| # taz.de -- Der Staat und das Homeoffice: Kein Feierabend fürs Büro | |
| > Alle sollen ins Homeoffice – aber der größte Arbeitgeber des Landes | |
| > selbst kriegt es nicht hin. Es fehlen E-Akten, PCs und schnelles | |
| > Internet. | |
| Bild: Der Unterschied zum Homeoffice? Im Büro gibt es Akten, Computer – und … | |
| Fünf Tage die Woche sitzt Martin Holm (Name geändert) an seinem | |
| Schreibtisch in der Stadtverwaltung Stuttgart, auch jetzt, während des | |
| Lockdowns. „Mein Job ist mit keinerlei Kundenkontakt verbunden“, sagt der | |
| 30-Jährige. Theoretisch könnten er und seine Kolleg:innen alle Aufgaben | |
| von zu Hause erledigen. Und doch bleibt Homeoffice in seiner Abteilung die | |
| Ausnahme. | |
| Er würde „liebend gern“ ins Homeoffice wechseln, sagt Holm. Doch es | |
| fehlten Computer, und seinen privaten dürfe er nicht benutzen. Selbst die | |
| Kolleg:innen, die einen Computer für zu Hause gestellt bekommen hätten, | |
| müssten alle zwei Wochen für fünf Tage ins Büro. „Ich verstehe selbst | |
| nicht, warum“, so Holm. Alles in allem sei die Stadtverwaltung sehr | |
| rückständig. „Ich habe langsam das Gefühl, dass meine Vorgesetzten gar kein | |
| Homeoffice ermöglichen wollen.“ | |
| Das müssen sie aber künftig. Denn laut einer neuen Arbeitsschutzverordnung | |
| von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sind Arbeitgeber:innen | |
| dazu verpflichtet, Homeoffice anzubieten – jedenfalls überall dort, wo es | |
| möglich ist. Darauf haben sich Bund und Länder in dieser Woche beim | |
| Coronagipfel geeinigt. | |
| Homeoffice ist als eine der effektivsten Maßnahmen zur Eindämmung des | |
| Infektionsgeschehens. Das zeigt sich nicht nur in Frankreich und Belgien, | |
| wo seit Mitte Oktober eine Homeoffice-Pflicht gilt und die | |
| Infektionszahlen mittlerweile stark gesunken sind. Das belegt auch eine | |
| Studie der Uni Mannheim von Dezember. Die Forscher:innen untersuchten, | |
| wie sich die Infektionszahlen in allen 401 Stadt- und Landkreisen zwischen | |
| Januar und Mai entwickelten und inwieweit diese Entwicklung mit der | |
| jeweiligen Homeoffice-Quote in Zusammenhang steht. | |
| Das Ergebnis: Regionen mit vielen Homeoffice-Arbeitsplätzen wiesen weniger | |
| Infektionen auf. Bereits „ein Prozentpunkt mehr Beschäftigte im Homeoffice | |
| kann die Infektionsrate um 4 bis zu 8 Prozent verringern“, heißt es in der | |
| Studie. „Um die jetzige Infektionsrate zu halbieren, müssten so viele | |
| Menschen ins Homeoffice wie im Frühjahr“, sagt der Studienautor und Ökonom | |
| Harald Fadinger der taz. Laut einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung waren | |
| das 27 Prozent. Im November hingegen arbeiteten nur 14 Prozent von zu | |
| Hause. | |
| ## Der Staat ist kein Vorbild | |
| Nirgendwo ist Homeoffice so machbar wie in Bürojobs, und davon gibt es für | |
| die rund 4,9 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst eine Menge. | |
| Doch ausgerechnet der Staat als größter Arbeitgeber ist hier kein Vorbild: | |
| In vielen Verwaltungen ist Homeoffice noch immer nicht die Regel. Die | |
| Berliner Verwaltung etwa war laut rbb24 noch vor zwei Wochen nur zu 12 | |
| Prozent homeofficefähig, durch die Lieferung von Notebooks ist ein Ausbau | |
| auf 17 Prozent geplant. | |
| Den anderen etwas vorschreiben, aber selbst hinterherhinken? „Die Politik | |
| hat hier ein Glaubwürdigkeitsproblem“, sagt Gerhard Hammerschmid, Professor | |
| für Public Management an der Berliner Hertie School. Er ist überzeugt: „Die | |
| Mehrheit in den Behörden arbeitet auch jetzt nicht im Homeoffice.“ | |
| Wie viele es genau sind – die Frage bleibt unbeantwortet. Die öffentliche | |
| Verwaltung ist wie ein Krake mit sehr vielen Armen: Bundesebene, | |
| Landesebene, kommunale Ebene. „Und sie ist leider zu oft eine Blackbox“, | |
| sagt Hammerschmid, der seit Jahren über das Thema Verwaltungsmanagement und | |
| Digitalisierung in Behörden forscht, „wir kriegen kaum valide Daten.“ Es | |
| fehle an einheitlichen Berichtsstandards und an Transparenz. Der generell | |
| schwierige Zugang zu Verwaltungsdaten mache empirische Forschung zur | |
| Herausforderung. | |
| Einen seltenen Einblick gibt die im Dezember veröffentlichte Studie | |
| „Verwaltung in Krisenzeiten“, in der rund 4.800 Mitarbeiter:innen | |
| Auskunft über die Auswirkungen der Coronapandemie auf den öffentlichen | |
| Dienst geben. Durchgeführt wurde sie im Sommer von der Beratungsagentur | |
| Next:Public, Hammerschmid war als wissenschaftlicher Partner beteiligt. | |
| Zwar arbeitete laut der Studie rund die Hälfte der Befragten in der ersten | |
| Coronaphase mehrheitlich im Homeoffice. Gerade mal ein Drittel der | |
| Befragten gab aber an, komplett im Homeoffice zu arbeiten. Jede:r Vierte | |
| musste weiterhin jeden Arbeitstag ins Büro, auf Kommunalebene waren es | |
| sogar 42 Prozent. | |
| ## Kein Chat, keine Videokonferenz | |
| Auch im Homeoffice selbst gab es Komplikationen: Jede:r Zweite hatte | |
| Probleme mit der technischen Ausstattung, zwei Drittel mussten auf private | |
| Technik zurückgreifen. Ebenfalls zwei Drittel der Befragten kämpften mit | |
| Server- und Netzproblemen. Nur jede:r Dritte gab an, schon einmal per Chat | |
| oder Videokonferenz mit den Kolleg:innen kommuniziert zu haben. | |
| Die Ergebnisse der Befragung seien eher noch zu positiv, schätzt | |
| Hammerschmid. Weil es sich um eine Onlinebefragung handelte, hätten | |
| vermutlich eher die teilgenommen, die ohnehin schon aufgeschlossener für | |
| digitale Arbeitsprozessen seien. | |
| Mitten im zweiten Lockdown scheint sich jedenfalls nicht viel geändert zu | |
| haben. Während es in bundeseigenen Behörden mit dem Homeoffice ganz gut | |
| klappt – im Wirtschaftsministerium arbeiten 80 Prozent von zu Hause aus, im | |
| Arbeits- sowie im Entwicklungsministerium nach eigenen Angaben über 80 | |
| Prozent –, gibt es in vielen Kommunalverwaltungen elf Monate nach | |
| Pandemiebeginn immer noch große Probleme. | |
| In der Kreisverwaltung Prignitz in Brandenburg etwa arbeitet nach Angaben | |
| eines Sprechers nur knapp ein Viertel der Beschäftigten mit Büroarbeit | |
| teilweise oder vollständig im Homeoffice. Der Mobilfunkempfang in der | |
| Region sei schlecht und das Internet langsam. Manche Mitarbeiter:innen | |
| hätten zu Hause auch keine Ruhe: „Wo drei Kinder rumwuseln, möchte niemand | |
| Homeoffice machen.“ Hinzu komme, dass Akten in vielen Bereichen noch nicht | |
| digitalisiert seien. Auch die Kreisverwaltung Vorpommern-Greifswald klagt | |
| über schlechte Internetverbindung. „Der Breitbandausbau in unserem Kreis | |
| ist längst nicht abgeschlossen“, sagt ein Sprecher. | |
| ## Ausgeschöpfte Ressourcen | |
| Im Thüringer Landratsamt Saalfeld-Rudolstadt hingegen hapert es besonders | |
| an der Technik. „Das größte Hindernis für die Ausweitung von Homeoffice ist | |
| der Mangel an Ausstattung mit mobilen Endgeräten“, so der Sprecher. Für die | |
| Anschaffung von weiteren Laptops stünden keine Haushaltsmittel zur | |
| Verfügung. Außerdem fehle es an IT-ler:innen, die die Geräte einrichten und | |
| betreuen. „Diese Ressourcen sind ausgeschöpft.“ Und: „Ein weiterer | |
| wichtiger Faktor ist die Akzeptanz des Homeoffice durch die Führungskräfte | |
| im Landratsamt.“ | |
| In der Stadtverwaltung Weißenfels in Sachsen-Anhalt laufe es mit dem | |
| Homeoffice grundsätzlich gut. „In manchen Fachbereichen kommen wir aber | |
| auch an Grenzen“, sagt eine Sprecherin. Die Angestellten im Hoch- und | |
| Tiefbau etwa könnten theoretisch von zu Hause aus arbeiten. „Dies würde | |
| jedoch bedeuten, sämtliche Akten zu einem Bauprojekt mit nach Hause zu | |
| nehmen. Kartenmaterial, Planungsunterlagen und Fördermittelbescheide liegen | |
| oft nur in Papierform vor“, sagt sie. | |
| Viele weitere Kreis- und Stadtverwaltungen schreiben der taz von | |
| Lieferengpässen bei Notebooks. Die Liste der Probleme ließe sich beliebig | |
| fortführen. | |
| Es sind die Versäumnisse von Jahren und Jahrzehnten, die sich hier | |
| summieren. Das sagen Vertreter:innen der Kommunen, und das bestätigt | |
| auch der Verwaltungsexperte Gerhard Hammerschmid. | |
| ## Digitale Akten nicht vor 2025 | |
| Da ist zum Beispiel das Thema E-Akte. Für den Bund wurde schon 2013 per | |
| Gesetz beschlossen, dass Akten in der öffentlichen Verwaltung bis 2020 nur | |
| noch elektronisch geführt werden sollen und entsprechend auch | |
| ortsunabhängig genutzt werden können. Für die Pandemiebekämpfung wäre das | |
| gutes Timing gewesen. Aber da die meisten Pilotprojekte nicht vor 2019 | |
| starteten, ist die E-Akte vielerorts noch ein Ding der Zukunft. Eine | |
| flächendeckende Umsetzung sei frühestens für 2025 zu erwarten, so | |
| Hammerschmid. | |
| Andere Länder sind da fast 20 Jahre voraus: In Österreich etwa wurde die | |
| Führung elektronischer Akten 2000 beschlossen und 2004 in der gesamten | |
| Bundesverwaltung umgesetzt. Eine Vielzahl von Städten und Gemeinden zog | |
| nach. | |
| Dass, anders als in Privatunternehmen, auch nicht mal eben Laptops für die | |
| Belegschaft eingekauft werden können, liegt an den für die Verwaltung | |
| typischen Beschaffungsprozessen, bei denen neben Budgetvorgaben auch | |
| komplexe Vergabeverfahren beachtet werden müssen. Und selbst wenn die | |
| Hardware da ist, auch das zeigen die Beispiele aus der Praxis, dann fehlt | |
| es nicht zuletzt an den Menschen, die die Technik einrichten. „Gute | |
| IT-Fachleute zu gewinnen ist zunehmend schwer für Behörden“, sagt | |
| Hammerschmid. In der freien Wirtschaft sind sowohl Arbeitsbedingungen als | |
| auch Bezahlung häufig deutlich attraktiver für die begehrten | |
| Spezialist:innen. | |
| Die größte Hürde aber, sagt Hammerschmid, sei die Präsenzkultur in den | |
| Behörden. „Das kann man schon als Präsenzfetisch bezeichnen.“ In der | |
| hierarchischen Arbeitswelt der Behörden werde Anwesenheit oft verlangt und | |
| honoriert. Oder wie es eine:r der Befragten von Hammerschmids Studie | |
| ausdrückt: „Als negativ und nicht wertschätzend empfinde ich die subjektive | |
| Unterstellung der Vorgesetzten, dass im Homeoffice qualitativ und | |
| quantitativ weniger gearbeitet wird.“ Laut der Befragung sind es gerade die | |
| Führungskräfte, die im Büro verharren. | |
| Digital ist seit Corona das neue Normal? Die Verwaltung sehe er da sehr | |
| kritisch, sagt Hammerschmid. „Es braucht mehr als ein Jahr Corona, um das | |
| Gewohnte zu brechen.“ Die Herausforderungen der Pandemie bewirkten zwar ein | |
| Beschleunigungsschub, aber erst mit der Verjüngung der | |
| Mitarbeiter:innen in den kommenden zehn Jahren werde sich auch in der | |
| Behördenkultur nachhaltig etwas ändern. | |
| In seiner neuen Sars-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung hat Arbeitsminister Heil | |
| jedenfalls auch den Behörden ein Schlupfloch gelassen: Arbeitgeber müssten | |
| demnach zwar aus Gründen des Infektionsschutzes allen | |
| Büroarbeiter:innen Homeoffice anbieten. Aber nur, „wenn keine | |
| zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen“. | |
| 22 Jan 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Rieke Wiemann | |
| Manuela Heim | |
| ## TAGS | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Büro | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Homeoffice | |
| Arbeit | |
| Digitalisierung | |
| Statistisches Bundesamt | |
| Homeoffice | |
| Homeoffice | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Die Wahrheit | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Mehr Rechte für Verbraucher:innen: Druckmittel für schnelles Netz | |
| Am 1. Dezember tritt das neue Telekommunikationsgesetz in Kraft. Ist der | |
| Internetanschluss zu langsam, können Nutzer:innen sich fortan besser | |
| wehren. | |
| Vorwürfe gegen Bundeswahlleiter: „Ein Klima der Angst“ | |
| MitarbeiterInnen erheben Mobbingvorwürfe gegen Bundeswahlleiter Thiel. | |
| Beschäftigte würden niedergemacht. | |
| Kritik an Homeoffice-Beschluss: Mit gutem Beispiel voran? | |
| Die Berliner Industrie- und Handelskammer fordert: Der Senat soll mit den | |
| Kontrollen beim Homeoffice bei der eigenen Verwaltung anfangen. | |
| Debatte um Homeoffice in Berlin: „Die Sanktionen sind zu niedrig“ | |
| Der Senat hätte mehr Homeoffice in Berlin durchsetzen können, meint Laura | |
| Dornheim (Grüne). Die Unternehmen kämen zu billig davon. | |
| Landesregierung gegen Alleingang: Kein Sonderweg beim Homeoffice | |
| Der Senat schließt sich der kritisierten Bundesregelung an. Ein eigenes | |
| strengeres Papier sah ein ausdrückliches Verbot von Büro-Bildschirmarbeit | |
| vor. | |
| Die These: Wir brauchen ein Recht auf Office | |
| Homeoffice darf nach der Pandemie nicht zur Regel werden. Denn es war eine | |
| soziale Errungenschaft, Wohnen und Arbeit zu trennen. | |
| Homeoffice für Bürotätigkeiten: Oft längst eingeführt | |
| Nach den neuen Coronaregeln müssen Arbeitgeber das Arbeiten zu Hause | |
| ermöglichen. Einige tun das sowieso schon, aber die Verbände wehren sich. | |
| Die Wahrheit: Homeoffice nur in der Freizeit | |
| Private Kontakte sind auch weiterhin verboten, menschliche Nähe gibt es im | |
| Büro. Die Wahrheit war zu Gast bei deutschen Chefs. |