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# taz.de -- Die Wahrheit: Wenig Kabale, noch weniger Liebe
> Der 30. Geburtstag. Rezension einer ebenso glanz- wie mutlosen
> Inszenierung nach der unendlich langen Corona-Durststrecke.
Bild: Müde war die so heiß ersehnte Party in Berlin
Corona ist vorläufig vorbei. Die Geschäfte sind geöffnet. Cafés und
Restaurants bersten vor Besuchern. Und vor allem: Man kann wieder ohne
schlechtes Gewissen auf eine private Party gehen.
Eine der ersten Geburtstagspartys der Post-Corona-Ära fand am vorigen
Wochenende statt. Simone Müller, einem kleinen, interessierten Kreis als
Organisatorin der Junggesellinnenabende ihrer Freundinnen Isabel Krüger und
Stefanie Kraupner bekannt, feierte in Berlin ihren dreißigsten Geburtstag.
Wie schon im Jahr 2018 und 2019, so war auch diesmal nur ausgewähltes
Publikum eingeladen. Doch was soll man über einen Abend berichten, dessen
Verlauf so vorhersehbar ist wie ein Hollywood-Blockbuster?
Obwohl für 20 Uhr angekündigt, begann die Feier erst gegen 22 Uhr, eine
selbst für Hauptstadtverhältnisse kaum hinnehmbare Verzögerung, zumal der
Partybereich bis kurz vor zehn überhaupt nicht zugänglich war und es weder
ein Vorprogramm noch einen Catering-Bereich oder sanitäre Einrichtungen im
Wartebereich, dem Treppenhaus, gab. Unter den ersten, pünktlich
erschienenen Gästen wurde heftig diskutiert, ob es sich um eine Verzögerung
aus technischen Gründen handelte oder ob das Warten zur Inszenierung
gehörte.
## Gastgeberin ausgelaugt
Die zweite Enttäuschung des Abends: das Bühnenbild. War es schlichtweg der
Einfallslosigkeit der Gastgeberin geschuldet – kreativ ausgelaugt durch ein
Jahr Lockdown – oder sollte das Setting ein augenzwinkerndes Zitat sein?
Das Ambiente wirkte allzu bekannt: das große, eilig leergeräumte
Wohnzimmer, die volle Küche mit dem improvisierten Büfett, das Schlafzimmer
mit Bergen von Kleidung; das stets besetzte, enge, gekachelte Badezimmer.
Auch das Personal des Stücks strotzte nicht gerade vor Originalität. Stefan
als der etwas maulfaule neue Freund der Gastgeberin; Isabel Krüger und
Stefanie Kraupner als ihre besten Freundinnen, deren Männer sich alsbald
auf dem Balkon betranken; Susi Schmittke, die fast anderthalb Stunden
leicht bekleidet im leeren Wohnzimmer tanzte; Tom Koller, der einsame, in
sich gekehrte DJ, der durch seine seltsame wie individualistische
Musikauswahl jegliche Stimmung im Keime zu ersticken vermochte; Rolf
Pestowski als Partyvielfraß, der selbst nur eine Flasche Wasser zum Büffet
beigetragen hatte, aber Essen im Gegenwert von etwa fünfzig Euro vertilgte.
Einzige Überraschung: Sammy Tomke als betrunkener Pöbler, der seine, wenn
auch textarme Rolle durch gekonnte körperliche Improvisation auszubauen
wusste und so bei einem Großteil der Gäste einen bleibenden Eindruck
hinterließ. Es ist sicher nicht zu viel behauptet, diesen jungen Mann auf
künftigen Partys der Stadt noch öfter zu sehen – sollte er je wieder
eingeladen werden.
Wiederum erwartbar in ihren Rollen, die man so nur aus dem Boulevardtheater
kennt: Luise von der Brenn als heulend hinausrennende Psychologiestudentin,
die gerade erfahren hat, dass ihr Freund sie betrügt; Johnny Piff als ihr
Freund, dem eine Szene gemacht wurde; und Angela (Nachname unbekannt) als
Dritte im Bunde, die erwartungsgemäß von den anderen Gästen für den Rest
der Party gemieden wurde und schließlich wenig überzeugend schmollte.
## Durchschnittliche Darstellung
Und natürlich Simone Müller in der Hauptrolle der Gastgeberin. Auch sie
lieferte an diesem Abend nur eine durchschnittliche darstellerische
Leistung ab. Die ausgelassene Freude des Geburtstagskinds beim Auspacken
der Geschenke hat sie schon überzeugender gespielt, man denke nur an 2017,
als sogar Freudentränen flossen. Aber wie soll man aufrichtige Freude
zeigen, wenn die Geschenkeauswahl derart überraschungsfrei ist wie in
diesem Jahr – CDs, Ratgeberbücher, Rotwein, Blumen und Schokolade.
Apropos Schokolade. Sie war das bestimmende Element des klassisch
bestückten Büfetts. Ein Schokoladenbrunnen – die Idee plump geklaut von
Melanie Wiebkes 32. Geburtstag –, dazu zwei verschiedene Schokoladenkuchen
und ein etwas zu flüssig geratenes Mousse au Chocolat. Dazu ein gängiges
Ensemble aus Nudel- und Kartoffelsalat, Weintrauben sowie mehreren
aufgebackenen Baguettes. Da konnten selbst die Schaumgummitiere nicht
überzeugen.
Alles in allem ein mittelmäßiger, enttäuschender runder Geburtstag – zumal
nach einer derart partylosen Durststrecke. Wir alle wissen, was Silke Nuss
bei solch einem Anlass auf die Feierbeine gestellt hätte. Es gab keinen
atemberaubenden Beinahabsturz vom Balkon wie 2015, keinen enervierenden
Polizeibesuch nachts um drei wie 2013, nicht einmal eine kleine
Lebensmittelvergiftung wie 2011, von der herrlichen Schlägerei 2010 ganz zu
schweigen.
Hoffen wir, dass die Gastgeberin zu Silvester etwas von ihrer alten
unkonventionellen Art und ihrem Wagemut zurückgewinnt, die ihre Partys der
letzten Jahre so berühmt-berüchtigt gemacht haben.
30 Jun 2021
## AUTOREN
Michael-André Werner
## TAGS
Party
Inszenierung
Kritik
Namen
"Querdenken"-Bewegung
Autos
Religion
Schwerpunkt Coronavirus
Diskriminierung
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