# taz.de -- Die Wahrheit: Heizen, bis der Henker heult | |
> Die Partei für gleichberechtigten Verkehr (PGV) will im Wahlkampf nur | |
> eins: Freiheit auf allen Fahrbahnen dieser Welt. | |
Bild: Da lacht das Autoherz: ein Porsche für jeden Deutschen | |
Kurt Tischler begrüßt uns mit einem fröhlichen „Freie Fahrt!“, als wir i… | |
vor der Parteizentrale am Tempelhofer Damm in Berlin treffen, wo sich zu | |
jeder Tageszeit in beiden Richtungen die Autos stauen. In dem Laden war bis | |
vor Kurzem noch eine Kita untergebracht. | |
„Ja, die mussten leider raus“, sagt der 39-jährige Anwalt für Mietrecht, | |
der vor zwei Jahren die Partei gegründet hat und jetzt deren | |
Generalsekretär ist, „die hohen Mieten, Sie wissen ja …“ | |
„Freie Fahrt“ ist nicht nur der parteiinterne Gruß der über 500 Mitgliede… | |
es ist auch der einzige Inhalt des Parteiprogramms und des diesjährigen | |
Wahlkampfs der Partei für Gleichberechtigten Verkehr (PGV). | |
„Wir wollen im Grunde genau das, was alle wollen: Freiheit. Aber für freie | |
Fahrt braucht es Platz. Vor allem auf der Straße. Der Warentransport, die | |
Lkw, die müssen runter von der Straße, rauf auf die Schienen. Der | |
öffentliche Nahverkehr, der muss runter von der Straße, rauf auf die | |
Schiene. Die Fußgänger …“, er überlegt kurz und wechselt das Thema. „K… | |
Sie mal mit“, sagt er, verlässt die Parteizentrale und führt uns in eine | |
Nebenstraße. | |
## Leihgabe ohne Parkplatz | |
Die Parkplatzsituation hier sei desaströs, erklärt er und zeigt auf einen | |
roten Porsche, in den er uns einzusteigen bittet. „Eine Leihgabe von einem | |
hochrangigen Journalisten, der nicht genannt werden möchte“, sagt Tischler, | |
„der aber so ähnlich klingt wie Porsche. Im Übrigen setzt sich unsere | |
Partei – übrigens als einzige – dafür ein, dass jeder Deutsche einen | |
Porsche bekommt.“ Tischler fährt los, biegt dreimal rechts ab, so gelangen | |
wir schließlich wieder zum Tempelhofer Damm. | |
„Wir haben hier letzte Woche ein Pilotprojekt gestartet. Sogenannte | |
Pop-up-Fahrbahnen.“ Er zeigt auf den Bürgersteig. Hier hat die PGV mit | |
Baustellen-Absperrungen aus dem Radweg eine Fahrspur für Autos gemacht. Wir | |
scheren von der Straße auf den Radweg ein und fahren Richtung Süden wie | |
schon einige Fahrzeuge vor uns. Auch das eine oder andere Motorrad nimmt | |
die neue Fahrspur. „Herrlich“, ruft Tischler aus. Wir wenden ein, dass wir | |
eigentlich auf einem Radweg … | |
„Jaja. Radweg, da kann alles fahren, was Räder hat, und Autos haben auch | |
Räder. Außerdem ist der Bürgersteig hier sehr breit. Sehr breit. Schon fast | |
pervers breit. Kein Fußgänger braucht so viel Platz. Ich meine, wie breit | |
ist ein Fußgänger schon?“ | |
Auf der Pop-up-Fahrbahn wird es ziemlich voll, die Wagen kommen nur im | |
Schleichtempo voran, schließlich müssen wir halten und stehen – wie die | |
Autos auf der Fahrbahn – im Stau. | |
„Ja“, seufzt Tischler, „da werden wir in der nächsten Woche wohl noch ei… | |
zweite Spur einrichten müssen.“ Er verlässt die Pop-up-Fahrbahn nach rechts | |
und fährt noch gute 200 Meter, bis wir wieder an der Parteizentrale | |
ankommen, wo wir direkt vor dem Laden quer über den Bürgersteig parken. | |
„Und wir wollen ja nicht nur Freiheit. Wir wollen auch Gleichberechtigung. | |
Alle Verkehrsteilnehmer sind gleich. Darum sollten sie auch alle überall | |
gleich fahren dürfen. Wir fordern eine Abschaffung von Straßen, Fußwegen | |
und Radwegen. Jeder soll sich überall gleichberechtigt bewegen dürfen, | |
kreuz und quer, wie vor 200 Jahren, da gab es noch keine | |
Straßenverkehrsordnung. Mit Gesetzen drängt man Menschen nur unnötig in die | |
Illegalität“, sagt Tischler. | |
## Panzerfahrer als Großvater | |
Wir fragen, ob das nicht gefährlich ist? „Nicht, wenn alle gut achtgeben. | |
Schauen Sie, ich bin Autofahrer. Mein Vater war Autofahrer. Mein Großvater | |
war Autofahrer. Mein Urgroßvater war sogar Panzerfahrer. Wenn ich irgendwo | |
hin will, will ich Auto fahren. Ich will schnell fahren und quer über die | |
Kreuzung. Und dabei Freiheit rufen. Dafür zahle ich Steuern: Kfz-Steuer, | |
Mineralölsteuer und Autobahnsteuer. Öko-Maut. | |
Und natürlich will ich mit meinem Auto auch auf dem Radweg fahren. | |
Meinetwegen strecke ich meinen Arm aus dem Fenster und halte mein Fahrrad | |
fest, damit es neben meinem Auto her fährt. Ich will mit meinem Auto auf | |
dem Fußweg fahren. Ich will in Schlangenlinien mit dem Auto auf dem Fußweg | |
fahren und in Gegenrichtung. Kreuz und quer. Hin und zurück. Und dabei | |
Freiheit rufen. | |
Und ich will beim Fahren rauchen und trinken und telefonieren und fernsehen | |
und aus dem Fenster kotzen. Und hinter mir fährt ein | |
Straßenreinigungs-Wagen und wischt alles auf. Denn dafür zahle ich Steuern. | |
Dafür zahle ich Krankenversicherung. Dafür zahle ich Pflegeversicherung. | |
Dafür zahle ich Unfallversicherung. Und die Haftpflichtversicherung. Ich | |
zahle die Müllabfuhr. Ich zahle den Grünen Punkt und die Gelbe Tonne. Ich | |
zahle Dosenpfand. Ich zahle Flaschenpfand …“ | |
Er hält kurz inne. | |
„Oh“, sagt er, „da bin ich wohl kurz vom Thema abgekommen. Was ich | |
eigentlich meine ist: Freiheit! Unsere Straßen sind für alle da. Wenn die | |
Fuß- und Radwege erst weg sind, dann flutscht auch der Verkehr wieder. | |
Meinetwegen auch mit Elektroautos. Ich bin da tolerant.“ | |
17 Aug 2021 | |
## AUTOREN | |
Michael-André Werner | |
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