| # taz.de -- Die Wahrheit: Kondome für den Klapperstorch | |
| > Aus der Geschichte einer Leugner-Familie. Zu Besuch bei dem Berliner | |
| > Großskeptiker Markus Schindler, der gerade schwer im Geschäft ist. | |
| Bild: Klimawandel über Berlin – da hilft nur Leugnen | |
| „Was Sie da schreiben, stimmt alles gar nicht“, poltert Markus Schindler | |
| los, bevor wir richtig guten Tag sagen können. Er wedelt ein paar bedruckte | |
| Blätter hin und her, die über und über mit handschriftlichen Notizen, | |
| Bemerkungen und Änderungen versehen sind. Er wirkt aufgebracht. | |
| Markus Schindler ist Klimawandelleugner. Wir hatten ihn vor zwei Wochen | |
| interviewt und ihm dann den fertigen Artikel geschickt. Er bat um einen | |
| zweiten Termin. Nun sind wir mit dem leicht korpulenten 49-jährigen | |
| studierten Juristen vor einem teuren Restaurant in Berlin-Charlottenburg | |
| verabredet, das lockdownbedingt geschlossen ist, seine Speisen aber to go | |
| anbietet. Schindler lässt sich von seinem fünfjährigen Sohn – für den er | |
| keine Betreuung gefunden hat – eine der ausliegenden Menükarten reichen. | |
| Seit acht Jahren ist er Klimawandelleugner. Davor hat er sich mit kleineren | |
| und größeren Leugnereien über Wasser gehalten. Aber das Thema Klimawandel | |
| ist groß, wahrscheinlich wird er bis zur Rente nichts anderes mehr zu | |
| leugnen brauchen. | |
| „Das ist doch blanker Unsinn“, sagt Schindler. „Ich bin kein Leugner. Ich | |
| bin Skeptiker. Ich akzeptiere, dass es so was wie ein Klima gibt. Der | |
| Mensch hat bloß keinen Einfluss darauf. In meiner Kindheit gab’s auch heiße | |
| Sommer. Was haben die Erwachsenen immer gejammert, wenn es mal nicht heiß | |
| war im Sommer. Dann hat 1975 Rudi Carrell sein Lied gesungen: ‚Wann wird’s | |
| mal wieder richtig Sommer?‘ Und – zack – der August 1975 war der heißeste | |
| seit Beginn der Zeitrechnung. Glauben Sie, Carrell konnte das Wetter | |
| beeinflussen?“ | |
| ## Unermüdliches Leugnen | |
| Das Leugnen liegt in Schindlers Familie. Sein Großvater war | |
| Holocaustleugner, der für seine Überzeugung mehrfach vor Gericht stand. Der | |
| Vater, ebenfalls Jurist, ging in die Pharmawirtschaft und wurde zu einem | |
| der wichtigsten Leugner des Contergan-Skandals. Seiner unermüdlichen | |
| Leugnungsarbeit ist es zu verdanken, dass die Wahrheit erst nach Jahren ans | |
| Licht kam. | |
| Nach dem Contergan-Skandal wandte er sich dem Rauchen zu. Das Risiko des | |
| Rauchens leugnete der passionierte Kettenraucher bis zu seinem Krebstod im | |
| Jahr 2011. Aber auch Schindlers Mutter war eine hervorragende Leugnerin. | |
| Ohne sie, so sagte Schindler in unserem ersten Gespräch, wäre er vielleicht | |
| nie Leugner geworden. Mutter Schindler leugnete, was das Zeug hielt. Sie | |
| leugnete, dass es einen Weihnachtsmann gab, dass es einen Osterhasen gab, | |
| selbst an der Existenz des Klapperstorchs hielt sie bis zu seiner Pubertät | |
| fest. Noch heute benutzt Schindler keine Kondome. | |
| „Meine Mutter hat sehr schlecht gekocht“, erzählte er uns bei unserem | |
| ersten Gespräch, „nie hat etwas geschmeckt, besonders der Braten am | |
| Wochenende. Ganz schlimm war es zu Weihnachten. Aber wenn ich sagte: Mir | |
| schmeckt’s nicht, hat sie gemeint: Ich weiß gar nicht, was du hast, das ist | |
| doch lecker.“ | |
| Schindler – der keine Maske trägt – winkt einen Kellner heraus und bestellt | |
| die Seezunge „Müllerin“. Apropos Essen: Wes Brot ich ess, des Lied ich | |
| sing, das ist beim Leugnen nicht anders als in der Werbung. Meist erhält | |
| Schindler einen Auftrag von einer Firma, einer Partei oder einer Gruppe | |
| Spinner. Dann arbeitet er sich gründlich in die Materie ein und fängt an, | |
| gezielt draufloszuleugnen. Beim Klimawandel ist natürlich praktisch, dass | |
| er schon auf Leugnungen von Kollegen aus aller Welt zurückgreifen kann, | |
| aber er möchte auch etwas Eigenes dazuerfinden, was dann von anderen | |
| Klimaleugnern, vielleicht sogar auf internationaler Ebene, verbreitet wird. | |
| „Professionell leugnen kann man nur etwas, woran man nicht glaubt“, sagte | |
| uns Schindler noch vor ein paar Tagen. „Wenn ich fest daran glaube, dass es | |
| den Klimawandel nicht gibt, kann ich vielleicht irgendwann doch noch vom | |
| Gegenteil überzeugt werden. Wenn ich aber von vornherein weiß, dass es den | |
| Klimawandel gibt, wenn ich alle wissenschaftlichen Fakten kenne, kann ich | |
| viel besser dagegen argumentieren und bin überzeugender.“ Davon will er | |
| jetzt nichts mehr wissen. | |
| ## Ausgesprochener Skeptiker | |
| „Wie gesagt, ich bin Skeptiker. Ich sag ja nicht, dass es den Klimawandel | |
| nicht gibt. Aber was ist, wenn wir jetzt ganz viel Geld und Arbeit in den | |
| Umweltschutz stecken und dann kommt die Erderwärmung trotzdem, weil’s halt | |
| wärmer wird auf der Erde. Dann sagen wir hinterher: Das Geld und die Mühe | |
| hätten wir lieber in eine große Rakete gesteckt und die Menschheit | |
| evakuiert.“ | |
| Wieso ist er kein Coronaleugner, wie so viele derzeit?, fragen wir ihn zum | |
| Abschluss, als der Kellner die Seezunge bringt. | |
| „Weil es Corona gar nicht gibt“, antwortet er. „Corona, das ist ein | |
| Hirngespinst, das alle Symptome zwischen Schnupfen und streuendem Krebs | |
| hat, außer vielleicht grüne Punkte im Gesicht. Drei davon habe ich jeden | |
| Morgen schon vor dem Frühstück, dabei bin ich kerngesund.“ | |
| Sein Sohn hustet und sagt: „Papa, ich hab Schnupfen.“ | |
| „Hast du nicht“, antwortet Schindler, gibt uns seine Notizen und geht | |
| davon. | |
| 2 Feb 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael-André Werner | |
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