehmen Berliner | |
Verkehrsbetriebe (BVG) trotz der Pandemie harte Kontrollen fortsetzt, zeigt | |
eine [2][Recherche des Magazins „Report Mainz“ und „BuzzFeed News | |
Deutschland“], dass Betriebe aktuell nur sehr selten kontrolliert werden, | |
ob sie Coronamaßnahmen einhalten: Die Berliner Arbeitsschutzbehörde habe | |
wegen der Pandemie zwar eine Taskforce gegründet, heißt es dort, weshalb es | |
nun pro Woche 80 statt 20 Coronakontrollen wie im letzten Jahr gebe. Bei | |
rund 100.000 Berliner Betrieben würde so jeder Betrieb aber nur alle 25 | |
Jahre kontrolliert. Außerdem würden Behörden Firmen wegen Verstößen gegen | |
die Coronaverordnungen nur verwarnen, selten käme es dagegen zu Bußgeldern | |
und noch seltener zu Betriebsschließungen. | |
Ich frage mich deshalb, ob es immer noch mehr als 600 Coronatote am Tag | |
gäbe, wenn Betriebe genauso streng kontrolliert würden, wie die BVG auch in | |
der Pandemie Fahrscheine kontrolliert. | |
12 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /OePNV-und-Corona/!5723839 | |
[2] https://www.tagesschau.de/investigativ/report-mainz/corona-arbeitsschutz-10… | |
## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
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