| # taz.de -- Einkaufen vor dem Lockdown: Shopping-Scham löst Flugscham ab | |
| > In der Pandemie wollen alle recht haben und zu den Guten gehören. In der | |
| > Abgrenzung vom Shoppingpöbel wirken alte Ressentiments. | |
| Bild: Kein Shopping, keine Shopping-Scham mehr. Geschlossenes Geschäft in Köln | |
| Seit Mittwoch sind die Läden also dicht. Bei der aktuellen | |
| Infektionsdynamik ist das auch gut so. Nachdem Frau Merkel den harten | |
| Lockdown am Sonntag verkündet hat, war aber auch klar: Am Montag und | |
| Dienstag gehen die Leute noch mal auf Jagd, so kurz vor Weihnachten erst | |
| recht. Warum diese Gelegenheit also nicht nutzen für ein bisschen | |
| moralische Konsumkritik? | |
| Zeitungen haben berichtet, dass es in den letzten Tagen vor dem harten | |
| Lockdown sehr voll in deutschen Innenstädten gewesen sein soll. Man liest | |
| von Schlangen vor Läden und Läden, die aufgehört haben, die Kunden zu | |
| zählen, und Kunden, die sich für ihren Shoppinggang rechtfertigen. Man | |
| liest, was die Leute so machen beim Einkaufen (einkaufen), und hört in | |
| Videoberichten, wie sie Erwartbares erzählen (habe dies und das noch | |
| gebraucht). | |
| Auf den Punkt gebracht hat es aber eine [1][Spiegel-Reportage] aus dem | |
| Berliner Einkaufszentrum Alexa. Die Bereitschaft der Konsument:innen, mit | |
| Journalisten zu sprechen, sei nicht besonders groß (wtf fällt ihnen ein?!), | |
| weil „womöglich auch die neue Shopping-Scham eine Rolle“ spiele, heißt es | |
| da. Auf Flugscham folgt also Shopping-Scham. Bingo! | |
| Die Vokabel verweist auf den Grund für das besondere Interesse an allzu | |
| Banalem, am Einkaufen vor dem harten Lockdown. Wie so oft, wenn etwas | |
| schlecht läuft, scheint es um das Rechthaben, das Moralisch-erhaben-Sein zu | |
| gehen. Man möchte zu den Guten gehören. Das geht, wie die Pandemie oft | |
| vorgeführt hat (Feiern [2][muslimischer Großfamilien] oder [3][feierwütige | |
| junge Menschen]), nur in Abgrenzung, im aktuellen Fall vom Shoppingpöbel. | |
| Selbstgerechte Konsumkritik | |
| Das dürfte manchen auch nicht schwergefallen sein, denn die konsumgeilen | |
| Leute waren für sie ja schon vor Corona verachtenswert, weil sie nicht Bio, | |
| Fairtrade und umweltfreundlich konsumieren; weil ihnen Konsumieren | |
| scheinbar so wichtig ist, viel wichtiger als jenen, die sie verachten. Hier | |
| wirkt ein Ressentiment, das älter ist als die Pandemie. Nicht umsonst haben | |
| Soziologen das verachtende Milieu liebevoll als postmateriell bezeichnet – | |
| nicht weil diese Leute den Kapitalismus überwunden hätten oder Geld für sie | |
| keine Rolle mehr spielen würde, sondern weil genug davon da ist. | |
| Wer genug Geld auf dem Konto hat, um sich als gewissenhaften Konsumenten zu | |
| inszenieren, bitteschön. Und wer zu Hause sitzt und schon alles da hat, was | |
| er braucht, auch gut (Vielleicht doch noch was bei Amazon bestellen?). | |
| Selbstgerechte Konsumkritik verändert die Welt jedenfalls nicht, weil der | |
| Kapitalismus von seinen strukturellen Zwängen lebt und nicht von | |
| moralischen Kaufentscheidungen Einzelner abhängt. Aber wer über den Konsum | |
| anderer lästert, will die Welt sowieso nicht verändern, sondern nur sich | |
| seiner selbst vergewissern. Ganz abgesehen davon, dass Konsum für | |
| nichtpostmaterielle Menschen auch ermächtigend sein kann: Warum sollen | |
| gerade jene verzichten, denen ohnehin vieles vorenthalten bleibt? | |
| 18 Dec 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/shoppen-vor-dem-lockdown-der-letz… | |
| [2] /Corona-Ausbruch-in-Goettingen/!5686582 | |
| [3] /Corona-Infektionen/!5717216 | |
| ## AUTOREN | |
| Volkan Ağar | |
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