| # taz.de -- Chef der WTO tritt zurück: Der Frust des Generaldirektors | |
| > Roberto Azevêdo, Chef der seit Jahren blockierten | |
| > Welthandelsorganisation, gibt seinen Posten auf. Das ist nur wenig | |
| > überraschend. | |
| Bild: Roberto Azevêdo, Generalsekretär der WTO, will nicht mehr | |
| Genf taz | Der Generaldirektor der [1][Welthandelsorganisation (WTO)], | |
| Roberto Azevêdo, gibt seinen Posten zum 31. August auf – ein Jahr vor dem | |
| regulären Ende seiner zweiten vierjährigen Amtszeit. Der 62-Jährige | |
| erklärte am Donnerstagabend vor den Botschafter*innen der 164 | |
| WTO-Mitgliedstaaten, er habe seine Rücktrittsentscheidung „aus persönlichen | |
| und familären Gründen getroffen“. Doch diese Erklärung verdeckt kaum die | |
| tiefe Frustration Azevêdos über die inzwischen vollständige [2][Blockade | |
| der WTO], für die aber weniger er als Generaldirektor, sondern vielmehr die | |
| Mitgliedstaaten verantwortlich sind. | |
| Für Beobachter*innen des WTO-Geschehens kommt der Rücktritt daher | |
| keineswegs überraschend. Manche fragten sich schon 2013, warum der bis | |
| dahin als WTO-Botschafter Brasiliens tätige Handelsdiplomat den Posten des | |
| Generaldirektors überhaupt übernommen hatte. Denn schon damals war die WTO | |
| in einer ihrer beiden zentralen Aufgaben, der Aushandlung neuer | |
| Handelsabkommen, völlig blockiert. | |
| Und das bereits seit 14 Jahren, seit der Konferenz der Handels-und | |
| Wirtschaftsminister*innen der Mitgliedstaaten im Dezember 1999 in | |
| [3][Seattle], die wegen massiver Proteste von Globalisierungskritiker*innen | |
| vorzeitig und ergebnislos abgebrochen werden musste. In den fünf Jahren | |
| zuvor seit der WTO-Gründungskonferenz 1994 in Marrakesch hatten die vier | |
| damals global führenden Wirtschaftsmächte USA, EU, Japan und Kanada noch | |
| zahlreiche Abkommen durchsetzen können zur „„Liberalisierung“ des | |
| internationalen Handels mit Waren und Dienstleistungen. | |
| Lange hat die WTO der Globalisierung den Weg geebnet. Die Reduzierung von | |
| Zöllen und anderen Handelshemmnissen, die Erleichterung und der Schutz von | |
| Auslandsinvestitionen, die Deregulierung und Privatisierung staatlicher | |
| oder öffentlicher Wirtschaftsbereiche – all das gelang. Wenn immer sich die | |
| vier führenden Wirtschaftsmächte in ihren Zielen zur Öffnung der Märkte in | |
| den Ländern des Südens einig waren, konnten sie diese Ziele innerhalb der | |
| WTO durchsetzen – und das bei gleichtzeitig fortgesetzter Abschottung etwa | |
| der eigenen Agrarmärkte. | |
| ## Übermacht der vier | |
| Die wirtschaftlich schwachen afrikanischen oder asiatischen | |
| WTO-Mitgliedsländer hatten der Übermacht der vier nichts entgegenzusetzen. | |
| Der zeitweise Widerstand aufstrebender Schwellenländer wie Indien oder | |
| Südafrika – zum Beispiel gegen Regeln zum Schutz der Patente von | |
| Pharmakonzernen aus den USA und Europa – wurde mit massivem politischen | |
| Druck und wirtschaftlichen Sanktionsdrohungen gebrochen. | |
| Doch nach dem Beitritt Chinas im Jahr 2000 war das nicht mehr möglich. | |
| Gemeinsam mit Indien, Brasilien, Südafrika, Südkorea und zehn weiteren | |
| „Schwellenländern“ verhindert China seitdem, dass die USA, EU, Japan und | |
| Kanada ihre Forderungen nach neuen WTO-Abkommen etwa zur weiteren | |
| Deregulierung der Dienstleistungsmärkte durchsetzen können. | |
| Daher hat die Handelsrunde, die 2001 von der Ministerkonferenz in Doha | |
| ausgerufen wurden, bis heute außer Vereinbarungen zum Abbau von Bürokratie | |
| bei der Zollabfertigung keine neuen Abkommen erbracht. | |
| Seit Ende 2019 ist die WTO auch in ihrer zweiten Kernfunktion blockiert: | |
| Das zweistufige Verfahren zur Streitschlichtung zwischen den | |
| Mitgliedsländern funktioniert nicht mehr, weil die USA die Ernennung neuer | |
| Richter*innen für die Streitschlichtungspanels verhindern. Die | |
| Trump-Regierung rechtfertigt diese Blockade mit der bislang durch nichts | |
| belegten Behauptung, die Anfang der 90er Jahre maßgeblich auf Betreiben der | |
| USA gegründete WTO würde die USA benachteiligen. | |
| ## Für Währungsmanipulationen ist der IWF zuständig | |
| Zugleich sei die WTO untätig gegenüber unfairen Handelspraktiken Chinas. | |
| Für Währungsmanipulationen, die Peking nicht nur von den USA, sondern auch | |
| in der EU vorgeworfen werden, hat die WTO jedoch keine Zuständigkeit. Diese | |
| liegt beim Internationalen Währungsfonds. Mit Blick auf chinesische | |
| Industriespionage und die Missachtung von Patentschutzbestimmungen hat | |
| Washington den WTO-Schiedsgerichten bislang weniger konkrete Beschwerden | |
| und Klagen vorgelegt, als die ständigen lautstarken Vorwürfe Trumps | |
| vermuten ließen. | |
| Und da die WTO-Schiedsgerichte durch Washington blockiert sind, können sie | |
| über die vorliegenden Klagen nicht beraten und entscheiden. Dasselbe gilt | |
| für Klagen über die unzureichende Öffnung Chinas für ausländische | |
| Unternehmen und Investitionen sowie über „marktverzerrende Subventionen“ | |
| der chinesischen Regierung an inländische Unternehmen. Letzterer Vorwurf | |
| wird zudem auch gegenüber den USA und der EU erhoben – zu Recht, wie die | |
| jüngsten Entscheidungen der WTO-Streitschlichtungspanels zu den staatlichen | |
| Subventionen für die Flugzeughersteller Boing und Airbus gezeigt haben. | |
| Zusätzlich zu der durch die konträren Interessen der Mitgliedstaten | |
| bedingten Blockade der WTO dürfte auch die Aussicht auf eine in den | |
| nächsten Monaten und Jahren durch die Coronakrise massiv geschwächte | |
| Weltwirtschaft Azevêdo den vorzeitigen Rücktritt erleichtert haben. | |
| Nach seinem Rücktritt laut gewordene Forderungen, nach Azevêdo dürfe der | |
| künftige WTO-Chef – oder die Chefin – nicht wieder ein Diplomat sein, | |
| sondern eine Person mit hochrangiger Regierungserfahrung, gehen jedoch am | |
| Problem vorbei. Die drei Vorgänger Azevêdos auf dem WTO-Chefposten in den | |
| jetzt 21 Jahren der Blockade der Organisation – der Franzose Pascal Lamy | |
| (2005–2013), der Thailänder Supachai Panitchpakdi (2002–2005) und der | |
| Neuseeländer Mike Moore (1999–2002) – bekleideten zuvor allesamt viele | |
| Jahre lang hochrangige Regierungs- und Exekutivposten in der Regierung | |
| ihres Landes oder der EU-Kommission. | |
| 15 May 2020 | |
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| Andreas Zumach | |
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