# taz.de -- Ein Jahr nach Hanau: Eine verheerende Bilanz | |
> Die Bedrohung migrantisierter Menschen werde weiter nicht anerkannt, | |
> klagt das Berliner Bündnis Hanau-Gedenken ein Jahr nach den rassistischen | |
> Morden. | |
Bild: Befördert die Stigmatisierung von Migrant*innen, sagen Kritiker*innen: P… | |
Berlin taz | Ein Jahr nach den rassistischen Morden von Hanau ziehen | |
Berliner Antifa-Gruppen eine niederschmetternde Bilanz: Politisch und | |
gesellschaftlich habe sich seither kaum etwas verbessert, finden sie. | |
„Behörden und staatliche Institutionen sind unverändert strukturell | |
rassistisch und tragen Mitschuld an allen bisherigen und zukünftigen | |
rassistischen Angriffen und Ermordungen“, sagt etwa Meryem Malik von | |
Migrantifa Berlin der taz. | |
Rechter Terror und Netzwerke würden politisch und polizeilich nicht | |
konsequent angegangen, bundesweit besäßen rund 1.200 Rechtsradikale legal | |
Waffen. Große Teile der Gesellschaft würden Rassismus weiterhin als | |
außerdeutsches Problem ansehen, wie die Debatte über die | |
Black-Lifes-Matter-Proteste gezeigt hätte. „Die permanente Bedrohungslage, | |
in der sich migrantisierte Menschen in Deutschland sehen, wird weiterhin | |
nicht anerkannt“, so Malik. | |
[1][In der Nacht vom 19. auf den 20. Februar 2020] ermordete der | |
polizeilich schon länger auffällige Tobias Rathjen in Hanau aus | |
rassistischen Motiven neun Menschen: Gökhan Gültekin, 37, Sedat Gürbüz, 30, | |
Said Nesar Hashemi, 21, Mercedes Kierpacz, 35, Hamza Kurtović, 22, Vili | |
Viorel Păun, 23, Fatih Saraçoğlu, 34, Ferhat Unvar, 22, Kaloyan Velkov, 33. | |
Anschließend tötete er seine Mutter und sich selbst. | |
Die Tat löste eine erneute bundesweite Debatte über Kontinuität und | |
Allgegenwart von Rassismus hierzulande aus, in vielen Städten, so auch in | |
Berlin, [2][gründeten antifaschistisch orientierte Migrant*innen sowie | |
People of Colour Migrantifa-Gruppen]. Zum Jahrestag der Morde organisiert | |
Migrantifa Berlin zusammen mit RomaTrial, dem Aktionsbündnis Antirassismus, | |
den Initiativen Kein Generalverdacht und Young Struggle, die sich zum | |
Bündnis Hanau-Gedenken zusammengeschlossen haben, an diesem Freitag drei | |
Gedenkveranstaltungen und am Samstag eine Demo. | |
## Mehr Gesetze und Definitionen | |
Der Grünen-Politiker Sebastian Walter, im Abgeordnetenhaus zuständig für | |
Antidiskriminierung, sieht die Versäumnisse naturgemäß auf Bundesebene. | |
Aber auch er fordert grundsätzliche und strukturelle Veränderungen, etwa | |
ein „starkes und scharfes“ Antidiskriminierungsgesetz auf Bundesebene, ein | |
Bundespartizipationsgesetz sowie einheitliche Definitionen von Rassismus | |
und Diskriminierung. | |
Die Berliner Landespolitik sei da schon weiter, lobt er die Arbeit von R2G: | |
Mit dem Landesantidiskriminierungsgesetz, dem Diversity-Landesprogramm oder | |
den Gesamtstrategien gegen Antisemitismus oder LSBTIQ-Feindlichkeit | |
„versuchen wir, Ausgrenzungen strukturell anzugehen“. Zudem habe man die | |
finanzielle Unterstützung für Antidiskriminierungsprojekte verdreifacht und | |
die Beratungsstruktur massiv ausgeweitet. | |
Doch auch für Hamze Bytyci von RomaTrial ist die Bilanz ein Jahr nach Hanau | |
insgesamt „verheerend“, von erwachendem „antirassistischem Bewusstsein“… | |
nichts zu spüren. „Stattdessen mussten wir zusehen, wie die Politik das | |
Denkmal für die ermordeten Sinti* und Roma* wegen des Baus einer S-Bahn zur | |
Disposition stellt, als wäre es eine Brache, die selbstverständlich bebaut | |
werden kann“, sagte er der taz. | |
Im Mai war bekannt geworden, dass die Bahn für den Bau der S-21-Bahntrasse | |
das Denkmal für die im NS ermordeten Sinti und Roma im Tiergarten verlegen | |
lassen will. Erst nach Protesten zeigte man sich zu Gesprächen über | |
Alternativrouten bereit, das Thema ist noch nicht vom Tisch. | |
Von der Landespolitik fordert Bytyci, sich bei der Bahn für den Erhalt des | |
Denkmals einzusetzen. Auch müsse Berlin seine „unmenschliche | |
Abschiebepolitik“ – derzeit vor allem nach Moldawien – beenden. „Vor al… | |
Roma haben dort keine Chance auf ein menschenwürdiges Leben, flüchten vor | |
der kumulativen Diskriminierung nach Deutschland – wo dann ihre | |
Menschenrechte weiter missachtet werden.“ | |
## Migrantisierte Orte | |
Konkrete Forderungen für die Landespolitik hat auch das Bündnis | |
Hanau-Gedenken. Malik von Migrantifa nennt als Erstes die Abschaffung der | |
sogenannten gefährlichen – kriminalitätbelasteten – Orte mit ihren | |
Sonderbefugnissen für die Polizei. „Wenn migrantisierte Orte wie zum | |
Beispiel das Kottbusser Tor so markiert und genutzt werden, um anlasslose | |
Kontrollen durchzuführen, zeigt sich der strukturelle Rassismus, etwa in | |
Form von Racial Profiling.“ | |
Zudem fordert die Gruppe die Abschaffung von hochgerüsteten Polizeirazzien, | |
insbesondere in Neuköllner Geschäften wie etwa Shishabars. Damit würden | |
„migrantisierte Menschen“ polizeilich unter Generalverdacht gestellt. „Das | |
hat auch gesamtgesellschaftliche Auswirkungen – die Mehrheitsgesellschaft | |
denkt, Migrant:innen seien kriminell oder gefährdeten den Status quo.“ | |
19 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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