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# taz.de -- Welthandelsorganisation in der Krise: Neuer Anlauf für die WTO
> Die Welthandelsorganisation steckt in einer grundlegenden Krise. Darin
> steckt auch die Chance für Ngozi Okonjo-Iweala, die neue WTO-Chefin.
Bild: WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala aus Nigeria
Genf taz | In der schwierigsten Phase seit ihrer Gründung im Jahr 1995
übernimmt erstmals eine Frau das Ruder der Welthandelsorganisation (WTO).
Am Montag kürte der Allgemeine Rat der ständigen BotschafterInnen aller 164
Mitgliedstaaten die nigerianerische Entwicklungökonomin [1][Ngozi
Okonjo-Iweala] zur neuen Generaldirektorin. Die ehemalige Vizepräsidentin
der Weltbank und vormalige Finanz- und Außenministerin ihres Landes wird
Nachfolgerin des Brasilianers Roberto Azevêdo.
[2][Azevêdo war im Mai 2020 vorzeitig zurückgetreten] – aus Frust über die
anhaltende Blockade der WTO: Seit mehr als 20 Jahren haben sich die
Mitgliedsstaaten nicht mehr auf ein Handelsabkommen einigen können. Seit
2018 sabotieren die USA mit den Streitschlichtungsmechanismen auch die
zweite Kernfunktion der Organisation.
Bereits Anfang November hatten sich 163 der 164 WTO-Mitglieder nach einem
Auswahlverfahren unter acht Bewerberinnen auf Okonjo-Iweala geeinigt.
Lediglich die Trump-Administration in Washington blockierte den
erforderlichen Konsens und hielt an der südkoreanischen Kandidatin Yoo
Myung Hee fest. Erst als diese Anfang Februar ihren Rückzug erklärte,
machte die neue US-Regierung unter Joe Biden den Weg frei für
Okonjo-Iweala.
In der Genfer WTO-Zentrale hofft man jetzt, dass Washington auch bald dafür
sorgt, dass die Schlichtungsverfahren bei Handelsstreitigkeiten wieder
durchgeführt werden können. Seit 1995 hatten die Mitgliedsstaaten bereits
mehr als 600-mal auf den Mechanismus zurückgegriffen. Unter anderem warfen
sich die USA und die EU gegenseitig vor, WTO-Handelsverträge durch
verbotene staatliche Subventionen für die Flugzeughersteller Boeing und
Airbus zu verletzen.
## Streit um Patente für Corona-Impfstoffe
Ein WTO-Streitbeilegungsverfahren beginnt mit bilateralen Konsultationen,
die im Idealfall zu einer einvernehmlichen Lösung führen. Scheitern diese,
werden auf Antrag der beschwerdeführenden Partei unabhängige
Streitschlichtungsgremien, sogenannte Panels, eingesetzt. Ein Panel kann
Empfehlungen aussprechen, etwa dass wirtschaftliche Nachteile, die ein
klagender Staat durch Verstöße eines anderen Landes gegen bestehende
Verträge erlitten hat, mit Geldzahlungen kompensiert werden. Legt eine
Partei Rechtsmittel ein, geht das Verfahren an eine Berufungsinstanz.
In dieser sitzen sieben RichterInnen, die für jeweils vier Jahre gewählt
sind. Kommt die unterlegene Partei den Empfehlungen der
Streitschlichtungsgremien nicht nach, kann das Streitbeilegungsgremium die
obsiegende Partei zu Handelssanktionen autorisieren. In einer ihrer
letzten Entscheidungen 2019 erlaubte die Berufungskammer den USA im Streit
über Subventionen für Airbus Handelssanktionen gegen die EU.
Insgesamt haben die USA allein über 80 der 600 Streitschlichtungsverfahren
angestrengt und in der Mehrzahl gewonnen. Dennoch behauptete bereits die
Obama-Administration, die USA würden in den Verfahren unfair behandelt.
Unter Trump blockierten die USA ab 2018 die Neubesetzung frei werdender
Stellen für die RichterInnen der Berufungskammer, bis im Dezember 2019 nur
noch ein amtierender Richter übrig blieb. Seitdem ist die Kammer
handlungsunfähig.
## Antrag Indiens und Südafrikas wegen Corona
Derzeit gibt es allerdings noch aktuellere Probleme: Am 16. März soll der
WTO-Rat nach bislang fünf ergebnislosen Verhandlungsrunden endlich über den
bereits seit Anfang Oktober vorliegenden Antrag Indiens und Südafrikas
entscheiden, [3][Patente der großen Pharmakonzerne auszusetzen], um eine
dem weltweiten Bedarf gerechte Produktion und Verteilung von
Corona-Impfstoffen zu ermöglichen.
Dieser Antrag wird von weit über 100 WTO-Mitgliedstaaten unterstützt,
bislang aber von den Ländern, in denen die weltgrößten Pharmakonzerne
sitzen – USA, Deutschland, Frankreich, Schweiz, Japan, Großbritannien –,
und auch von der EU-Kommission blockiert.
In ihren Bewerbungsreden hatte Okonjo-Iweala erklärt: „Es muss einen
gleichen Zugang zu Medizin geben und die WTO könnte Teil der Lösung sein.“
Sollte sie diese Lösung tatsächlich herbeiführen, würde sie schon in ihrem
ersten Amtsjahr zur erfolgreichsten Generaldirektorin der WTO-Geschichte.
16 Feb 2021
## LINKS
[1] http://xn--Wunderwaffe%20und%20Hoffnungstrgerin-czc
[2] http://Der%20Frust%20des%20Generaldirektors
[3] /Eigentumsrechte-auf-Coronatechnologien/!5721337
## AUTOREN
Andreas Zumach
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