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# taz.de -- Wirtschaftshistoriker über Coronafolgen: „Die Konsumwelt wird fl…
> Werden unsere Gewohnheiten durch die Pandemie nachhaltiger? Frank
> Trentmann bezweifelt das, sieht aber auch positive
> Entwicklungsmöglichkeiten.
Bild: Schweriner Einkaufsstraße im Januar: Wie sich die Innenstädte nach Coro…
taz: Herr Trentmann, seit einem Vierteljahr sind die Geschäfte dicht. Diese
Pandemie wird sicherlich Spuren hinterlassen. Wie wird sich unser
Konsumverhalten verändern, [1][wird es womöglich sogar nachhaltiger]?
Frank Trentmann: Nur weil wir mehr zu Hause sind, heißt das [2][nicht, dass
wir deswegen nicht mehr konsumieren]. Der Umsatz von Spielekonsolen,
Laptops und Geräten fürs Home-Entertainment und fürs Kochen ist in die Höhe
geschossen. Und diese Art des Konsums ist alles andere als nachhaltig. Die
riesigen Server, auf die die Nutzer beim Digital Consuming zugreifen, haben
einen enormen Energieverbrauch. Was die Pandemie sicherlich beschleunigt
hat: die Hinwendung zum Onlineshopping.
Diese Entwicklung gab es vorher doch auch schon.
Das ist richtig. Doch im europäischen Vergleich hinkte Deutschland
hinterher. In anderen europäischen Ländern haben die Menschen schon vor der
Pandemie online auch Lebensmittel bestellt. Das machten nur wenige
Deutsche. Ein Grund ist sicherlich, dass die Kultur der Risikovermeidung in
Deutschland sehr ausgeprägt ist. Die Angst, dass einem im Netz sofort alle
persönlichen Daten gestohlen werden und man Betrügern ausgesetzt ist, ist
in Deutschland besonders verbreitet. Damit verbunden ist das gesamte
Geldwesen. Wenn Deutsche an Geld denken, fallen ihnen Scheine und Münzen
ein. Damit sind sie vertraut.
Das dürfte sich nun geändert haben. Online lässt sich schließlich nicht mit
Bargeld bezahlen.
Ja, wenn es nun im Lockdown nur die Möglichkeit gibt, entweder online oder
gar nicht shoppen, lassen sich viele darauf ein. So groß ist die Konsumlust
dann doch. Und wenn ich auf den einschlägigen Handelsplattformen erst
einmal ein Konto eingerichtet und verstanden habe, wie das funktioniert,
ist auch das Misstrauen weg. Die Hemmungen und technischen Hürden beim
nächsten Mal sind sehr viel geringer.
Diese Entwicklung dürfte auf Kosten der Innenstädte gehen.
Einige Wirtschaftsexperten meinen zwar, nach der Pandemie werde es in den
Innenstädten wieder so aussehen wie vor der Krise. Ich bezweifle das. Laut
Umfragen geht ein Drittel der Arbeitgeber davon aus, dass eine Mehrzahl der
Arbeitnehmer, die jetzt im Homeoffice ist, auch nach der Pandemie im
Homeoffice bleiben werden. Die Innenstädte bekommen damit einen doppelten
Kinnhaken versetzt. Wenn die Büros in den Innenstädten halb leer sind,
heißt das auch, dass Restaurants, Bars und Cafés in den Innenstädten halb
leer sein werden. Ganz klar: Verlierer der Pandemie sind die
Kettengeschäfte in den Innenstädten und Einkaufszentren.
Und das schon häufig vorausgesagte Ende der Warenhäuser wird nun auch real?
Die großen Warenhäuser haben fast jedes Jahrzehnt Krisen erlebt. Mit einem
„Weiter wie bisher“ werden sie sicherlich nicht überleben. Sie müssen sich
neu inszenieren und neue Attraktionen entwickeln. Für unmöglich halte ich
das aber nicht.
Ist es nicht traurig, wenn die Innenstädte veröden?
Historisch gesehen ist es keineswegs so, dass die Innenstädte immer voller
Kettengeschäfte waren. Es gab ständig ein Auf und Ab. Diese Ketten
dominierten ja nur deswegen, weil in den Innenstädten die Mieten so hoch
waren. Kleine Geschäfte konnten sich nicht halten, außer wenn sie wie in
einigen Nachbarländern durch Regulationen geschützt waren. Wenn jetzt die
Mieten fallen, eröffnet das kleinem Gewerbe neue Möglichkeiten. Womöglich
werden die Innenstädte sogar wieder vielseitiger. Ein Teil des Konsums wird
sich lokalisieren. Auch das finde ich keine schlechte Entwicklung. Statt
der großen Kaufhäuser und den vielen Kettengeschäften in den Innenstädten
werden die Betreiber kleine Filialen in den Nachbarschaften schaffen. Als
Konsument muss ich dann nicht mehr in die Innenstadt fahren, um das neue
Sakko anzuprobieren. Ich kann das künftig in der Filiale ganz in meiner
Nähe tun. Das dürfte auch den Innenstadtverkehr entlasten.
Das meiste wird aber in den Onlinehandel abwandern.
Schon als der Onlinehandel vor zehn Jahren massentauglich wurde, gab es
Schwarzmaler, die meinten, das Ende des stationären Handels stehe
unmittelbar bevor. Das ist so nicht passiert. Bei der Wahl eines neuen
Sofas will ich Probe sitzen. Bestimmte Dinge wollen die Leute auch weiter
anfassen können. Ich glaube daher nicht, dass Geschäfte komplett
verschwinden werden. Die Konsumwelt wird flexibler. Hier in Großbritannien
gibt es schon seit Jahren Versuche der Symbiose aus On- und Offlinekonsum.
Amazon hat bereits vor acht Jahren in U-Bahn-Stationen Abholstationen
eröffnet. Seitdem haben sich solche Hybridformate mehr und mehr etabliert.
Die Leute bestellen sich einen Pullover online, können ihn dann in einem
dieser Geschäfte anprobieren, bevor sie die Ware mitnehmen.
Vor dem Virusausbruch gab es einen Trend in die Innenstädte. Während der
Pandemie wollten alle raus aus der Stadt. Wohin geht der Trend nach Corona?
Vieles wird davon abhängen, ob die jeweilige Stadt und Kommune die Pandemie
als Chance zum Wandel begreift. Einige Städte sind bereits sehr innovativ.
Paris etwa hat die Pandemie genutzt, den Verkehr weiter deutlich zu
reduzieren und mehr stille Zonen im Zentrum zu schaffen. Mailand setzt auf
Dezentralisierung und will das Kulturleben in den Vororten und
Nachbarschaften stärken. Einige Stadtforscher meinen: völlig illusorisch.
Als Historiker weise ich dann darauf hin, dass das Unterhaltungsgewerbe
einst auch mobil und lokal ausgerichtet war. Kinos waren in den ersten
Jahren keine großen Paläste, sondern ihre Betreiber zogen wie der Zirkus
von Nachbarschaft zu Nachbarschaft und stellten auf Plätzen und selbst in
Schwimmbädern ihre Leinwände auf.
Und wenn von den Kommunen wenig kommt?
Dann könnte es tatsächlich eine verstärkte Flucht in die Vororte geben und
damit einhergehend eine Verödung der Städte. In der Pandemie haben die
Kultureinrichtungen mit am meisten gelitten. Wenn sie nicht unterstützt
werden und sie eingehen, werden viele Leute immer weniger Gründe haben,
noch im Zentrum zu leben. Sie ziehen in die Vororte. Unterhaltung findet
dann wiederum nur noch im Internet statt. Es droht eine kulturelle
Verödung.
Der größte Einschnitt im zurückliegenden Jahr war für viele Deutsche der
Verzicht auf Reisen. Wird die Pandemie auch das Reiseverhalten nachhaltig
verändert haben?
Die Leute werden auch weiterhin reisen wollen. Welche Art von Reisen, das
wird sich verändern. Ich denke, es wird einen massiven Rückgang von
Kurzreisen geben. Kurz übers Wochenende nach Barcelona oder für eine
Vernissage nach Venedig, das werden sich viele zweimal überlegen.
Kurzreisen werden teurer und komplizierter.
Warum?
Vor der Pandemie war Airbnb sehr beliebt. Die Nachfrage dürfte rapide
zurückgehen. Denn wer will jetzt noch in einer Wohnung übernachten, in der
eine Nacht zuvor womöglich eine ganze Gruppe gefeiert und übernachtet hat?
Die Pandemie hat das Hygienebewusstsein geschärft. Die Leute werden wieder
Hotels bevorzugen oder auf etwas längere Reisen setzen. Aber das ist
teurer. [3][Ein weiterer Trend im Pandemiesommer war Camping]: Die
Nachfrage nach Wohnmobilen ist nach oben geschnellt. Jetzt besitzen viele
einen dicken Caravan, und werden den auch weiter nutzen.
1 Feb 2021
## LINKS
[1] /Onlineshopping-in-Coronakrise/!5733867
[2] /Hohe-Umsaetze-im-Einzelhandel/!5738125
[3] /Comeback-das-Campings/!5690263
## AUTOREN
Felix Lee
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