| # taz.de -- Was uns bewegt und was nicht: Alltäglicher Horror | |
| > Islamistischer Terror und ein diktatorischer Trump. Das Weltgeschehen | |
| > weckt derzeit Endzeitgefühle. Armut und Ungleichheit wirken da eher | |
| > langweilig. | |
| Bild: Wegen alltäglicher Not: Mitarbeiterinnen der Bremerhavener Tafel bereite… | |
| Es steht viel auf dem Spiel in diesen Tagen. Vielleicht sogar alles. Finden | |
| Sie nicht? Europa kämpft gegen islamistischen Terror; auf der anderen Seite | |
| des Atlantiks regiert die Furcht vor vier weiteren Jahren mit Donald Trump. | |
| Vielleicht erfüllen Sie diese Tage mit einem ganz besonderen Schauder, mit | |
| Endzeitgefühlen. Sie hören und lesen ständig Worte wie Zivilisation, | |
| Freiheit, Demokratie. Es ist gut, dass Sie diese Konzepte zur Hand haben, | |
| wenn es knallt auf der Welt; es ist gut und absolut notwendig, dass Sie den | |
| Wert der individuellen Freiheit hochhalten, wenn Islamisten in Metropolen | |
| auf Menschen schießen; genauso gut und notwendig ist es, inbrünstig an | |
| demokratische Mindeststandards zu erinnern, wenn Mr President denkt, [1][er | |
| kann Diktator spielen]. | |
| Bei solcher Weltlage ist es erwartbar, dass Sie mit anderen darüber | |
| diskutieren, was nun passieren muss, vielleicht auch streiten: Was tun als | |
| Linker gegen islamistischen Terror? Was halten davon, dass so viele | |
| Menschen einen Zyniker wählen? Das Engagement, der Streit, sind aber nicht | |
| nur lästig, sie erfüllen Sie, geben Ihnen Sinn und Identität. | |
| Und das alles passiert so leidenschaftlich, weil islamistische | |
| Terroranschläge in ihrem angsteinflößenden, unmittelbaren Horror unter die | |
| Haut gehen; weil in den USA ein Präsident regiert, den es so dreist bisher | |
| noch nicht gegeben hat, und der mit seinem comictauglichen | |
| Bösewichtauftreten zum ganz unmittelbaren, wuterregenden Ärgernis wird. Ein | |
| Wahlkampf wie eine Reality-TV-Show und Wahltage wie eine Fußball-WM tun ihr | |
| Übriges. | |
| ## Angstlust und Weltschmerz | |
| Tage wie diese, an denen so viel auf dem Spiel steht, lassen Sie | |
| möglicherweise aber anderes übersehen, vergessen, vielleicht auch einfach | |
| hinnehmen – wenn Sie es sich denn leisten können: die Klassengesellschaft, | |
| die zunächst viel weniger bestürzend erscheint. [2][Dass die Coronapandemie | |
| die soziale Frage radikalisiert], das gilt mittlerweile als Binse. Auch der | |
| „Lockdown light“ wird viele Existenzen noch weiter erschweren, auch wenn er | |
| harmlos und cool klingt wie eine Packung Zigaretten. | |
| Armut und soziale Ungleichheit triggern den Weltschmerz einfach nicht so; | |
| war ja schließlich schon immer so, dass die einen mehr haben als die | |
| anderen. Es geht um Ungerechtigkeit, die keine Chance hat gegen die | |
| Angstlust, die einem herumballernde Terroristen oder die untergehenden USA | |
| verschaffen. Über mögliche Zusammenhänge von eskalierender physischer | |
| Gewalt, autoritären Tendenzen und der systematischen Gewalt ökonomischer | |
| Ordnung nachzudenken, wäre zwar naheliegend, ist aber anstrengend und | |
| langwierig. | |
| Ja, es sind absurde, aufregende und schreckliche Tage, durch die Sie und | |
| ich gerade gehen. Der Schrecken der Klassengesellschaft ist da | |
| langweiliger. Er liegt in der trügerischen Plausibilität und unaufgeregten | |
| Alltäglichkeit. | |
| 5 Nov 2020 | |
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| Volkan Ağar | |
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