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# taz.de -- TV-Kritik „ rbb-Bürgertalk“ vom Dienstag: Unter Generalverdacht
> Im „rbb-Bürgertalk“ wurde Dienstagabend live über „Clan-Kriminalität…
> diskutiert. „Scheitert der Rechtsstaat?“, lautete die Frage. Eine
> Rezension.
Bild: Großeinsatz im März 2019: Polizisten gehen in eine Shisha-Bar in Neukö…
Berlin taz | Der rbb legt bekanntlich gern mal den Finger in die Wunde und
wird im Auftrag seiner Zuschauer:innen aktiv. Mal fährt kein Bus in
einem entlegenen Kiez, mal brettern Lkws durch eine ruhige Straße, dann
wieder versandet ein See in der Nachbarschaft.
Und dann ist da noch die sogenannte „Clan-Kriminalität“. „Wir müssen re…
heißt der [1][rbb-Bürgertalk], der jeweils live und derzeit coronabedingt
ohne Publikum über die Bühne geht und sich am Dienstagabend (16. Februar)
diesem umstrittenen und komplexen Thema widmete. Die Sendung ist in der
[2][rbb-Mediathek] zu sehen.
„Wie hilflos ist der Rechtsstaat gegenüber den kriminellen Clans?“ – Fra…
wie diese sollten diskutiert werden. Oder: „Wie sehr leidet das Vertrauen
der Bürger in den Rechtsstaat?“ Aber auch: „Werden arabischstämmige
Mitbürger beim Kampf gegen Clan-Kriminalität pauschal diskriminiert?“
Eingeladen waren Canan Bayram (Bündnis90/Grüne) und Ahmed Abed (Die Linke)
auf der einen, und Burkard Dregger (CDU) sowie Olaf Sundermeyer,
rbb-Journalist und „Clan-Experte“ (so steht es in der Pressemitteilung),
auf der anderen Seite. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen, ist doch schon
nach der Eröffnungsrunde klar, dass die Redaktion Wert darauf legte, die
Runde kontrovers zu besetzen. Die Diskussion wird mit den üblichen Bildern
eröffnet, es sind etwa Polizisten bei einer Razzia in einer Shisha-Bar zu
sehen.
Was gleich in der ersten Frage-Antwort-Runde auffällt: Während Moderator
Andreas Rausch permanent von Clan-Kriminalität spricht, verwenden die Gäste
den Begriff der „Organisierten Kriminalität“ – kurz: OK –, auch CDU-Ma…
Dregger. Es entspinnt sich zunächst eine Diskussion darum. „Clan“ sei
einfach ein anderes Wort für Großfamilie, sagt etwa Sundermeyer. Bayram
macht deutlich, dass man nicht „alle Menschen mit bestimmten Merkmalen über
einen Kamm scheren“ dürfe, es mit solchen Begriffen aber tue.
## Generalverdacht und Rassismuskeule
Der Moderator wirft an der Stelle das Wort „Generalverdacht“ in die Runde
und Ahmed Abed ist an der Reihe. Der Rechtsanwalt lebt in Neukölln, kennt
die Sonnenallee gut und sagt, dass es dort nicht so zugehe wie im Fernsehen
gezeigt, wenn es sich um Clan-Kriminalität dreht. „Ich erlebe das
Gegenteil“, berichtet er aus seiner Arbeit: Menschen, die Familiennamen aus
den der OK zugeordneten Großfamilien trügen, bekämen keinen Job, weil sie
in Sippenhaft genommen würden.
Dregger plädiert dafür, „die Realitäten wahrzunehmen“ und sagt, dass
niemand unter Generalverdacht stehe, es keine Sippenhaft gebe – aber eben
das Problem mit der OK doch groß sei. Und da würde es nichts nützen, immer
gleich mit der „Rassismuskeule zu drohen“. Und so geht das eine Weile hin
und her.
Und Schnitt: Nach dieser ersten Runde ist es Zeit für die Straftaten, die
der OK zugeschrieben (und auch teils schon nachgewiesen) wurden: Einbrüche
im KaDeWe, im Grünen Gewölbe, im Bode-Museum. Der Staat wäre weitgehend
machtlos, heißt es aus dem Off. Dazu werden erstaunliche Zahlen
präsentiert, von wegen der Staat ist machtlos: Im letzten Jahr gab es
angeblich 227 Polizeieinsätze gegen die OK, es wurden 77 Häuser und
Wohnungen sowie 76 Luxusautos beschlagnahmt. Der OK den Geldhahn
zuzudrehen, wäre das „wirksamste Mittel“ sagt Sundermeyer, „ein scharfes
Schwert“ – und: „Damit ist Berlin Vorreiter.“
## Bürger:innen haben das Wort
Nach den ersten 20 Minuten bekommen die Bürger:innen das Wort. Weil die
nicht live vor Ort ihre Fragen loswerden können, werden Kommentare von
Social-Media-Plattformen des Senders vorgetragen, die meisten wie üblich
nur mit Vornamen oder anonym. Die kurzen Statements reichen erwartbar von
„Sofortige Heimreise der ganzen Familie“ über „Machtkampf Staat gegen OK…
bis hin zu „Lupenrein rassistisch“ und „Wieso arabischstämmig? Das sind
alles Deutsche!“.
Damit wäre fast alles gesagt. Die Frage-Antwort-Runden bewegen sich
zwischen diesen erwartbaren Polen. Man könnte sagen, dass das Ganze
erstaunlich ausgewogen daherkommt, was an der Besetzung, an der kritischen
Besonnenheit von Bayram und dem – sagen wir mal – moderaten
Großstadtkonservatismus von Dregger liegen mag. Bekannte Positionen werden
ausgetauscht, manchmal kommen sich die politischen Gegner erstaunlich nahe
(bei der sozialen Komponente) – oft liegen sie aber weit auseinander (bei
der Wahl der staatlichen Mittel).
Die TV-Zuschauer:innen indes dürfen zweimal über eine Frage abstimmen.
Einmal wird erhoben, ob die Clan-Kriminalität Angst mache. Das bejahen 93
Prozent – nur 7 Prozent verneinen es. Die zweite Frage dreht sich darum, ob
man nicht die Strafmündigkeit auf 12 Jahre absenken sollte, um OK besser zu
bekämpfen. Nur 16 Prozent würden das nicht angemessen finden – 84 Prozent
der TV-Zuschauer:innen aber schon. 84 Prozent! Gute Frage: Wer schaut so
einer Sendung eigentlich zu?
## „Rund 46.000 Arbeitsstunden“
Der Sender weist darauf hin, dass das „kein repräsentatives Ergebnis ist“,
es hätten rund 3.000 TV-Zuschauer:innen mitgemacht. Und doch geht mit der
hohen Zugstimmungsrate ein zusätzlicher Gast hausieren, es ist Ralf Knispel
von der Vereinigung Berliner Staatsanwälte, der sie als Beleg für die
Dringlichkeit des Problems nimmt. Der Rechtsstaat wäre „nicht mehr
funktionstüchtig“, sagt Knispel unter anderem. Und auch, dass „Strafen
bestimmte Leute nicht erreichen“. Er sagt lauter solcher Sachen, steht aber
abseits der vier Diskutanten und wird ganz allein befragt von der zweiten
Moderatorin im Studio, Britta Nothnagel. Diese Vorgehensweise ist
fragwürdig und nicht schlüssig, warum bindet man den Mann nicht gleich
richtig in die Runde ein?
Am besonnensten wirkt in der Runde Ahmed Abed. Er überrascht zweimal: Erst
rechnet er beim Stichwort „soziale Maßnahmen“ vor, was die 227
Polizeieinsätze gegen die OK wohl gekostet haben: Die „rund 46.000
Arbeitsstunden“ der Polizei bei Razzien etc. würden „rund 2,3 Millionen
Euro kosten“, während soziokulturelle Projekte in Neukölln um ihre Budgets
kämpften.
Und dann, ganz unvermittelt, aber bezugnehmend auf die vorher angemahnte
angebliche große Gefährdung der Berliner:innen durch die OK, erinnert
er an die Gefahr, der Menschen wie er selbst durch die
Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt sind – und nennt alle Namen der Opfer des
Anschlags in Hanau vor einem Jahr. Niemand wagt ihn zu unterbrechen – ein
höchst empathischer, authentischer Live-Moment, dem der Moderator nach ein
paar Sekunden Stille recht hilflos begegnet: „Das lassen wir mal stehen.“
17 Feb 2021
## LINKS
[1] https://www.rbb-online.de/wirmuessenreden/
[2] https://www.rbb-online.de/fernsehen/videos/
## AUTOREN
Andreas Hergeth
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